6.3 Allgemeine Skalarprodukte
Definition (Skalarprodukt, inneres Produkt, euklidisch, unitär, orthogonal)
Skalarprodukt für reelle Vektorräume
Sei V ein ℝ-Vektorraum. Eine Abbildung 〈 ·, · 〉 : V × V → ℝ heißt ein Skalarprodukt oder inneres Produkt auf V, falls für alle v, w, v′, w′ ∈ V und λ ∈ ℝ gilt:
(a) | 〈 v + λv′, w 〉 = 〈 v, w 〉 + λ 〈 v′, w 〉, 〈 v, w + λw′ 〉 = 〈 v, w 〉 + λ 〈 v, w′ 〉, (Bilinearität) |
(b) | 〈 v, w 〉 = 〈 w, v 〉, (Symmetrie) |
(c) | 〈 v, v 〉 > 0 für alle v ≠ 0. (positive Definitheit) |
Ein mit einem Skalarprodukt ausgestatteter ℝ-Vektorraum heißt euklidisch.
Skalarprodukt für komplexe Vektorräume
Sei V ein ℂ-Vektorraum. Eine Abbildung 〈 ·, · 〉 : V × V → ℂ heißt ein Skalarprodukt oder inneres Produkt auf V, falls für alle v, w, v′, w′ ∈ V und λ ∈ ℂ gilt:
(a) | 〈 v + λv′, w 〉 = 〈 v, w 〉 + λ 〈 v′, w 〉, 〈 v, w + λw′ 〉 = 〈 v, w 〉 + λ 〈 v, w′ 〉, (Sesquilinearität) |
(b) | 〈 v, w 〉 = 〈 w, v 〉, (Hermitizität) |
(c) | 〈 v, v 〉 > 0 für alle v ≠ 0. (positive Definitheit) |
Ein mit einem Skalarprodukt ausgestatteter ℂ-Vektorraum heißt unitär.
Orthogonalität
Zwei Vektoren v, w eines euklidischen oder unitären Vektorraums V heißen orthogonal oder stehen senkrecht aufeinander, falls 〈 v, w 〉 = 0.
Die essentiellen Eigenschaften der kanonischen Skalarprodukte des ℝn und ℂn motivieren die Definition abstrakter Skalarprodukte. Die Skalarenkörper sind ℝ oder ℂ (um Wurzeln aus 〈 v, v 〉 ziehen zu können), der Vektorraum V ist ansonsten beliebig.
Wegen 〈 0, 0 〉 = 〈 0 − 0, 0 〉 = 〈 0, 0 〉 − 〈 0, 0 〉 = 0 und der positiven Definitheit gilt für alle Vektoren v: 〈 v, v 〉 = 0 genau dann, wenn v = 0.
Die Orthogonalität steht im Zentrum der Theorie. Als Erstes halten wir fest:
Orthogonalität impliziert lineare Unabhängigkeit
Sind v1, …, vn von null verschiedene und paarweise orthogonale Elemente eines euklidischen oder unitären Vektorraums V, so ist (v1, …, vn) linear unabhängig.
Denn für alle 1 ≤ i ≤ n und alle Skalare α1, …, αn gilt
〈 vi, α1 v1 + … + αn vn 〉 = α1 〈 vi, v1 〉 + … + αn 〈 vi, vn 〉 = αi 〈 vi, vi 〉,
sodass α1 v1 + … + αn vn = 0 wegen 〈 vi, vi 〉 > 0 nur möglich ist, wenn alle αi null sind.
Beispiele
(1) | Ist D = diag(d1, …, dn) ∈ ℝn × n mit Diagonaleinträgen di > 0, so definiert 〈 x, y 〉D = xt D y = d1 x1 y1 + … + dn xn yn für alle x, y ∈ ℝn. Die Vektoren (3, 1) und (−1, 1) sind orthogonal für D = (1, 3). ein Skalarprodukt auf dem ℝn. Die Koordinatenprodukte werden mit den Gewichten di versehen. Für D = En ergibt sich das kanonische Skalarprodukt. |
(2) | Auf dem Vektorraum ℝm × n aller reellen m × n-Matrizen definiert 〈 A, B 〉 = (At B)11 + … + (At B)nn = ∑i, j ai j bi j für alle A, B ∈ ℝm × n ein Skalarprodukt. Es entsteht, wenn wir die Matrizen des ℝm × n durch Aneinanderfügen der Zeilen (oder Spalten) in Vektoren des ℝmn verwandeln und dann das kanonische Skalarprodukt des ℝmn verwenden. |
(3) | Der euklidische Vektorraum ℓ2ℝ der quadratsummierbaren Folgen in ℝ ist definiert durch ℓ2ℝ = { (xn)n ∈ ℕ ∈ ℝℕ | ∑n |xn|2 < ∞ }, 〈 (xn)n ∈ ℕ, (yn)n ∈ ℕ 〉 = ∑n xn yn für alle x, y ∈ ℓ2ℝ. Analog ist der unitäre Vektorraum ℓ2ℂ aller quadratsummierbaren Folgen in ℂ definiert, wobei nun 〈 (zn)n ∈ ℕ, (wn)n ∈ ℕ 〉 = ∑n zn wn für alle (zn)n ∈ ℕ, (wn)n ∈ ℕ ∈ ℓ2ℂ. Die Vektorräume ℝ(ℕ) bzw. ℂ(ℕ) aller Folgen mit endlichem Träger sind Teilräume des ℓ2ℝ bzw. ℓ2ℂ und damit ebenfalls euklidisch bzw. unitär. |
(4) | Sei I = [ a, b ] mit a < b ein reelles Intervall, und sei V = 𝒞(I, ℝ) der ℝ-Vektorraum aller stetigen Funktionen f : I → ℝ. Dann definiert 〈 f, g 〉 = ∫baf (x) g(x) dx Orthogonalität in V bedeutet, dass der signierte Flächeninhalt des Produkts gleich null ist. ein Skalarprodukt auf V. Ist I = [ 0, 2π ], so sind die auf I eingeschränkten Sinus- und Kosinusfunktionen orthogonal und insbesondere linear unabhängig. |
(5) | Für I = [ a, b ] ⊆ ℝ und den ℂ‑Vektorraum V = 𝒞(I, ℂ) aller stetigen f : I → ℂ erhält man ein Skalarprodukt wie in (4), wenn man im Integral f (x)g(x) statt f (x)g(x) verwendet. |