10. Vorlesung Monotonie und Krümmung
1. Kritische Punkte und lokale Extrema
Definition (kritischer Punkt)
Sei f : P → ℝ differenzierbar, und sei p ∈ P mit f ′(p) = 0. Dann heißt p ein kritischer Punkt von f.
Definition (links und rechts von einer Stelle)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Wir sagen, dass f eine Eigenschaft ℰ(x) links der Stelle p erfüllt, falls gilt:
∃ε > 0 ∀x ∈ ] p − ε [ ∩ P ℰ(x).
Analog erfüllt f die Eigenschaft ℰ(x) rechts der Stelle p, falls gilt:
∃ε > 0 ∀x ∈ ] p + ε [ ∩ P ℰ(x).
Beispiel
Die Sinusfunktion ist negativ links der Null und positiv rechts der Null. Zudem ist sie links und rechts der Null streng monoton steigend.
Definition (lokales Extremum, Hochpunkt, Tiefpunkt)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann besitzt f an der Stelle p ein
(a) | lokales Maximum, falls f ≤ f (p) links und rechts von p, |
(b) | lokales Minimum, falls f ≥ f (p) links und rechts von p, |
(c) | lokales Extremum, falls f in p ein lokales Maximum oder Maximum besitzt. |
Ist p eine lokale Maximalstelle (Minimalstelle) von f, so heißt der Punkt (p, f (p)) ein lokales Maximum (Minimum) oder ein Hochpunkt (Tiefpunkt) von f. Gilt < bzw. > statt ≤ bzw. < in (a) oder (b), so heißen die Extrema strikt.
Konvention
Im Folgenden sei I stets ein reelles Intervall (beliebiger Art).
2. Monotonie und Ableitung
Satz (Monotoniesatz)
Sei f : I → ℝ differenzierbar. Dann gilt:
(a) | f ′ ≥ 0 genau dann, wenn f ist monoton steigend. |
(b) | f ′ ≤ 0 genau dann, wenn f ist monoton fallend. |
(c) | f ′ > 0 impliziert f ist streng monoton steigend. |
(d) | f ′ < 0 impliziert f ist streng monoton fallend. |
3. Extremwertbestimmung
Satz (Extremwertbestimmung)
Sei f : I → ℝ und p ∈ I. Dann gilt unter entsprechenden Differenzierbarkeitsvoraussetzungen:
(a) | Ist p kein Randpunkt von I und besitzt f in p ein lokales Extremum, so ist p ein kritischer Punkt von f. |
(b) | Ist f ′ > 0 links von p und f ′ < 0 rechts von p, so besitzt f in p ein striktes lokales Maximum. |
(c) | Ist f ′ < 0 links von p und f ′ > 0 rechts von p, so besitzt f in p ein striktes lokales Minimum. |
(d) | Ist f ′(p) = 0 und f ″(p) < 0, so besitzt f in p ein striktes lokales Maximum. |
(e) | Ist f ′(p) = 0 und f ″(p) > 0, so besitzt f in p ein striktes lokales Minimum. |
Beweis
Wir zeigen (a). Es gelte f ′(p) = limx → p (f (x) − f (p))/(x − p) > 0. Da p nicht das Maximum von I ist, gibt es ein x > p in I, für das der Zähler des Differenzenquotienten positiv ist. Also ist p kein lokales Maximum von f. Ebenso gibt es ein x < p in I, für das der Zähler negativ ist, sodass p kein lokales Minimum von f ist. Analog argumentieren wir im Fall f ′(p) < 0.
Die Beweise der anderen Aussagen mit Hilfe des Monotoniesatzes seien dem Leser zur Übung überlassen.
4. Krümmungsverhalten
Definition (konvex, konkav)
Sei f : I → ℝ. Dann heißt f konvex (konkav), falls für alle a < b in I gilt:
f ist auf ] a, b [ kleinergleich (größergleich) der Geraden durch (a, f (a)) und (b, f (b)).
Gilt < (>) statt ≤ (≥) so heißt f streng konvex (streng konkav).
Satz (zweite Ableitung und Krümmung)
Sei f : I → ℝ zweimal differenzierbar. Dann gilt:
(a) | f ″ ≥ 0 genau dann, wenn f ist konvex. |
(b) | f ″ > 0 impliziert f ist streng konvex. |
(c) | f ″ ≤ 0 genau dann, wenn f ist konkav. |
(d) | f ″ < 0 impliziert f ist streng konkav. |
Definition (Wendepunkt)
Sei f : I → ℝ stetig und p ∈ I. Dann besitzt f an der Stelle p einen Wendepunkt, falls f links und rechts von p ein unterschiedliches Krümmungsverhalten aufweist, d. h. dort konkav bzw. konvex ist oder umgekehrt. Gilt zudem f ′(p) = 0, so besitzt f an der Stelle p einen Terassenpunkt.
5. Krümmungskreise
Die zweite Ableitung ist kein direktes Maß für die geometrische Krümmung einer Kurve (vgl. zum Beispiel die nicht konstant gekrümmte Einheitsparabel mit der konstanten zweiten Ableitung 2). Die geometrische Krümmung wird mit Hilfe der folgenden Formeln berechnet:
Definition (Krümmung, Krümmungsradius, Krümmungskreis)
Sei f : P → ℝ zweimal differenzierbar, und sei p ∈ P. Weiter sei
c = .
Dann ist die Krümmung κ und im Fall f ″(p) ≠ 0 der Krümmungsradius r und der Krümmungskreismittelpunkt M von f an der Stelle p definiert durch
κ = f ″(p)c3, r = 1κ = c3|f ″(p)|, M = (p, f (p)) + c2f ″(p)(−f ′(p), 1).
6. Der Zwischenwertsatz
Satz (Zwischenwertsatz)
Sei f : [ a, b ] → ℝ eine stetige Funktion. Dann nimmt f jeden Wert zwischen f (a) und f (b) an. Insbesondere besitzt f eine Nullstelle, wenn f (a) und f (b) verschiedene Vorzeichen haben.
Ist f : [ a, b ] → ℝ mit sgn(f (a)) ≠ sgn(f (b)), so liefert das folgende Verfahren eine Nullstelle von f.
Bisektionsverfahren
Sei f : [ a, b ] → ℝ stetig mit sgn(f (a)) ≠ sgn(f (b)) und f (a), f (b) ≠ 0. Wir setzen (x0, y0) = (a, b). Nun definieren wir rekursiv xn, yn, cn wie folgt:
Ist (xn, yn) konstruiert, so setzen wir cn = (xn + yn)/2. Ist f (cn) = 0, so stoppen wir mit Ausgabe von cn. Andernfalls setzen wir
7. Das Newton-Verfahren
Satz (Nullstellensatz für konvexe Funktionen)
Sei f : [ a, b ] → ℝ differenzierbar und streng konvex mit f (a) < 0 < f (b). Dann gilt:
(a) | f besitzt eine eindeutige Nullstelle x*. |
(b) | f < 0 auf [ a, x* [ , f > 0 auf ] x*, b ], f ′ > 0 auf [ x*, b ]. |
Eine analoge Aussage gilt für den Fall f (a) > 0 > f (b).
Newton-Verfahren
Sei f : [ a, b ] → ℝ differenzierbar und streng konvex mit sgn(f (a)) ≠ sgn(f (b)). Wir setzen
Nun definieren wir xn rekursiv durch
xn + 1 = xn − f (xn)f ′(xn) für alle n ≥ 0.
Die Folge x0, x1, x2, … wird auch als Newton-Iteration von f (zum Startwert x0) bezeichnet. Man kann zeigen, dass sie im Fall x0 = b streng monoton fallend und im Fall x0 = a streng monoton steigend gegen die eindeutige Nullstelle x* von f konvergiert.
Das Newton-Verfahren eignet sich insbesondere zur Berechnung von Wurzeln:
Das Heron-Verfahren
Seien also k ≥ 1 und c > 0. Wir berechnen x* = k. Hierzu wählen wir ein beliebiges b mit b > x*, etwa b = max(2, c). Dann ist x* die eindeutige Nullstelle der streng konvexen Funktion f : [ 0, b ] → ℝ mit
f (x) = xk − c für alle x ∈ [ 0, b ].
Die Newton-Iteration von f zum Startwert x0 = b ist gegeben durch
xn + 1 = xn − für alle n ≥ 0.
Es gilt x* = limn xn. Speziell können wir eine Quadratwurzel x* = mit einem beliebigen Startwert x0 > x* approximativ berechnen durch
xn + 1 = xn − = xn + c/xn2 für alle n ≥ 0.