Die Kepler-Gleichung für Ellipsen (Methode 3)

 Wir geben noch eine weitere Herleitung der Bahnkurven. Im Zentrum steht die folgende auf Kepler zurückgehende zunächst rein geometrische Überlegung: Eine Ellipse geht aus einem Kreis durch die Stauchung entlang einer Achse hervor. Diese Stauchung führt zu Flächen- und Winkeländerungen, die wir elementar berechnen können. Zusammen mit dem zweiten Keplerschen Gesetz lassen sich daraus explizite Bahnkurven gewinnen.

Geometrische Vorüberlegung: Die exzentrische Anomalie

Wir betrachten eine zentrische achsenparallele Ellipse E = Ea, b in erster Hauptlage. Seien F1 = (e, 0) der rechte Brennpunkt und P0 = (a, 0) der rechte Hauptscheitelpunkt von E. Weiter sei

P  =  (x0, y0)  ∈  E

ein Punkt auf der Ellipse mit kartesischen Koordinaten (x0, y0) bzgl. des Ursprungs und Fokus-Polarkoordinaten (r, φ) bzgl. F1. Wir setzen

ar(φ)  =  „die Fläche des Fokus-Sektors P0 F1 P von E“

Weiter sei K = Ka der zentrische die Ellipse E umschließende Kreis mit Radius a. Wir sehen E als Skalierung des Kreises K entlang der y-Achse um den Faktor b/a ≤ 1 an. Entsprechend sei

Q  =  (x0, a/b y0)  ∈  K

der Punkt auf dem Kreis K mit der gleichen x-Koordinate wie P (also das Urbild von P unter der Skalierung von K), und es sei

α  =  arg(Q)(exzentrische Anomalie von P bzgl. Ka)

Dann gilt:

x0  =  r cos(φ) + e  =  a cos(α)

y0  =  r sin(φ)  =  (b/a) a sin(α)  =  b sin(α)

Wir nehmen zunächst an, dass φ  ∈  [ 0, π/2 ]. Dann gilt auch α  ∈  [ 0, π/2 ]. Die Fläche des durch α definierten Kreissektors Sα von K ist a2 α/2. Dieser Kreissektor ist die disjunkte Vereinigung des Dreiecks 0F1Q und des um den Faktor a/b ≥ 1 entlang der y-Achse gestreckten Fokus-Sektors P0 F1 P von E. Das Dreieck 0F1Q besitzt

(a)

die Grundfläche e

(b)

die Höhe h = (a/b) y0 = a sin α

(c)

die Fläche e h/2 = (1/2) e a sin α

ellipsen1-AbbIDkepler2_exanomalie_1

Diagramm zur exzentrischen Anomalie. Die Ellipse (gelb) entsteht durch Skalierung des Kreises (blau) um den Faktor b/a entlang der y-Achse. Entsprechend werden Sektorflächen P0F1P und P0F1Q bzgl. F1 skaliert.

Damit erhalten wir die Flächenzerlegung

a2 α2  =  12 e a sin α  +  ab ar(φ)

des Kreissektors Sα. Eine Umstellung liefert

(+)  2 ar(φ)ab  =  α  −  ε sin α

Im Kreisfall b = a ist

Ka  =  E,  ε  =  0,  α  =  φ

Die Formel (+) geht also für a = b in die Formel ar(α) = a2 α/2 für einen Kreissektor mit dem Winkel α über.

Die gleiche Formel erhalten wir, wie analoge Überlegungen zeigen, für alle Winkel φ  ∈  ] −π, π ], wobei ar(φ) für φ < 0 als negativ angesehen wird. Wir können die Formel sogar auf ganz  ausdehnen, indem wir die Umläufe wie bei einer überstrichenen Fläche mitzählen. Jeder Umlauf der Länge 2π trägt die Fläche π a b zum Ellipsensektor und die Fläche a2 π zum Kreissektor bei. Einem vollen Umlauf von φ entspricht ein voller Umlauf von α.

ellipsen1-AbbIDkepler2_exanomalie_2

Analog mit φ > π/2, α < π/2

ellipsen1-AbbIDkepler2_exanomalie_3

Mit zwei stumpfen Winkeln φ, α

Bemerkung

Die ungewöhnliche Mischform zwischen Winkel und Sinus des Winkels auf der rechten Seite von (+) wird durch das Flächenargument erklärt: α wird zur Berechnung einer Sektorfläche und einer Dreiecksfläche verwendet.

 Wir betrachten nun eine Lösung q :   2 der Differentialgleichung (#), deren Bahn die Ellipse EF1a, b ist. Für alle t  ∈   sei

q(t)  =  (r(t), φ(t))  in Fokus-Polarkoordinaten (bzgl. F1 = 0)

Zur Vereinfachung nehmen wir an, dass die Bahn in der Periapsis beginnt. Nach dem zweiten Keplerschen Gesetz gilt für alle t  ∈   (mit Zählungen der Umläufe):

ar(φ(t))  =  L02m t  mit  L0  =  | L(0) | > 0

Setzen wir dies in (+) ein, so erhalten wir

L0m a b t  =  α  −  ε sin α

Nach dem dritten Keplerschen Gesetz gilt

L0m a b  =  ω′ a−2/3

Damit erhalten wir:

(++)  ω t  =  α  −  ε sin α  mit  ω  =  ω′ a−2/3(Kepler-Gleichung)

Damit haben wir die Kepler-Funktion und die expliziten Lösungen wiedergefunden. Ist t gegeben, so liefert die Umkehrfunktion der rechten Seite der Kepler-Gleichung angewendet auf ωt den Winkel α, und aus α ergibt sich der Ort q(t) = (a cos(α), b sin(α)) der Lösung zur Zeit t.

 Wir fassen unsere Formeln zusammen:

Formeln für Koordinaten, Radius und Winkel

Erfüllen t, α die Kepler-Gleichung, so gelten für

q(t)  =  (x, y)kartesisch  =  (r, φ)polar

die Beziehungen:

x  =  r cos(φ)  =  a cos(α)  −  e

y  =  r sin(φ)  =  b sin(α)

r  =  a (1 − ε cos(α))

φ  =  α,  falls  α  ∈  π  oder φ  ∈  π  (mit π  = { k π | k  ∈   })

tan(φ/2)  =  sgn(sin(α)) 1+ε1ε tan(α/2)  falls  α, φ  ∉  π 

Die Formeln für r und φ lassen sich dabei genau wie früher herleiten.