Das Gravitationsgesetz

 Wir betrachten zwei Massepunkte q1, q2 (mit q1 ≠ q2) im dreidimensionalen Euklidischen Raum 3 mit den Massen m1 und m2 (etwa: q1 Schwerpunkt der Erde, q2 Schwerpunkt der Sonne). Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz wirken auf q1 und q2 die vektoriellen Schwerkräfte

F1  =  G m1 m2∥ q2 − q1 ∥2 q2 − q1∥ q2 − q1(Kraft auf q1)

F2  =  G m1 m2∥ q1 − q2 ∥2 q1 − q2∥ q1 − q2(Kraft auf q2)

mit der Gravitationskonstanten G und normierten Richtungsvektoren auf der rechten Seite. Die beiden Massepunkte ziehen sich gegenseitig an: Die Kraft F1 zeigt von q1 in Richtung q2, und analog zeigt die Kraft F2 von q2 in Richtung q1. Es gilt F2 = − F1. Insbesondere stimmen die beiden Kräfte im Betrag überein. Dieser Betrag nimmt quadratisch im Abstand der Körper ab, die beiden Massen gehen direkt proportional ein. Der Betrag der Kräfte strebt gegen unendlich, wenn der Abstand gegen Null konvergiert.

 Mit dem von q2 nach q1 zeigenden Differenzvektor

q  =  q1 − q2(Differenzvektor von q2 nach q1)

und der Symmetrie

∥ q1 − q2 ∥  =  ∥ q2 − q1 ∥

des Euklidischen Abstands können wir die beiden Kräfte in der folgenden von q abhängigen Form notieren:

F1(q)  =  − G m1 m2∥ q ∥2(Kraft auf q1)

F2(q)  =  G m1 m2∥ q ∥2 q̂  =  − F1(q)(Kraft auf q2)

Hier und im Folgenden ist wieder q̂ = q/∥ q ∥ für q ≠ 0 und q̂ = 0 für q = 0.

 Fassen wir alle Konstanten in

k  =  G m1 m2

zusammen, so gilt

F1(q)  =  − k∥ q ∥2 q̂,  F2(q)  =  − F1(q)

Das Zwei-Körper-Problem für die Gravitationskraft besteht darin, die Differentialgleichungen

m1 q1(t)″  =  F1(q)(zweites Newtonsches Gesetz für q1)

m2 q2(t)″  =  F2(q)(zweites Newtonsches Gesetz für q2)

mit Funktionen q1, q2 : I  3 und q(t) = q2(t) − q1(t) für alle t  ∈  I zu lösen. Dabei ist I ein offenes reelles Intervall, das den Nullpunkt enthält. Im Idealfall ist I = , sodass eine Lösung für alle Zeiten existiert. Die Lösung des Problems ist alles andere als leicht. Wir behandeln es im Folgenden in zwei Schritten.

Erster Schritt: Ein Körper in einem Kraftfeld

Wir betrachten einen Massepunkt q der Masse m, der sich unter dem Einfluss einer invers-quadratischen Kraft

F(q)  =  − k∥ q ∥2 q̂  für alle q  ∈  3, q ≠ 0

bewegt. Der Vektor q ist kein Differenzvektor mehr, sondern ein Vektor, der vom Zentrum der Kraft ausgeht. Dieser Ansatz ist allgemein, mathematisch rigide und er entspricht für

m  =  m1,  k  =  G m1 m2

der Keplerschen Vereinfachung, die Sonne mit der großen Masse m2 als unbewegtes Zentrum anzusehen, von dem alle Kraft ausgeht. Es zeigt sich, dass die spezielle invers-quadratische Form der Kraft für bestimmte Eigenschaften der Lösung gar nicht verwendet wird. In allen zentrischen (radialsymmetrischen) Kraftfeldern gilt die Drehimpulserhaltung, aus der wir die ebene Bewegung und das zweite Keplersche Gesetz gewinnen. Mit Hilfe des Lenz-Vektors zeigen wir dann in invers-quadratischen Kraftfeldern das erste und dritte Gesetz. Die Differentialgleichung wird dabei nicht explizit gelöst. (Eine explizite Lösung stellen wir im folgenden Kapitel vor.)

Zweiter Schritt: Zwei sich gegenseitig anziehende Körper

Nach der Lösung des Ein-Körper-Problems kehren wir zu zwei Körpern zurück. Durch eine einfache Addition und Subtraktion der Bewegungsgleichungen für die beiden Körper können wir das Zwei-Körper-Problem auf zwei getrennte Ein-Körper-Probleme zurückführen: Das Kraftzentrum des ersten Schritts wird durch den sich träge bewegenden Schwerpunkt der beiden Körper ersetzt. Die Massen gehen in einer reduzierten Form in die Bewegungsgleichungen bzgl. dieses Schwerpunkts ein.

 Dass eine Lösung des Problems gelungen ist, ist keineswegs selbstverständlich. Das analoge Drei-Körper-Problem, bei dem sich drei Massen unter dem Einfluss der Schwerkraft bewegen, ist in allgemeiner Form bis heute nur numerisch approximativ lösbar.