8.3Das charakteristische Polynom

Definition (charakteristisches Polynom)

pA  =  det a11Xa12a1na21a22Xa2nan1annX

Charakteristisches Polynom einer Matrix

Seien K ein Körper und A  ∈  Kn × n, n ≥ 1. Dann heißt

pA  =  det(A − XEn)   ∈  K [ X ]

das charakteristische Polynom von A.

Charakteristisches Polynom eines Endomorphismus

Sind V ein n-dimensionaler K-Vektorraum und f : V  V ein Endomorphismus, so heißt

pf  =  det(A − XEn)   ∈  K[ X ]

das charakteristische Polynom von f, wobei A  ∈  Kn × n die darstellende Matrix von f bzgl. einer beliebigen Basis von V ist.

 Die Definition ist durch die Beobachtung motiviert, dass ein Skalar λ genau dann ein Eigenwert von A ist, wenn A − λEn singulär ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn

pA(λ)  =  det(A − λEn)  =  0.

Mit anderen Worten:

Die Nullstellen von pA sind die Eigenwerte von A.

Bemerkung

Wir haben Determinanten nur für Matrizen mit Einträgen aus einem Körper K eingeführt. Hier benötigen wir sie für Matrizen mit Einträgen im Polynomring K[ X ]. Folgende Lösungen sind möglich: (1) Man entwickelt die Determinantentheorie allgemeiner für Matrizen über Ringen. (2) Man erweitert den Polynomring K[ X ] zum Körper K(X) der rationalen Funktionen, dessen Elemente in der Form P(X)/Q(X) mit P(X), Q(X)  ∈  K[ X ] dargestellt werden können. Wegen K[ X ] ⊆ K(X) ist dann die benötigte Determinante erklärt.

 Die Leibniz-Formel zeigt, dass pA tatsächlich ein Polynom (vom Grad n) ist:

pA  =  det(A − XEn)  =  σ  ∈  Sn sgn(σ) (aσ(1), 1 − Xδσ(1), 1) … (aσ(n), n − Xδσ(n), n)  = 
b0  +  b1 X1  +  …  +  bn Xn,

mit gewissen Koeffizienten b0, …, bn  ∈  K, von denen wir drei einfach angeben können:

b0  =  det(A),  bn − 1  =  (−1)n − 1(a11  +  …  +  ann),  bn  =  (−1)n.

 Um zu zeigen, dass das charakteristische Polynom pf nicht von der Wahl der Basis abhängt, betrachten wir ein S  ∈  GL(n, K). Dann gilt für A′ = SAS−1:

det(A − XEn)  =  det(S) det(A − XEn) det(S−1)  =  det(S (A − XEn) S−1)  = 

det(SAS−1 − S XEn S−1)  =  det(SAS−1 − XEn)  =  det(A′ − XEn).

Mit anderen Worten:

Ähnliche Matrizen besitzen dasselbe charakteristische Polynom.

 Die Darstellung von bn − 1 motiviert einen neuen Begriff: Die Summe der Diagonaleinträge einer Matrix A heißt die Spur von A,

spur(A)  =  a11  +  …  +  ann.

Da die charakteristischen Polynome ähnlicher Matrizen gleich sind, folgt: Ähnliche Matrizen besitzen die gleiche Spur. Ist A diagonalisierbar, so ist die Spur von A also die Summe λ1 + … + λn der (in ihrer Vielfachheit gezählten) Eigenwerte von A.

Beispiel:  Die Dimension n = 2

Für n = 2 gilt

pA  =  det(A − XEn)  =  a11Xa12a21a22X  =  (a11 − X)(a22 − X)  −  a12 a21  =

X2  −  (a11 + a22) X  +  a11 a22  −  a12 a21  =  X2  −  spur(A) X  +  det(A).

Ist K = , so entscheidet die Diskriminante d = spur(A)2 − 4 det(A) über die Existenz von Eigenwerten:

Ist d < 0, so hat A keine Eigenwerte.

Ist d = 0, so ist spur(A)/2 der einzige Eigenwert von A.

Ist d > 0, so hat A die zwei Eigenwerte λ1,2 = (spur(A) ± d)/2.

Für die in 8. 2 betrachtete Matrix A = 1211  ∈  2 × 2 ist d = 8 und wir erhalten

pA  =  X2  −  2X  −  1  =  (X − (1 + w)) (X − (1 − w))  mit  w = 2.

Zugehörige Eigenvektoren kann man nun durch Lösen der Gleichungssysteme

(A − (1 + w) E2)x  =  0,  (A − (1 − w) E2)x  =  0

finden. Die Eigenräume sind Geraden durch 0.