Degenerierte Kegelschnitte

 Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass alle Vereinigungen zweier affiner Geraden als Kegelschnitte auftreten:

Produkt zweier Gleichungen ersten Grades

Seien ax + by + c = 0, a′x + b′y + c′ = 0 zwei Gleichungen ersten Grades in x, y  ∈   mit den Lösungsmengen L bzw. L′. Die Mengen L und L′ sind affine Geraden (da (a, b) ≠ 0 und (a′, b′) ≠ 0). Das Produkt

(ax + by + c) (a′x + b′y + c′)  =  0

ist eine Gleichung zweiten Grades in x, y mit der Lösungsmenge L ∪ L′. Ausmultiplizieren ergibt die Gleichung

a a′ x2  +  (ab′ + a′b) x y  +  bb′ y2  +  (ac′ + a′ c) x  +  (bc′ + b′c)y  +  cc′  =  0

Damit ist jede Vereinigung zweier affiner Geraden ein Kegelschnitt.

Der Fall L = L′ ist möglich und liefert eine „doppelte“ Gerade als Lösungsmenge. Die Geradengleichung y − x = 0 ergibt mit sich selbst multipliziert beispielsweise die algebraische Gleichung

x2 − 2xy + y2  =  0

Die Lösungsmenge ist die Winkelhalbierende { (x, x) | x  ∈   }.

 Wir führen folgende traditionelle Sprechweise ein:

Definition (degenerierter Kegelschnitt)

Ein Kegelschnitt L heißt degeneriert, wenn L eine Gerade, ein Geradenpaar, einpunktig oder leer ist.

 Die nicht linearen Sonderfälle „einpunktig“ und „leer“ lassen sich als „Produkt zweier Geraden“ auffassen, wenn wir die komplexen Zahlen zulassen:

(1)

Der Kegelschnitt L = { 0 } wird definiert durch x2 + y2 = 0. In  lässt sich diese Gleichung faktorisieren als

(x − i y) (x + i y)  =  0

(2)

Der leere Kegelschnitt wird definiert durch x2 + 1 = 0. In  ist die Gleichung äquivalent zu

(x − i)(x + i)  =  0

Allgemein entsprechen die degenerierten Kegelschnitte den algebraischen Gleichungen zweiten Grades, die sich (zumindest in ) als Produkt zweier Gleichungen ersten Grades schreiben lassen.

Die Sonderrolle der leeren Menge

Die leere Menge ist auch die Lösungsmenge der reellen Gleichung

x2 + y2 + 1  =  0,

die sich in den komplexen Zahlen  nicht faktorisieren lässt. In  hat jede algebraische Gleichung zweiten Grades aufgrund des Fundamentalsatzes der Algebra eine Lösung, sodass die leere Menge über  kein Kegelschnitt ist (dies gilt auch für die einpunktigen Mengen). Auch bei den geometrischen Kegelschnitten tritt die leere Menge nicht auf. Sie spielt in den reellen Zahlen eine Sonderrolle, die wir bei der Klassifikation der Kegelschnitte immer beachten müssen.