8.4 Das Diagonalisierbarkeitskriterium
Satz (Diagonalisierbarkeitskriterium, Übereinstimmung der Vielfachheiten)
Seien V ein n-dimensionaler K-Vektorraum und f : V → V ein Endomorphismus. Dann sind äquivalent:
(a) | f ist diagonalisierbar. |
(b) | Das charakteristische Polynom pf ∈ K[ X ] von f zerfällt in Linearfaktoren, pf = (−1)n (X − λ1)μ1 (X − λ2)μ2 … (X − λk)μk, mit λi ≠ λj für i ≠ j, und für alle Eigenwerte λ von f ist die geometrische Vielfachheit von λ gleich der algebraischen Vielfachheit von λ als Nullstelle von pf : dim(Eig(f, λi)) = μi für alle 1 ≤ i ≤ k. |
Wir wissen, dass die Nullstellen von pf die Eigenwerte von f sind: σ(f) = { λ | pf(λ) = 0 }. Weiter wissen wir, dass f genau dann diagonalisierbar ist, wenn V die direkte Summe aller Eigenräume ist. Die Diagonalisierbarkeit von f ist also gleichwertig zu
∑λ ∈ σ(f) dim(Eig(f, λ)) = n.
Gilt (b) wie im Satz, so ist dies erfüllt, da dann
∑λ ∈ σ(f) dim(Eig(f, λ)) = ∑1 ≤ i ≤ k μi = n.
Um auch „(a) impliziert (b)“ zu zeigen, beobachten wir, dass für alle Endomorphismen f und alle Eigenwerte λ von f unabhängig vom Zerfallen von pf in Linearfaktoren gilt:
Die geometrische Vielfachheit von λ ist kleinergleich der
algebraischen Vielfachheit der Nullstelle λ von pf.
Um die Ungleichung einzusehen, ergänzen wir eine Basis (v1, …, vk) von Eig(f, λ) zu einer Basis 𝒜 = (v1, …, vn) von V. Dann hat die darstellende Matrix von f bzgl. 𝒜 die Blockform
A = , k = dim(Eig(f, λ)).
Da wir zur Berechnung von pf eine beliebige darstellende Matrix verwenden können, ist
pf = det(A − XEn) = det(λEk − XEk) det(C − XEn − k) = (λ − X)k pC, sodass k ≤ μpf(λ).
Ist f diagonalisierbar, so gilt also
n = ∑λ ∈ σ(f) dim(Eig(f, λ)) ≤ ∑pf(λ) = 0 μpf(λ) ≤ n.
Dies ist nur möglich, wenn μpf(λ) = dim(Eig(f, λ)) für alle λ ∈ σ(f), sodass (b) gilt.
In ℂ zerfällt jedes Polynom in Linearfaktoren (Fundamentalsatz der Algebra, vgl. 2. 12). Damit erhalten wir:
Diagonalisierbarkeitskriterium für Endomorphismen f : ℂ → ℂ
f ist genau dann diagonalisierbar, wenn dim(Eig(f, λ)) = μpf(λ) für alle λ ∈ σ(f).
Die folgenden Beispiele zeigen, dass die geometrische Vielfachheit echt kleiner sein kann als die algebraische Vielfachheit.
v(ε) = (1, 1) ≠ w(ε) für ε > 0, v(0) = w(0)
Beispiele
(1) | Für ε ≥ 0 sei A(ε) = . Es gilt pA(ε) = det = (X − 1)2 − ε2, sodass σ(A(ε)) = { 1 + ε, 1 − ε } mit Eigenvektoren v(ε) = (1, 1), w(ε) = ((1 + ε)/(1 − ε), 1)). Im Grenzfall ε = 0 erhalten wir eine doppelte Nullstelle des charakteristischen Polynoms, deren geometrische Vielfachheit gleich 1 ist. |
(2) | Seien a, b, c ∈ ℝ. Für die obere Dreiecksmatrix A = ∈ ℝ2 × 2 ist pf = (a − X) (c − X). Damit gilt σ(f) = { a, c }. Ist a ≠ c, so ist A diagonalisierbar; die Vektoren v1 = e1 = (1, 0) und v2 = (b/(c − a), 1) bilden eine Eigenbasis. Ist a = c, so ist a eine doppelte Nullstelle von pf und dim(Eig(A, a)) = dim Kern(A − aE2) = 2 − rang ∈ { 1, 2 }. Im Fall a = c ist also A genau dann diagonalisierbar, wenn b = 0. Für b = 0 sind e1 und e2 Eigenvektoren, für b ≠ 0 ist Eig(A, a) = span(e1). |