Die Brennpunkte einer Ellipse
Die beiden Exzentrizitäten spielen nicht nur im rechnerischen Umgang mit Ellipsen eine wichtige Rolle, sondern sie besitzen auch eine anschauliche geometrische Bedeutung. Hierzu definieren wir:
Definition (Brennpunkte)
Sei E = Ea, b eine achsenparallele Ellipse. Gilt a ≥ b, so heißen
F1 = (e, 0) und F2 = (−e, 0)
die Brennpunkte oder Fokuspunkte der Ellipse E. Analog werden die Brennpunkte durch
F1 = (0, e) und F2 = (0, −e)
definiert, falls b > a.
Die lineare Exzentrizität gibt den Abstand eines Brennpunkts zum Nullpunkt an und die numerische Exzentrizität das Verhältnis dieses Abstands zur entsprechenden Halbachse. Je näher ein Brennpunkt an seinem zugehörigen Scheitelpunkt liegt, desto stärker ist die Abweichung der Ellipse von einem Kreis (vgl. hierzu auch die folgende Abbildung). Im Kreisfall a = b sind beide Brennpunkte der Nullpunkt.
Wir nehmen im Folgenden der Einfachheit halber a ≥ b an, sodass die Brennpunkte auf der x-Achse liegen. Da Ea, b und Eb, a durch eine Spiegelung an der Winkelhalbierenden ineinander übergehen (die algebraisch dem Austausch der Variablen x und y entspricht), ist dies keine Einschränkung.
Die obigen Ellipsen E2, 1, E1, 2 und E3, 1/2 mit ihren Brennpunkten. Für die Ellipse E3, 1/2 liegen die Brennpunkt bereits sehr nahe an den Scheitelpunkten der großen Halbachsen. Hier gilt F1 = (e, 0) mit
e = = 2,9580…
Das Paar der Brennpunkte übernimmt für eine Ellipse die Rolle des Kreismittelpunkts im folgenden Sinne: Gehen wir geradlinig vom Mittelpunkt eines Kreises mit Radius r zu einem Punkt des Kreises und wieder zurück, so ergibt sich immer die Weglänge 2r. Bei einer Ellipse Ea,b ergibt sich immer die Weglänge 2a, wenn wir von F1 geradlinig zu einem Punkt der Ellipse und dann von diesem Punkt geradlinig zu F2 gehen.
Illustration der Fokuseigenschaft für die Ellipse E2, 1: Die farbigen Linienpaare, die von einem Fokuspunkt zur Ellipse und dann zum anderen Fokuspunkt führen, haben die konstante Länge 4 (mit 4 = 2a).
Diese keineswegs offensichtliche Eigenschaft lässt sich durch Manipulation der algebraischen Gleichung einer Ellipse nachweisen:
Satz (Fokuseigenschaft)
Sei E = Ea, b eine achsenparallele Ellipse mit a ≥ b. Dann liegt ein Punkt P = (x, y) der Ebene genau dann auf der Ellipse E, wenn die Summe der Abstände r1 und r2 von P zu den Brennpunkten F1 und F2 von E gleich 2a ist, d. h. wenn
r1 + r2 = ∥ P − F1∥ + ∥ P − F2 ∥ = 2a
Beweis
Sei P = (x, y) ∈ ℝ2 beliebig. Nach Definition von r1,2 gilt:
(I) | r12 = ∥ (x − e, y) ∥2 = (x − e)2 + y2 |
(II) | r22 = ∥ (x + e, y) ∥2 = (x + e)2 + y2 |
Durch Subtraktion (II) − (I) und Anwendung der Binomischen Formeln ergibt sich
(+) r22 − r12 = (x + e)2 − (x − e)2 = 4xe
Die Behauptung des Satzes ergibt sich nun durch die folgenden Äquivalenzumformungen:
r1 + r2 = 2a | |
r1 = 2a − r2 | (r1 ≥ 0) |
r12 = 4a2 − 4ar2 + r22 | |
4ar2 = r22 − r12 + 4a2 | (nach (+)) |
ar2 = xe + a2 | (a, r2 ≥ 0) |
a2r22 = x2e2 + 2xea2 + a4 | (Definition von r2) |
a2(x2 + 2xe + e2 + y2) = x2e2 + 2xea2 + a4 | |
x2(a2 − e2) + a2 y2 = a2 (a2 − e2) | (e2 = a2 − b2) |
b2 x2 + a2 y2 = a2 b2 | (Ellipsengleichung) |
(x, y) ∈ E |
Wir geben noch ein zweites Argument mit Hilfe der folgenden für sich interessanten und überraschend einfachen Formeln für die Abstände r1 und r2:
Satz (Abstandsformeln für die Brennpunkte)
Sei E = Ea, b mit a ≥ b. Weiter sei P = (x, y) ∈ E. Dann gilt:
r1 = a − ε x, r2 = a + ε x, wobei r1,2 = ∥ P − F1,2 ∥
Beweis
Sei s = b/a. Weiter sei P = (x, y) ∈ ℝ2. Wir formen wieder zeilenweise äquivalent um:
P ∈ E | |
b2 x2 + a2 y2 = a2 b2 | |
y2 = b2 − s2 x2 | |
x2 + y2 = x2 + b2 − s2x2 | (ε2 = 1 − s2) |
x2 + y2 = b2 + x2ε2 |
Damit erhalten wir:
r12 | = (x − e)2 + y2 |
= x2 − 2xe + e2 + y2 | |
= b2 + e2 − 2xe + x2ε2 | |
= a2 − 2x εa + x2ε2 = (a − xε)2 |
Folglich ist |r1| = |a − εx|. Wegen r1 ≥ 0 und ε x ≤ x ≤ a können wir die Betragsstriche weglassen. Analoges gilt für r2.
Aus den Abstandsformeln folgt unmittelbar, dass r1 + r2 = 2a für alle P ∈ E. Für jedes x ∈ ℝ ist die Funktion fx : [ 0, ∞ ] → ℝ mit
fx(y) = r1(x, y) + r2(x, y) für alle y ≥ 0
streng monoton steigend, sodass es für jedes x höchstens ein y ≥ 0 geben kann mit fx(y) = 2a. Ist |x| = a, so gilt fx(0) = 2a. Gilt |x| > a, so ist fx(y) > 2b für alle y. Aus r1,2(x, y) = r1,2(x, −y) folgt, dass keine weiteren Punkte der Ebene die Fokuseigenschaft besitzen.