Der Rotationssatz
Wir formulieren noch einmal die Lösungsstrategie, die wir in diesem Kapitel verfolgen:
Heuristik
Wenn unsere Anschauung, dass das Bild A[ K ] des Kreises K für jede invertierbare Matrix A eine zentrische Ellipse ist, korrekt ist, so gibt es einen Winkel φ, sodass die um φ gedrehte Ellipse A[ K ] achsenparallel ist. Damit ist zu vermuten, dass sich jede Matrix A in eine Matrix RA mit orthogonalen Zeilen umformen lässt, durch Anwendung einer Rotationsmatrix R. Der Drehwinkel der Matrix R ist nicht eindeutig bestimmt, da mit φ auch die Drehwinkel φ ± π/2 und φ + π die Ellipse an den Achsen ausrichten.
Der folgende Satz zeigt, dass die „orthogonale Umformung“ tatsächlich möglich ist. Alles Weitere wird sich leicht ergeben.
Satz (Rotationssatz)
Sei A = ((a, b), (c, d)) invertierbar. Dann gibt es eine Rotationsmatrix R derart, dass RA orthogonale Zeilen besitzt. Genauer gilt: Ist
q = (q1, q2) = (a2 + b2 − c2 − d22, ac + bd) und f (φ) = (cos φ, sin φ),
so ist R = rot−φ genau dann eine derartige Rotationsmatrix, wenn die Vektoren q und f (2φ) kollinear sind. Es gilt die Fallunterscheidung:
(a) | Gilt q = 0, so ist A[ K ] ein Kreis und jede Rotationsmatrix R ist wie gewünscht. |
(b) | Ist q ≠ 0, so gibt es genau vier derartige Rotationsmatrizen, deren Winkel sich um Vielfache von π/2 unterscheiden. |
Analog hat A rotφ genau dann orthogonale Spalten, wenn q und f (2φ) kollinear sind, wobei nun in der Definition von q die Parameter b und c vertauscht werden.
Bemerkung
Die erste Komponente von q ist bis auf einen Faktor 1/2 die Differenz der Quadrate der Längen der Zeilenvektoren von A. Die zweite Komponente ist das Skalarprodukt der Zeilenvektoren. Der Leser vergleiche auch die Koeffizienten in der algebraischen Gleichung
(#) (c2 + d2)x2 − 2(ac + bd) x y + (a2 + b2)y2 = det(A)2
Beweis
Es gilt q = 0 genau dann, wenn A gleichlange orthogonale Zeilen besitzt. Nach dem Ellipsen-Satz für für orthogonale Zeilen ist dann A[ K ] ein Kreis mit Radius σ1 = σ2 = ∥ (a, b) ∥, und R = rot−φ ist für alle φ wie gewünscht. Wir nehmen also q ≠ 0 an.
Sei φ ∈ ℝ. Dann gilt rot−φ = ((cos φ, sin φ), (− sin φ, cos φ)) und
rot−φ A =
Sind v und w die Zeilen von rot−φ A, so gilt unter Verwendung der Verdopplungsformeln cos2 t − sin2 t = cos(2t), 2 cos t sin t = sin(2t):
〈 v, w 〉 | = (ac + bd) (cos2φ − sin2φ) − (a2 + b2 − c2 − d2) cos φ sin φ |
= (ac + bd) cos(2φ) − (a2 + b2 − c2 − d2)/2 sin(2φ) | |
= 〈 q, (− sin(2φ), cos(2φ) 〉 | |
= 〈 q, rotπ/2f (2φ) 〉 |
Damit ist 〈 v, w 〉 genau dann gleich 0, wenn q und rotπ/2f (2φ) orthogonal, d. h. q und f (2φ) kollinear sind. Dies ist für genau vier Winkel φ in [ 0, 2π [ (oder ] −π, π ]) der Fall, die sich um Vielfache von π/2 unterscheiden. Die zweite Aussage folgt mit
(A rotφ)t = rot−φ At
aus der ersten.
Die klassischen Verdopplungsformeln für den Kosinus und Sinus spielen bei dieser Argumentation eine Schlüsselrolle. Sie ermöglichen eine überraschend einfache geometrische Interpretation des Skalarprodukts der Zeilen von rotφ A.
Als Geschenk erhalten wir:
Korollar (Matrix-Ellipsen)
Sei A invertierbar. Dann ist A[ K ] eine Ellipse.
Beweis
Sei φ derart, dass B = rot−φA orthogonale Zeilen besitzt. Dann ist EB = B[ K ] eine achsenparallele Ellipse. Es gilt A = rotφ B und folglich
A[ K ] = rotφ B [ K ] = rotφ [ EB ]
Damit ist A[ K ] die um φ gedrehte Ellipse EB.
Wir beschreiben nun die Ellipse A [ K ] einer Matrix A genauer.