6.12Sesquilinearformen

Definition (Sesquilinearform, symmetrische und hermitesche Form, Definitheit)

Sei V ein K-Vektorraum mit K =  oder K = . Eine Abbildung φ : V × V  K heißt eine Sesquilinearform, falls für alle v, w  ∈  V und λ  ∈  K gilt:

φ(v + λv′, w)  =  φ(v, w)  +  λ φ(v′, w),  φ(v, w + λw′)  =  φ(v, w)  +  λ φ(v, w′).

Gilt zusätzlich φ(v, w) = φ(w, v) für alle v, w  ∈  V, so heißt φ eine symmetrische Bilinearform, falls K = , bzw. eine hermitesche Form, falls K = . Eine solche Form heißt

positiv definit, falls φ(v, v)  >  0  für alle v  ∈  V mit v ≠ 0,
positiv semidefinit, falls φ(v, v)  ≥  0  für alle v  ∈  V,
negativ (semi-)definit, falls − φ positiv (semi-)definit ist,
indefinit, falls v, w  ∈  V existieren mit φ(v, v) > 0 und φ(w, w) < 0.

 Die Definition verallgemeinert den Begriff eines Skalarprodukts. Ein Skalarprodukt ist eine symmetrische bzw. hermitesche Form, die positiv definit ist.

Beispiel

Seien n ≥ 1 und A  ∈  Kn × n. Dann wird eine Sesquilinearform φ auf Kn definiert durch

φ(v, w)  =  〈 v, A w 〉kanonisch  für alle v, w  ∈  Kn.

Die Form φ ist genau dann symmetrisch bzw. hermitesch, wenn die Matrix A dies ist.

 Ist V endlich-dimensional, so sind die Formen dieses Beispiels im folgenden Sinn bereits alle Formen:

Die gramsche Matrix einer Sesquilinearform

Sei φ : V × V  K eine Sesquilinearform und sei 𝒜 = (v1, …, vn) eine Basis von V. Dann ist die gramsche Matrix Aφ = Aφ, 𝒜  ∈  Kn × n von φ bzgl. 𝒜 definiert durch

ela1-AbbID303

Aφ(i, j)  =  φ(vi, vj)  für alle i, j.

Die Form φ ist genau dann symmetrisch bzw. hermitesch, wenn Aφ dies ist. Mit der Koordinatenabbildung

Φ𝒜 : V  Kn und v𝒜 = Φ𝒜(v) gilt

(+)  φ(v, w)  =  〈 v𝒜, Aφw𝒜 〉kanonisch

für alle v, w  ∈  V. Definieren wir umgekehrt eine Form φ durch (+) mit einer beliebigen Matrix A des Kn × n, so ist Aφ = A.

 Wir betrachten zwei Stufen, die zwischen beliebigen Sesquilinearformen und vollwertigen Skalarprodukten liegen, genauer.

I.  Symmetrische und hermitesche Formen

 Wir notieren diese Formen wie Skalarprodukte oft als 〈 ·, · 〉 : V × V  K. Die Begriffe „orthogonal“ und „Orthogonalbasis“ sind wie früher definiert, und erneut stellt sich die Frage nach der Existenz einer Orthogonalbasis. Das Verfahren von Gram-Schmidt kann an einer Division durch 〈 v, v 〉 = 0 für ein v ≠ 0 scheitern. Dennoch ist es richtig, dass endlich-dimensionale Vektorräume, die mit einer symmetrischen oder hermiteschen Form versehen sind, eine Orthogonalbasis bzgl. dieser Form besitzen. Ist 𝒜 = (v1, …, vn) eine solche Orthogonalbasis, so ist die gramsche Matrix A  ∈  Kn × n der Form bzgl. 𝒜 eine Diagonalmatrix. Wir werden in Kapitel 8 bei der Diskussion der Hauptachsentransformation darauf zurückkommen.

Beispiel
ela1-AbbID304

Für die Bilinearform 〈 ·, · 〉 = 〈 ·, A · 〉kanonisch auf 2 mit der Matrix A  ∈  2 × 2 rechts gilt

〈 (x1, y1), (x2, y2) 〉  =  x1(x2 + y2)  +  y1(x2 − y2).

Die Vektoren v = (1 + 2, 1), w = (1 − 2, 1) bilden eine Orthogonalbasis von 2 bzgl. der Form 〈 ·, · 〉 (und bzgl. 〈 ·, · 〉kanonisch).

II.  Positiv semidefinite symmetrische und hermitesche Formen

 Für diese Formen gilt die Cauchy-Schwarz-Ungleichung

|〈 v, w 〉|  ≤  ∥ v ∥ ∥ w ∥  für alle v, w  ∈  V,  wobei ∥ u ∥ = u,u.

Gleichheit kann nun auch für linear unabhängige v, w eintreten (man betrachte die Nullform). Die Halb- oder Seminorm ∥ · ∥ : V  K erfüllt die Homogenität und die Dreiecksungleichung, aber ∥ v ∥ = 0 ist für v ≠ 0 möglich. In diesem Fall lässt sich v nicht normieren.

Beispiel

Für reelle a < b und V = { f : [ a, b ]   | f ist Riemann-integrierbar } definiert

〈 f, g 〉  =  ba f (x) g(x) dx  für alle f, g  ∈  V

eine positiv semidefinite hermitesche Form. Die Form ist nicht positiv definit, da 〈 f, f 〉 = 0 gilt, wenn f an höchstens abzählbar vielen Stellen ungleich null ist. Diese Form spielt insbesondere in der Theorie der Fourier-Reihen eine wichtige Rolle.

 Durch Faktorisierung kann man die positive Semidefinitheit zur positiven Definitheit verstärken: Ist U = { u  ∈  V | 〈 u, u 〉 = 0 }, so wird auf dem Faktorraum V/U ein Skalarprodukt durch 〈 v + U, w + U 〉  =  〈 v, w 〉 für alle v, w  ∈  V definiert.