6.8 Orthogonale Komplemente und Projektionen
Definition (orthogonales Komplement, orthogonale Projektion)
Orthogonale Komplemente in ℝ3
Sei V ein euklidischer oder unitärer Vektorraum.
Orthogonale Unterräume und orthogonale Summe
Zwei Unterräume U und W von V heißen orthogonal, falls 〈 u, w 〉 = 0 für alle u ∈ U und w ∈ W.
V heißt orthogonale Summe einer Familie von Unterräumen (Ui)i ∈ I, falls V = ∑i ∈ I Ui und die Ui paarweise orthogonal sind.
Orthogonales Komplement und orthogonale Projektion
Ist U ein Unterraum von V, so heißt
U⊥ = { v ∈ V | 〈 v, u 〉 = 0 für alle u ∈ U }
das orthogonale Komplement von U in V. Die Abbildung PU : U + U⊥ → U mit
PU(v) = „das eindeutige u ∈ U mit v − u ∈ U⊥“ für alle v ∈ U + U⊥
heißt die orthogonale Projektion von U + U⊥ auf U.
Mit Hilfe orthogonaler Unterräume lässt sich ein euklidischer oder unitärer Vektorraum übersichtlich organisieren. Sind U und W orthogonal, so ist U ∩ W = { 0 }. Denn für alle Vektoren u ∈ U ∩ W gilt 0 = 〈 u, u 〉 und damit u = 0. Weiter gilt:
Orthogonale Summen sind direkt
Ist V = ∑i ∈ I Ui eine orthogonale Summe und sind ui ∈ Ui mit ∑i ∈ I ui = 0, so gilt
0 = 〈 ∑i ∈ I ui, ∑i ∈ I ui 〉 = ∑i, j ∈ I 〈 ui, uj 〉 = ∑i ∈ I 〈 ui, ui 〉 = ∑i ∈ I ∥ ui ∥2,
sodass ui = 0 für alle i ∈ I. Damit ist V = ⊕i ∈ I Ui (vgl. 3. 10).
Insbesondere ist die orthogonale Summe U + U⊥ direkt, sodass die orthogonale Projektion PU : U + U⊥ → U wohldefiniert ist. Wichtig ist:
Ist U endlich-dimensional, so ist U + U⊥ = V.
Zum Beweis seien (u1, …, uk) eine Orthonormalbasis von U, v ∈ V beliebig und
v* = v − u mit u = ∑1 ≤ i ≤ k 〈 ui, v 〉 ui ∈ U.
Der Vektor v* steht senkrecht auf allen ui, sodass v = u + v* ∈ U + U⊥.
Ist V endlich-dimensional, so gilt also dim(U) + dim(U⊥) = dim(V). Weiter ist dann (U⊥)⊥ = U. Allgemein gilt nur U ⊆ (U⊥)⊥, vgl. das folgende Beispiel (2).
Die orthogonale Projektion PU : U + U⊥ → U ist linear und surjektiv. Weiter gilt PU|U = idU und PU ∘ PU = PU (Idempotenz). Wichtig sind darüber hinaus:
Ist (ui)i ∈ I eine Orthonormalbasis von U, so gilt für alle v ∈ U + U⊥:
PU(v) = ∑i ∈ I 〈 ui, v 〉 ui. (Berechnungsformel)
Für alle v ∈ U + U⊥ gilt ∥ v − PU(v) ∥ = minu ∈ U ∥ v − u ∥. (Bestapproximation)
Die Rekursionsformel des Gram-Schmidt-Verfahrens können wir nun schreiben als
uk + 1 = N(vk + 1 − PUk(vk + 1)), mit
Uk = span(v1, …, vk) = span(u1, …, uk).
In Kurzform lautet das Verfahren also:
Projiziere und normalisiere die Differenz.
Beispiele
(1) | Im ℂ-Vektorraum V aller stetigen Funktionen von [ 0, 2π ] nach ℂ mit 〈 f, g 〉 = 12π ∫2π0f (x) g(x) dx für alle f, g ∈ V erzeugen die orthonormalen Vektoren eikx, − n ≤ k ≤ n für alle n ≥ 1 einen Unterraum Un. Für alle f ∈ V ist PUn(f) die n-te Fourier-Approximation an f: PU(f) = ∑−n ≤ k ≤ n 〈 eikx, f 〉 eikx = ∑−n ≤ k ≤ n ck eikx, mit ck = 12π ∫2π0f (x) e− ikx dx für alle −n ≤ k ≤ n. |
(2) | Im euklidischen Vektorraum V = ℝ(ℕ) aller reellen Folgen mit endlichem Träger sei U = { a1 e1 + … + an en | n ≥ 1, a1 + … + an = 0 } der Unterraum aller Folgen, deren Folgenglieder sich zu 0 aufsummieren. Ist nun v ∈ U⊥, so gilt wegen ei − ej ∈ U für i ≠ j, dass v(i) − v(j) = 〈 v, ei − ej 〉 = 0 für alle i ≠ j. Also ist v konstant damit gleich 0. Folglich ist U⊥ = { 0 } und (U⊥)⊥ = V ≠ U. Da U und V eine abzählbar unendliche Dimension besitzen, existieren Orthonormalbasen der beiden Räume. Eine Orthonormalbasis von U lässt sich aber wegen U⊥ = { 0 } nicht zu einer Orthonormalbasis von V fortsetzen. Das orthogonale Analogon des Basisergänzungssatzes ist also nicht mehr gültig. |