6.6Orthonormalbasen

Definition (Orthogonalbasis, Orthonormalbasis)

Sei V ein euklidischer oder unitärer Vektorraum. Eine Basis (vi)i  ∈  I von V heißt eine Orthogonalbasis, falls 〈 vi, vj 〉 = 0 für alle i, j  ∈  I mit i ≠ j. Gilt zusätzlich ∥ vi ∥ = 1 für alle i, so heißt (vi)i  ∈  I eine Orthonormalbasis.

 Eine Orthonormalbasis ist also eine Basis aus normierten Vektoren, die paarweise aufeinander senkrecht stehen. Kompakt kann man dies durch

〈 vi, vj 〉  =  δij  für alle i, j  ∈  I (Orthonormalitätsbedingung)

zum Ausdruck bringen. Da die Orthogonalität die lineare Unabhängigkeit nach sich zieht, ist eine orthogonale Familie (vi)i  ∈  I in V − { 0 } bereits dann eine Orthogonalbasis, wenn sie erzeugend ist. Weiter ist dann (N(vi))i  ∈  I eine Orthonormalbasis. Jede Orthogonalbasis lässt sich also durch Normierung in eine Orthonormalbasis überführen. Mit der Konstruktion von Orthogonalbasen werden wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. Zunächst wollen wir wichtige Eigenschaften festhalten und Beispiele kennenlernen.

Ist (v1, …, vn) eine Orthonormalbasis von V, so gilt für alle v  ∈  V:

v  =  〈 v1, v 〉 v1  +  …  +  〈 vn, v 〉 vn, (Koordinatenbestimmung)

∥ v ∥2  =  |〈 v1, v 〉|2  +  …  +  |〈 vn, v 〉|2. (Parseval-Gleichung)

Ist Φ : V  Kn die Koordinatenabbildung bzgl. (v1, …, vn), so gilt

〈 v, w 〉  =  〈 Φ(v), Φ(w) 〉kanonisch  für alle v, w  ∈  V.

In diesem Sinn ist V isomorph zum Kn mit dem kanonischen Skalarprodukt.

Ist (vi)i  ∈  I eine Orthonormalbasis von V, so ist für alle v  ∈  V die Menge aller Indizes i mit 〈 vi, v 〉 ≠ 0 endlich, und es gilt:

v  =  i  ∈  I 〈 vi, v 〉 vi, (Koordinatenbestimmung)

∥ v ∥2  =  i  ∈  I |〈 vi, v 〉|2. (Parseval-Gleichung)

 Die Aussagen ergeben sich für K =  und v = i αi vi, w = i βi vi aus

〈 vi, v 〉  =  〈 vi, j αj vj 〉  =  j αj 〈 vi, vj 〉  =  j αj δij  =  αi  für alle i  ∈  I,

〈 v, v 〉  =  〈 i αivi, v 〉  =  i αi 〈 vi, v 〉  =  ii|2  =  i |〈 vi, v 〉|2,

〈 v, w 〉  =  i αi 〈 vi, w 〉  =  i αi βi  =  〈 Φ(v), Φ(w) 〉kanonisch  für endliche I.

 Für jedes i pickt 〈 vi, · 〉 : V  K die i-Koordinate von v bzgl. (vi)i  ∈  I heraus. Es gilt also 〈 vi, · 〉 = vi* mit den linear unabhängigen dualen Vektoren vi*  ∈  V* (vgl. 3. 12).

Beispiele

(1)

Die Standardbasis (e1, …, en) des n ist eine Orthonormalbasis bzgl. des kanonischen Skalarprodukts. Die Parseval-Gleichung schreibt sich als

∥ z ∥2  =  |〈 e1, z 〉|2  +  …  +  |〈 en, z 〉|2  =  |z1|2  +  …  +  |zn|2  für alle z  ∈  n.

(2)

Ist (v1, v2) eine Orthonormalbasis des 2 bzgl. des kanonischen Skalarprodukts, so gibt es ein α  ∈  [ 0, 2π [ mit v1 = (cosα, sinα) (Polarkoordinaten). Dann gilt

v2  =  (−sinα, cosα)  oder  v2  =  (sinα, −cosα).

(3)

Die Orthonormalbasen des 3 bzgl. des kanonischen Skalarprodukts lassen sich als normierte rechtwinklige Dreibeine mit Spitze am Nullpunkt beschreiben.

(4)

Sei n  ∈  . Wir betrachten den (2n + 1)-dimensionalen unitären Vektorraum der trigonometrischen Polynome von Grad kleinergleich n:

V  =  { f :    | es gibt a− n, …, an  ∈   mit f (x) = −n ≤ k ≤ n ak eikx für alle x },

〈 f, g 〉  =  10f (x) g(x) dx  für alle f, g  ∈  V.

Die (als Terme notierten) Funktionen eikx, −n ≤ k ≤ n bilden eine Orthonormalbasis von V. Für alle f  ∈  V gilt

ak  =  10e−ikx f (x) dx  für alle −n ≤ k ≤ n, (Koeffizientenberechnung)

10|f (x)|2 dx  =  −n ≤ k ≤ n |ak|2. (Parseval-Gleichung)

(5)

Im -Vektorraum aller reellen Polynomfunktionen

V  =  { f :    | es gibt a0, …, an  ∈   mit f (x) = k ≤ n ak xk für alle x } mit

〈 f, g 〉  =  1−1 f (x) g(x) dx

ela1-AbbID273

definieren wir die Legendre-Polynome Pn rekursiv durch

P0(x)  =  1,  P1(x)  =  x,

(n + 1) Pn + 1(x)  = (2n + 1) x Pn(x)  −  n Pn − 1(x).

Man kann zeigen, dass 〈 Pn, Pm 〉 = 2/(2n + 1)δnm, sodass die Pn eine Orthogonalbasis von V bilden. Sie sind in der Physik bedeutsam. Eine mathematische Motivation werden wir in 6. 7 kennenlernen.