Kegelschnitt-Bahnen

 Ist q eine Lösung der Differentialgleichung (#) mit L(0) ≠ 0, so verläuft q in der zu L(0) orthogonalen Ebene. Wir dürfen annehmen, dass diese Ebene die x-y-Ebene 2 × { 0 } des 3 ist. Weiter identifizieren wir wie üblich (x, y) mit (x, y, 0), sodass 2 ⊆ 3. Unter Verwendung unserer universellen Gleichung

r  =  ρ1 + ε cos(φ − φ0)

für Kegelschnitte in Fokus-Polarkoordinaten (mit dem Brennpunkt F1 für Ellipsen, F2 für Hyperbeln, F für Parabeln, dem Halbachsenparameter ρ und der Exzentrizität ε) können wir mit Hilfe des Lenz-Vektors zeigen:

Satz (Gravitationsbahnen sind Kegelschnitte)

Sei q : I  U eine Lösung von (#) mit L(0) ≠ 0 und q[  ] ⊆ 2. Dann ist die Bahn q[ I ] = { q(t) | t  ∈  I } eine Teilmenge einer Ellipse, Hyperbel oder Parabel mit dem Nullpunkt als Fokus. Genauer gilt:

∥ q(t) ∥  =  ρ1  +  ε cos(φ(t) − φ0)  für alle t  ∈  I,  wobei

φ(t)  =  arg(q(t)),  φ0  =  arg(A(0))

ε  =  ∥ A(0) ∥m k(Exzentrizität)

ρ  =  ∥ L(0) ∥2m k(Halbachsenparameter)

Weiter gilt: Sind x0, v0  ∈  3 nicht kollinear, so gibt es eine eindeutige auf ganz  definierte Lösung q :   3 von (#) mit q(0) = x0 und q′(0) = v0.

Beweis

Für alle t  ∈  I gilt nach obigen Eigenschaften des Lenz-Vektors:

∥ q(t) ∥ (m k  +  ∥ A(t) ∥ cos(α))  =  ∥ L(t) ∥2  mit  α = ∡(q(t), A(t))

Ist nun (q, p) eine Lösung von (#) im Phasenraum, so sind L(t) und A(t) konstant entlang der Lösung, sodass wir mit ε und ρ wie im Satz erhalten:

∥ q(t) ∥  =  ρ1  +  ε cos(α(t))  =  ρ1  +  ε cos(φ(t) − φ0)  für alle t  ∈  I

Im letzten Schritt verwenden wir die Formel

cos(∡(v, w))  =  cos(arg(v) − arg(w))  für alle v, w  ∈  2 − { 0 }

die wir im Einführungskapitel „Vektoren der Ebene“ diskutiert haben. Dies zeigt die Behauptung über Kegelschnitte.

Zum Zusatz:

Die Argumentation zeigt: Ist q : I  3 eine Lösung mit L(0) ≠ 0 mit maximalem Definitionsbereich, so ist q[ I ] Teilmenge eines durch q(0) und p(0) festgelegten Kegelschnitts, der vom Nullpunkt einen positiven Abstand besitzt. Nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz für Differentialgleichungen gibt es eine maximale Lösung des AWP mit Anfangswerten x0 und v0. Für eine solche Lösung ist I = , da die Lösung sonst innerhalb des Kegelschnitts fortgesetzt werden könnte.

 Wir halten fest:

Richtung und Länge des Lenz-Vektors

Der zeitlich konstante Lenz-Vektor ist wegen φ0 = arg(A(0)) immer parallel zu dem Vektor, der vom Nullpunkt zum nächstgelegenen Scheitelpunkt der Bahn zeigt. In diesem Sinne ist er ein „Periapsis-Kompass“ (und für Bahnen um die Sonne ein „Perihel-Kompass“). Es gilt

∥ A(t) ∥  =  m k ε  für alle t

Im Fall m = k = 1 ist die Länge des Lenz-Vektors also gleich der numerischen Exzentrizität ε der Bahn.

Wir können die x-Achse unseres Koordinatensystem am Lenz-Vektor ausrichten und so φ0 = 0 annehmen, wenn wir möchten. Dieses Vorgehen ist analog zur Ausrichtung des Drehimpulses an der z-Achse, die zu einer Bahn in der x-y-Ebene führt. Eine Lösung startet dann in der Periapsis der Bahn.

 Um den geometrischen Typ einer Lösung q :   U wie im Satz zu klassifizieren, berechnen wir:

Energie

Sei t0 derart, dass arg(q(t0)) = arg(A(0)) = φ0. Der Massepunkt befindet sich also zur Zeit t0 an der Periapsis seiner Bahn. Die Vektoren q(t0) und p(t0) sind orthogonal. Wir setzen:

r0  =  ∥ q(t0) ∥,  s0  =  ∥ p(t0) ∥m,  L0  =  ∥ L (t0) ∥  =  r0 m s0  >  0

Dann gilt für die zeitlich konstante Gesamtenergie der Lösung q:

E  =  H(t0)  =  m s022  −  kr0  =  L022mr02 − kr0  =  k2 r0(ρr0 − 2)

Für Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln gilt die Fokusabstandsformel (hier: „Formel für den Periapsis-Abstand“)

ε  =  ρr0 − 1 (mit dem Fokusabstand c = r0 in der früheren Notation)

Damit erhalten erhalten wir:

(+)  E  =  k2 r0 (ε − 1)

Äquivalent ist die Form

(++)  ε2  =  1  +  2 ρk E

Sie ergibt sich aus (+) durch Einsetzen von r0 = ρ/(1 + ε) und Umstellen.

Das Vorzeichen der Energie entscheidet also über den Typ: Für E < 0 gilt ε < 1 nach (+) (da k, r0 > 0). Wir erhalten also eine Ellipse bei negativer Energie. Analog ergibt sich für E = 0 eine Parabel (ε = 1) und für E > 0 ein Hyperbelast (ε > 0). Genauer gilt mit den fokusierten Kegelschnitten

EFa, b, φ0  =  tr−F[ Ea, b, φ0 ],  PFa, φ0  =  tr−F[ Pa, π/2 + φ0 ],  HFa, b, φ0  =  tr−F[ Ha, b, φ0 ]

und φ0 = arg(A(0)):

Negative Energie: Ellipse

Ist E < 0, so ist ε < 1 und die Lösungsbahn q[  ] die Ellipse EF1a, b, φ0 mit dem Halbachsenparameter ρ = b2/a = L02/(mk) und den Halbachsen

a  =  ρ1 − ε2  =  − k2 E

b  =  1ε2 a  =  L02mE

Insbesondere gilt

L0  =  b 2mE  =  b mk/a

Energie Null: Parabel

Ist E = 0, so ist die Lösungsbahn q[  ] die Parabel PFa, φ0 mit der Öffnung

a  =  12 ρ  =  m k2 L02  mit  ρ  =  12a  =  L02mk

Insbesondere gilt

L0  =  mk/(2a)

Positive Energie: Hyperbel-Ast

Ist E < 0, so ist die Lösungsbahn q[  ] der linke Ast der Hyperbel HF2a, b, φ0 mit ρ = b2/a = L02/(mk) und den Halbachsen

a  =  ρε2 − 1  =  k2 E

b  =  ε21 a  =  L02mE

Insbesondere gilt

L0  =  b 2mE  =  b mk/a

 Wir versammeln noch einige allgemeine Formeln:

Satz (allgemeine Eigenschaften einer Gravitationsbahn)

Sei C die Gravitationsbahn einer Lösung q :    von (#). Dann gelten für die Energie E, den Drehimpuls L, den Lenz-Vektor A, die Exzentrizität ε, den Halbachsenparameter ρ und den Fokusabstand r0 die Zusammenhänge:

E  =  k2 r0 (ε − 1)  =  k2 ρ (ε2 − 1),  ∥ L ∥  =  mkρ,  ∥ A ∥  =  m k ε

Der Lenzvektor zeigt vom Nullpunkt zur Periapsis von C (unabhängig von der Durchlaufrichtung der Lösung).

Ist q  ∈  C, so ergibt sich der zugehörige Impuls p bis auf ein (durch den Drehimpuls L bestimmtes) Vorzeichen durch:

(1)

∥ p ∥  =  2m(E+k/r)  mit  r  =  ∥ q ∥

(2)

p ist tangential zu C

Beweis

Die Formel (1) ergibt sich durch Auflösen der Gesamtenergie nach ∥ p ∥. Dabei ist t beliebig mit q = q(t). Der Rest ergibt sich aus dem Gezeigten.

 Die folgenden Diagramme zeigen die Bahnen für die drei Typen und visualisieren den Lenz-Vektor A als Differenz seiner beiden Bestandteile p × L und m k q̂. Die gezeichneten Vektoren entsprechen tatsächlichen Lösungen (ohne Skalierung).

Zur Konstruktion der Diagramme

Es liegt eine Bahnkurve C mit Umlaufrichtung und ausgezeichnetem Fokus F vor (zusammen mit m und k). Mit C kommen die geometrischen Größen ε, ρ, r0, wodurch wir E berechnen können. Wir betrachten nun einen Punkt auf C und zeichnen den Vektor q vom Fokus zu diesem Punkt (in den Diagrammen blau; eine Zeit, zu der q erreicht wird, muss nicht bekannt sein). An diesen Vektor hängen wir den richtungsgleichen Vektor m k q̂ an (grün). Nun fügen wir den konstanten Lenzvektor hinzu (rot). Er hat die Länge m k ε und zeigt vom Fokus zur Periapsis der Bahn. Dies liefert den Vektor p × L (dunkelgelb). Der Impulsvektor p (gelb) ist tangential zur Kurve (und orthogonal zu p × L). Seine Länge ergibt sich aus der Formel (1) des Satzes.

Die im Folgenden verwendeten Parameter sind m = k = 1 sowie:

Ellipse:a  =  2,  b  =  3/2,  sodass  ε  =  ∥ A ∥  =  7/4
Hyperbel:a  =  1,  b  =  4/5,  sodass  ε  =  ∥ A ∥  =  41/5
Parabel:a  =  3/2,  sodass (wie für jede Parabel)  ε  =  ∥ A ∥  =  1
ellipsen1-AbbIDkepler_lenzvec_1

Eine elliptische Gravitationsbahn:

Ort q (blau), Impuls p (gelb), p × L (dunkelgelb), m k q̂ (grün), Lenz-Vektor A (rot)

ellipsen1-AbbIDkepler_lenzvec_2

Wie oben für eine Hyperbel …

ellipsen1-AbbIDkepler_lenzvec_3

… und für eine Parabel

ellipsen1-AbbIDkepler_lenzvec_3b

Die gleiche Parabel mit Änderung der Durchlaufrichtung