6.2 Das kanonische Skalarprodukt im ℂn
Definition (Skalarprodukt, orthogonal, euklidische Norm, normiert)
Sei n ≥ 1. Dann heißt die Abbildung 〈 ·, · 〉 : ℂn × ℂn → ℂ mit
〈 z, w 〉 = z1 w1 + … + zn wn für alle z, w ∈ ℂn
das kanonische Skalarprodukt oder kanonische innere Produkt des ℂn. Zwei Vektoren z, w ∈ ℂn heißen orthogonal oder stehen senkrecht aufeinander, falls 〈 z, w 〉 = 0. Weiter ist die euklidische Norm ∥ · ∥ : ℂn → [ 0, ∞ [ definiert durch
∥z∥ = für alle z ∈ ℂn.
Gilt ∥z∥ = 1, so heißt z normiert.
Für alle w, z ∈ ℂ gilt:
Die Abbildung 〈 z, · 〉 : ℂn → ℂ ist linear. | Sesquilinearität |
Die Abbildung 〈 ·, w 〉 : ℂn → ℂ ist antilinear, d. h. | |
〈 z + λz′, w 〉 = 〈 z, w 〉 + λ 〈 z′, w 〉 für alle z′ ∈ ℂn, λ ∈ ℂ. | |
〈 z, w 〉 = 〈 w, z 〉 | Hermitizität |
〈 z, z 〉 > 0 für alle z ≠ 0. | positive Definitheit |
„Sesqui“ bedeutet „anderthalb“ und deutet an, dass die doppelte Linearität der reellen Version modifiziert werden muss. Könnte man sich das Leben nicht einfacher machen und auf die Konjugation in der Definition verzichten? Die Anwort ist „nein“. Es gilt
i · i = −1 für n = 1, 1 · 1 + i · i = 1 − 1 = 0 für n = 2,
sodass die positive Definitheit ohne Konjugation verletzt ist. Weiter wird die Konjugation für die Definition der Norm benötigt: Für alle z ∈ ℂn gilt
〈 z, z 〉 = z1 z1 + … + zn zn = |z1|2 + … + |zn|2 ≥ 0,
sodass das komplexe Skalarprodukt von z mit sich selbst eine nichtnegative reelle Zahl ist, deren reelle Wurzel wir ziehen können. Im Allgemeinen ist Im(〈 z, w 〉) ≠ 0.
Sind x, y ∈ ℝn ⊆ ℂn, so stimmen das reelle und komplexe Skalarprodukt der beiden Vektoren überein. Die komplexe Version setzt also die reelle fort.
Bemerkung
Oft wird die Konjugation auch in der zweiten Komponente durchgeführt. Beide Definitionen sind gleich gut und erzeugen denselben Orthogonalitätsbegriff, da
z1 w1 + … + zn wn = 0 genau dann, wenn z1 w1 + … + z wn = 0.
Wir konjugieren im Folgenden immer in der ersten Komponente.
Beispiele
(1) | Für die Standardbasisvektoren e1, …, en des ℂn gilt 〈 ei, ej 〉 = δij, sodass diese Vektoren normiert und paarweise orthogonal sind. |
(2) | Für n = 1 gilt 〈 i, z 〉 = −i z. Für n = 2 gilt 〈 (i, i), (z, w) 〉 = − i z − i w = − i(z + w). |
(3) | Sind m, n ≥ 1 und A ∈ ℂm × n, so gilt Az = 0 für z ∈ ℂn genau dann, wenn (z1, …, zn) senkrecht auf allen Zeilen der konjugierten Matrix A = (aij)ij steht. |
Wie im reellen Fall ist unverzichtbar:
Cauchy-Schwarz-Ungleichung
Für alle z, w ∈ ℂn gilt
|〈 z, w 〉| ≤ ∥ z ∥ ∥ w ∥. (Cauchy-Schwarz-Ungleichung)
Gleichheit gilt genau dann, wenn z und w linear abhängig sind.
Der Beweis kann analog geführt werden, wobei man nun verwendet, dass
0 ≤ ∥ z − λw ∥2 = | ∥z∥2 − λ 〈 z, w 〉 − λ 〈 z, w 〉 + |λ|2 ∥ x ∥2 = |
∥z∥2 − 2 Re(λ 〈 z, w 〉) + |λ|2 ∥ x ∥2. |
Aus der Cauchy-Schwarz-Ungleichung gewinnen wir:
Dreiecksungleichung
Für alle z, w ∈ ℂn gilt
∥ z + w ∥2 = | ∥z∥2 + 2 Re(〈 z, w 〉) + ∥ w ∥2 ≤ ∥z∥2 + 2|〈 z, w 〉| + ∥ w ∥2 ≤ |
∥z∥2 + 2 ∥z∥ ∥ w ∥ + ∥ w ∥2 = (∥z∥ + ∥ w ∥)2,
sodass aufgrund der Monotonie der reellen Quadratfunktion gilt, dass
∥ z + w ∥ ≤ ∥z∥ + ∥w∥.
Die Dreiecksungleichung
∥ z + w ∥ ≤ ∥ z ∥ + ∥ w ∥.
Der direkte Weg ist der kürzeste.
Nützlich sind auch die Abschätzungen
∥z∥ − ∥w∥ ≤ ∥ z ± w ∥ ≤ ∥z∥ + ∥w∥.
Sie folgen aus der Dreiecksungleichung, da
∥ z ± w ∥ ≤ ∥z∥ + ∥ ± w ∥ = ∥z∥ + ∥w∥,
∥z∥ = ∥ z ± w ∓ w ∥ ≤ ∥ z ± w ∥ + ∥ w ∥.
Da die euklidische Norm des ℂn die des ℝn fortsetzt, gelten alle Ungleichungen auch für die euklidische Norm des ℝn. Dies kann man natürlich auch direkt aus der reellen Ungleichung von Cauchy-Schwarz herleiten.