6.7Das Orthonormalisierungsverfahren

Satz (Existenz von Orthonormalbasen)
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u = 〈 u1, v 〉 u1 + 〈 u2, v 〉 u2

Sei V ein euklidischer oder unitärer Vektorraum, der eine abzählbare Basis besitzt. Dann besitzt V eine Orthonormalbasis.

 Der Satz ist das „orthogonale Analogon“ zum Basisexistenzsatz (3. 9). Wir werden unten sehen, dass wir diesmal auf eine Dimensionsvoraussetzung nicht verzichten können.

 Zum Beweis betrachten wir einen endlich-dimensionalen Unterraum U von V. Wir nehmen an, dass U eine Orthonormalbasis (u1, …, uk) besitzt. Nun sei v  ∈  V − U beliebig. Dann steht der Vektor

v*  =  v  −  u  mit  u  =  1 ≤ i ≤ k 〈 ui, v 〉 ui  ∈  U

senkrecht auf allen uj (vgl. das Diagramm), da

〈 uj, v* 〉  =  〈 uj, v 〉  −  1 ≤ i ≤ k 〈 ui, v 〉 〈 uj, ui 〉  =  〈 uj, v 〉  −  〈 uj, v 〉  =  0   für alle 1 ≤ j ≤ k.

Wegen v  ∉  U ist v* ≠ 0, und damit ist

(u1,  …,  uk,  N(v*)) (orthonormale Erweiterung)

eine Orthonormalbasis des Unterraums span(u1, …, uk, v*) = span(U ∪ { v }). Die Argumentation liefert folgendes Verfahren zur Konstruktion einer Orthonormalbasis:

Das Orthonormalisierungsverfahren von Gram-Schmidt

Sei (v1, …, vn) eine Basis von V. Dann definieren wir rekursiv:

u1  =  N(v1), 

uk + 1  =  N(vk + 1 − 1 ≤ i ≤ k 〈 ui, vk + 1 〉 ui)  für alle 1 ≤ k ≤ n − 1.

Dann ist (u1, …, un) eine Orthonormalbasis von V. Zudem gilt

span(u1, …, uk)  =  span(v1, …, vk)  für alle k ≤ n.

Die Orthonormalbasis (u1, …, un) heißt die Gram-Schmidt-Orthonormalisierung von (v1, …, vn). Das Verfahren kann analog für eine abzählbar unendliche Basis (vn)n  ∈   von V durchgeführt werden und liefert dann eine Orthonormalbasis (un)n  ∈   von V.

 Als Korollar erhält man die sog. QR-Zerlegung einer invertierbaren Matrix, die wir in Überblick 7 diskutieren. Die Summen 1 ≤ i ≤ k〈 ui, vk + 1 〉 ui werden wir im nächsten Abschnitt genauer betrachten.

Beispiele

(1)

Wir betrachten den 3 mit dem kanonischen Skalarprodukt. Das Verfahren von Gram-Schmidt liefert für die Basis (v1, v2, v3) = ((1, 0, 0), (1, 1, 0), (1, 1, 1)):

u1  =  v1  =  (1, 0, 0),

u2  =  N(v2 − 〈 u1, v2 〉 u1)  =  N(v2 − u1)  =  (0, 1, 0),

u3  =  N(v3 − 〈 u1, v3 〉 u1 − 〈 u2, v3 〉 u2)  =  N(v3 − u1 − u2)  =  (0, 0, 1).

Die Orthonormalisierung ergibt also die kanonische Basis des 3. Wenden wir dagegen das Verfahren auf die umgeordnete Basis (v3, v2, v1) an, so erhalten wir

w1  =  N(v3)  =  α(1, 1, 1) mit  α = 1/3,

w2  =  N(v2 − 〈 w1, v2 〉 w1)  =  β (1, 1, −2) mit  β = 1/6,

w3  =  N(v1 − 〈 w1, v1 〉 w1 − 〈 w2, v1 〉 w2)  =  γ(1, −1, 0) mit  γ = 1/2.

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(2)

Wir betrachten den -Vektorraum V aller reellen Polynomfunktionen mit

〈 f, g 〉  =  1−1 f (x) g(x) dx  für alle f, g  ∈  V

und die abzählbar unendliche Basis (1, x, x2, x3, …). Das Orthonormalisierungsverfahren liefert die normierten Legendre-Polynome N(P0), N(P1), N(P2), … (vgl. 8. 7).

Exkurs:  Ein euklidischer Vektorraum ohne Orthonormalbasis

Sei 2 der euklidische Vektorraum aller quadratsummierbaren Folgen in  (vgl. 6. 3). Annahme, 2 besitzt eine Orthonormalbasis (vi)i  ∈  I. Für alle n ist dann en  ∈  2 eine Linearkombination von Vektoren der Basis. Insgesamt werden zur Darstellung aller en nur abzählbar viele vi verwendet. Da I überabzählbar ist (vgl. 4. 9), gibt es ein nicht verwendetes vi*. Dann gilt 〈 vi*, en 〉 = 0 für alle n, sodass vi* = 0, Widerspruch.

Woran scheitert ein allgemeiner Existenzbeweis? Das Zornsche Lemma liefert eine maximale orthonormale Familie (ui)i  ∈  I, aber nun ist U = span({ ui | i  ∈  I }) ≠ V möglich. Denn die Bildung v* = v − i  ∈  I 〈 ui, v 〉 ui ist für ein v  ∈  V − U im Allgemeinen nicht mehr möglich, da es unendlich viele i  ∈  I mit 〈 ui, v 〉 ≠ 0 geben kann. Ein Beispiel in 2 ist un = en für n und v mit v(k) = 1 für alle k.