Kegelschnitte als Kegelschnitte

Wir betrachten den an der z-Achse ausgerichteten Doppelkegel

C  =  { (α, β, γ)  ∈  3 | α2 + β2 = γ2 }  =  { (α, β, γ)  ∈  3 | α2 + β2 − γ2 = 0 }

Weiter sei

E  =  v3 + span(v1, v2)  =  { v3 + x v1 + y v2 | x, y  ∈   },  vk  =  (xk, yk, zk)  für k = 1, 2, 3

die affine Ebene mit dem Aufsatzpunkt v3 und den linear unabhängigen Richtungsvektoren v1 und v2. (Wir verwenden x, y anstelle von λ, μ als Skalare, da x und y die Variablen des Kegelschnitts sein werden; mit Blick auf die Matrix-Darstellung verdient der Aufsatzpunkt den Index 3.) Wir setzen

L  =  { (x, y)  ∈  2 | v3 + x v1 + y v2  ∈  C }

Die Menge L ist die Menge der inhomogenen Koordinaten der Vektoren in der Schnittmenge E ∩ C ⊆ 3 bzgl. unserer Darstellung E = v3 + span(v1, v2). Sind v1, v2 orthonormal, so können wir E als Kopie der Ebene 2 ansehen (mit Ursprung v3 und Basisvektoren v1, v2) und L mit E ∩ C identifizieren.

 Sei nun (x, y)  ∈  2 beliebig. Dann ist (x, y)  ∈  L äquivalent zu

(+)  (x3 + x x1 + y x2)2  +  (y3 + x y1 + y y2)2  −  (z3 + x z1 + y z2)2  =  0

Als Lösungsmenge der algebraischen Gleichung (+) zweiten Grades in den Variablen x, y ist bereits jetzt klar, dass L ein Kegelschnitt ist. Zur Identifikation des Typs multiplizieren wir die qudratischen Terme aus. Wir erhalten so die äquivalente Gleichung

(++)  a x2  +  b x y  +  c y2  +  d x  +  e y  +  f  =  0

mit den Koeffizienten

a =  x12 + y12 − z12 =  〈 v1, v1 〉*
b =  2 x1 x2 + 2 y1 y2 − 2 z1 z2 =  2 〈 v1, v2 〉*
c =  x22 + y22 − z22 =  〈 v2, v2 〉*
d =  2 x1 x3 + 2 y1 y3 − 2 z1 z3 =  2 〈 v1, v3 〉*
e =  2 x2 x3 + 2 y2 y3 − 2 z2 z3 =  2 〈 v2, v3 〉*
f =  x32 + y32 − z32 =  〈 v3, v3 〉*

wobei das „modifizierte Skalarprodukt“ 〈 ·, · 〉* definiert ist durch

〈 v, w 〉*  =  〈 v, diag(1, 1, −1) w 〉  für alle v, w  ∈  3

Ein Wert 〈 v, w 〉* wird wie für das Standard-Skalarprodukt berechnet, jedoch mit einem Minuszeichen vor dem letzten Summanden. Algebraisch ist die Abbildung 〈 ·, · 〉* : 3 × 3   eine symmetrische Bilinearform. Es gilt 〈 v, w 〉* = 〈 w, v 〉*. Ein Produkt 〈 v, v 〉* ist genau dann null, wenn v  ∈  C, da

C  =  { (α, β, γ)  ∈  3 | α2 + β2 − γ2 = 0 }  =  { v  ∈  3 | 〈 v, v 〉* = 0 }

Weiter ist 〈 v, v 〉* genau dann negativ (positiv), wenn v im Inneren (Äußeren) des Doppelkegels C liegt. Die darstellende 3 × 3-Matrix der Gleichung (++) können wir mit Hilfe der Bilinearform sehr ansprechend angeben:

A3 × 3  =  (〈 vi, vj 〉*)1 ≤ i, j ≤ 3  =  v1,v1*v1,v2*v1,v3*v1,v2*v2,v2*v2,v3*v1,v3*v2,v3*v3,v3*

Orthonormalität der aufspanennden Vektoren

Wir nehmen zur Vereinfachung der Determinanten-Berechnung ab jetzt an, dass die Vektoren v1, v2 orthogonal und normiert sind.

Dann gilt

〈 v1, v1 〉*  =  x12 + y12 + z12 − 2z12  =  1 − 2 z12

〈 v2, v2 〉*  =  x22 + y22 + z22 − 2z22  =  1 − 2 z22

〈 v1, v2 〉*  =  x1 x2 + y1 y2 + z1z2 − 2z1 z2  =  − 2 z1 z2

Damit können wir berechnen:

det(A2 × 2) =  〈 v1, v1 〉* 〈 v2, v2 〉* − 〈 v1, v2 〉*2
=  1 − 2z12 − 2z22 + 4 z12 z22 − 4 z12 z22  =  1 − 2(z12 + z22)

Nach dem Klassifikationssatz gilt also:

Klassifikation von L
z12 + z22  <  1/2 L ist eine Ellipse oder einpunktig
z12 + z22  =  1/2L ist eine Parabel oder eine Gerade
z12 + z22  >  1/2 L ist eine Hyperbel oder ein Geradenkreuz

Die leere Menge oder ein Paar paralleler Geraden sind aus geometrischen Gründen nicht möglich. Jede Gerade im Doppelkegel C verläuft durch den Nullpunkt. Weiter ist „L ist einpunktig“ äquivalent mit L = { 0 }.

 Die Größe z12 + z22 können wir geometrisch interpretieren. Sei hierzu

u  =  v1 × v2

Dann steht u senkrecht auf v1 und v2 und es gilt ∥ u ∥ = 1 (Fläche des von v1 und v2 aufgespannten Parallelogramms). Die Matrix B = (v1; v2; u) ist also orthogonal und hat damit nicht nur normierte Spalten, sondern auch normierte Zeilen. Verwenden wir dies für die dritte Zeile (z1, z2, u3), so erhalten wir mit u = (u1, u2, u3):

z12  +  z22  +  u32  =  1  =  u12  +  u22  +  u32

Folglich gilt

z12  +  z22  =  u12  +  u22

Damit können wir z12 + z22 in Verbindung bringen mit:

Winkel zwischen Schnittebene und x-y-Ebene

Sei Ex,y die x-y-Ebene. Dann ist der Winkel φ  ∈  [ 0, π/2 ] zwischen E und Ex,y gleich dem Winkel, den die von zwei Normalenvektoren von E und Ex,y erzeugten Geraden miteinander einschließen (mit φ = 0 im Fall paralleler Ebenen). Damit gilt nach der Winkelformel

cos φ  =  | 〈 v1 × v2, (0, 0, 1) 〉 |  =  | 〈 u, (0, 0, 1) 〉 |  =  | u3 |  =  | x1 y2 − x2 y1 |

Folglich ist

cos φ  =  |u3|  =  u32  =  1(u12+u22)  =  1(z12+z22)

Mit der Wasserscheide cos(π/4) = 1/2 liest sich die obige Klassifikation für den Winkel φ zwischen E und der x-y-Ebene nun so:

Klassifikation von L, Winkelversion
φ  ∈  [ 0, π/4 [ L ist eine Ellipse oder einpunktig
φ  =  π/4 L ist eine Parabel oder eine Gerade
φ  ∈  ] π/4, π/2 ] L ist eine Hyperbel oder ein Geradenkreuz

 Das Ergebnis entspricht unserer geometrischen Anschauung: Ist E parallel zur x-y-Ebene, so erhalten wir einen Kreis oder die einpunktige Menge { 0 } (im Fall 0  ∈  E) als Schnitt. Für schiefe Ebenen bis zu einem Neigungswinkel unter π/4 ergeben sich Ellipsen oder { 0 } (im Fall 0  ∈  E). Ist φ = π/4, so ist der Schnitt eine Parabel oder eine Gerade (im Fall 0  ∈  E). Für diesen Winkel gibt es eine zur Schnittebene parallele Gerade des Kegels. Für Winkel größer in ] π/4, π/2 ] ist der Schnitt eine Hyperbel oder ein Geradenkreuz (erneut im Fall 0  ∈  E).

 Diese Überlegung führt dreidimensional vor Augen, dass Parabeln zwischen den Welten der Ellipsen und Hyperbeln liegen:

Kippen einer Schnittebene

Für die Ebene

E0  =  (−1, 0, 1)  +  span((1, 0, 0), (0, 1, 0))

gilt E0 ∩ C = K1. Nun fixieren wir den Aufsatzpunkt (−1, 0, 1) und kippen die Ebene um einen „Nickwinkel“ φ bzgl. der x-Achse zu

Eφ  =  (−1, 0, 1)  +  span((cos φ, 0, sin φ), (0, 1, 0))

Für φ < π/4 ergeben sich Ellipsen, die für φ = π/4 in eine Parabel übergehen. Für φ > π/4 erhalten wir Hyperbeln mit „aus dem Unendlichen kommenden“ zweiten Ästen, deren Scheitelpunkte sehr große negative z-Werte besitzen, wenn φ nur wenig größer als π/4 ist.

ellipsen1-AbbIDgeoconics_sectionconic_1

Schnitt von C mit E0 (Einheitskreis)

ellipsen1-AbbIDgeoconics_sectionconic_2

Schnitt von C mit Eφ für φ = π/8 (Ellipse)

ellipsen1-AbbIDgeoconics_sectionconic_3

Schnitt von C mit Eφ für φ = π/4 (Parabel)

ellipsen1-AbbIDgeoconics_sectionconic_4

Schnitt von C mit Eφ für φ = 3 π/8 (Hyperbel)

ellipsen1-AbbIDgeoconics_sectionconic_5

Schnitt von C mit Eφ für φ = π/2 (Einheitshyperbel)

Berechnung der Schnittgleichungen

Sei φ  ∈  [ 0, π/2 [. Wir berechnen die algebraische Gleichung der Menge Lφ der inhomogenen Koordinaten von C ∩ Eφ, wobei wieder

Eφ  =  v3 + span(v1, v2)  =  (−1, 0, 1)  +  span((cos φ, 0, sin φ), (0, 1, 0))

Die Vektoren v1, v2 sind orthogonal und normiert. Mit der Verdopplungsformel cos(2φ) = cos2 φ − sin2 φ erhalten wir:

A3 × 3  =  (〈 vi, vj 〉*)i, j  =  cos(2φ)0(cosφ+sinφ)010(cosφ+sinφ)00

Damit wird Lφ definiert durch die Gleichung

〈 (x, y, 1), A3 × 3 (x, y, 1) 〉  =  0

Ausrechnen liefert

(+)  cos(2φ) x2  +  y2  −  2(cos φ + sin φ) x  =  0

Sei A = A2 × 2, und sei δ = det(A) = cos(2φ). Wir erhalten:

Ellipsen

Für φ  ∈  [ 0, π/4 [ ist δ > 0 und (+) definiert eine Ellipse mit dem Nullpunkt als linkem Scheitelpunkt. Für φ = 0 ergibt sich

x2  +  y2 − 2x  =  0  (äquivalent zu (x − 1)2 + y2 = 1)

Diese Gleichung definiert den um (1, 0) verschobenen Einheitskreis K1.

Parabel

Für φ = π/4 ist δ = 0 und (+) wird zur Gleichung

y2 − 2 2 x  =  0  (äquivalent zu x = 2/4 y2)

der positiven x-Achse ausgerichteten Parabel mit der Öffnung 2/4 und dem Brennpunkt

F  =  (1/2, 0)  =  (2/2, 0)

Hyperbeln

Für φ  ∈  ] π/4, π/2 ] ist δ < 0 und (+) definiert eine Hyperbel mit dem Nullpunkt als rechtem Scheitelpunkt. Für φ = π/2 ergibt sich

− x2 + y2 − 2x  =  0  (äquivalent zu (x + 1)2 − y2  =  1),

also die um (−1, 0) verschobene Einheitshyperbel H1, 1.

Wir können die Gleichung (+) mit Hilfe der Klassifikationssätze für Kegelschnitte genauer analysieren. Für δ ≠ 0 ist

w0  =  − 1/2 A−1 (2 (cos φ + sin φ), 0)  =  − ((cosφ + sinφ)/cos(2φ), 0)

das Zentrum der durch die Gleichung definierten Ellipsen und Hyperbeln. Zentrierung liefert die Gleichung

(++)  cos(2φ) x′2 + y′2  =  (cos φ + sin φ)2cos(2φ)

Mit Hilfe dieser Gleichung können wir die Halbachsen aφ, bφ und die Exzentrizität εφ berechnen. Setzen wir σ = sgn(cos(2φ)), so ergibt sich:

aφ  =  cos φ + sin φσ cos(2φ)

bφ  =  cosφ+sinφσcos(2φ)  =  aφ σcos(2φ)

εφ  =  1cos(2φ)  =  2 sin φ

Speziell gilt

a0  =  1,  b0  =  1, ε0  =  0  (Einheitskreis)

aπ/2  =  1,  bπ/2  =  1, επ/2  =  2  (Einheitshyperbel)

Für φ = π/4 ist δ = 0, sodass dieser Fall nicht unter die Rechnung fällt. Die Formel εφ = 2 sin φ gibt dennoch den korrekten Parabel-Wert ε = 1 für diesen Winkel.