Sektorflächen von Ellipsen

 Als Anwendung der Integralformel für überstrichene Flächen berechnen wir die Sektorflächen von Ellipsen.

Satz (Sektorflächen von Ellipsen)

Seien a, b > 0 und φ  ∈  ] 0, π/2 [. Dann gilt für den Flächeninhalt ar(φ) des durch den Winkel φ (mit der positiven x-Achse) definierten Sektors von Ea, b:

ar(φ)  =  a b2 arctan(ab tan φ)

 Für Winkel φ in einem anderen Quadranten kann die Sektorfläche ar(φ) mit Hilfe der Symmetrieeigenschaften von Ea, b berechnet werden. Für Vielfache von π/2 ergeben sich entsprechende Vielfache des Viertels a b π/4 der Gesamtfläche von Ea, b. Für einen Winkel φ  ∈  ] π/2, π [ im zweiten Quadranten erhalten wir

ar(φ)  =  a b2(π  −  arctan(ab tan(π − φ)))  =  a b2(π  +  arctan(ab tan φ))

Denn die Sektorfläche ist hier die Hälfte der Ellipsenfläche abzüglich der Fläche des durch π − φ definierten Sektors. Analoges gilt für die anderen Quadranten.

Beweis

Wir verwenden die Kurve f : [ −π, π ]  2 mit

f (t)  =  r(t) (cos t, sin t)

r(t)  =  ∥ (cos(t)/a, sin(t)/b) ∥−1  =  abb2cos2t+a2sin2t

Es ist leicht nachzurechnen, dass f (t) der Punkt der Ellipse Ea, b mit dem Argument t ist. Auf dem Intervall ] −π/2, π/2 [ gilt

12  r(t)2 dt =  a2 b22  1b2cos2 t + a2 sin2 t dt
=  a22  1cos2 t + (a/b)2 sin2 t dt
=  a b2  11 + (a/b)2 tan2 t a/bcos2 t dt
=  a b2 arctan(ab tan t)

Aus der Flächenformel für skalierte Kreiskurven folgt die Behauptung.

 Wir untersuchen die Kurve f des Beweises im zweiten Abschnitt als „zweite Parametrisierung“ einer Ellipse genauer.

Sektorberechnung durch Skalierung eines Kreises

Für Ellipsensektoren können wir im Gegensatz zur Gesamtfläche kein einfaches Skalierungsargument verwenden: Bei der Skalierung des die Ellipse Ea, b (mit a > b) umschließenden Kreises Ka um den Faktor b/a ändert sich der Winkel eines Kreissektors. Eine geometrische Umrechnung der Winkel führt zur Formel des Satzes. Für φ  ∈  ] 0, π/2 [ betrachten wir das folgende Diagramm:

ellipsen1-AbbIDarealength_ellipticarea_3

Der Winkel ψ wird durch die Skalierung von Ka um den Faktor b/a entlang der y-Achse zum Winkel φ. Der durch ψ definierte Kreissektor wird durch diese Skalierung zu dem durch φ definierten Ellipsensektor.

Im Diagramm gilt:

P0  =  (x0, y0)  =  (x0, a2x02)

P1  =  (x0, y1)  =  (x0, b/a y0),  y0  =  a/b y1

ψ  =  arctan(y0/x0)  =  arctan(a/b y1/x0)  =  arctan(a/b tan φ)

φ  =  arctan(y1/x0)  =  arctan(b/a y0/x0)  =  arctan(b/a tan ψ)

Der durch ψ definierte Kreissektor von Ka hat die Fläche ψ a2/2. Der durch φ definierte Ellipsensektor entsteht aus dem Kreissektor durch Skalierung um den Faktor b/a entlang der y-Achse. Folglich ist ar(φ) das b/a-Fache der Fläche des Kreissektors, sodass

ar(φ)  =  ba ψ a22  =  a b2 ψ  =  a b2 arctan(ab tan φ)

Damit haben wir die Formel des Satzes wiedergefunden.

 Die einfache Formel ar(φ) = (ab/2) ψ ergibt sich auch, wenn wir die Determinanten-Formel für überstrichene Flächen auf die erste Parametrisierung einer Ellipse anwenden. Wir formulieren sie als „Keplersches Gesetz“:

Satz (zweites Keplersches Gesetz für die Standardparametrisierung einer Ellipse)

Seien a, b > 0 und f :   Ea, b definiert durch

f (t)  =  (a cos t, b sin t)  für alle t  ∈  

Dann gilt für alle t0 ≤ t1 in :

ar(f|[ t0, t1])  =  12 t1t0 |det(f (t), f ′(t))| dt  =  ab2 (t1 − t0)

Insbesondere überstreicht f in gleichen Zeiten gleiche Flächen.

Beweis

Für alle t  ∈   gilt:

f (t)  =  (a cos t, b sin t),  f ′(t)  =  (− a sin t, b cos t)

det(f (t), f ′(t)) dt =  ab cos2 t − (− ab sin2 t)
=  ab (cos2 t + sin2 t)  =  ab

Damit erhalten wir

12 t1t0 |det(f (t), f ′(t))| dt  =  12 t1t0 ab dt  =  ab2 (t1 − t0)

Aus der Formel für überstrichene Flächen folgt die Behauptung.

 Die Berechnung einer Sektorfläche einer Ellipse ist besonders einfach, wenn der Winkel φ des Sektors als Winkel ψ des umschließenden „Führungskreises“ vorliegt. In der Version des Satzes ist dieser Winkel eine Zeit t. Die Kurve f (t) ist an den großen Halbachsen beschleunigt und an den kleinen Halbachsen verlangsamt. Wie beim zweiten Keplerschen Gesetz für die Planetenbewegung überstreicht sie in gleichen Zeitintervallen gleiche Flächen. Im Gegensatz zur Planetenbewegung ist der Nullpunkt durch das Zentrum der Ellipse gegeben und nicht durch einen Brennpunkt. Wir werden im Abschnitt über „Ellipsen in der Physik“ hierauf zurückkommen. Die Standardparametrisierung liefert (mit allgemeineren Winkelgeschwindigkeiten) Bahnkurven eines zweidimensionalen harmonischen Oszillators, aber keine Planetenbahnen. Ein Brennpunkt als Kraftzentrum führt zu wesentlich komplizierteren Bahnkurven, wenn das zweite Keplersche Gesetz gelten soll. Wir werden sehen, dass dieses Gesetz eine allgemeine Eigenschaft der Lösungen gewöhnlicher Differentialgleichungen für Zentralkraftfelder ist.