7. Vorlesung Differentialquotienten und lineare Approximation
1. Differenzenquotienten
Definition (Differenzenquotient, Sekante)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Für alle x ∈ P mit x ≠ p heißt die reelle Zahl
a(p, x) = f (x) − f (p)x − p
der Differenzenquotient von f für p und x. Die eindeutige Gerade g : ℝ → ℝ durch (p, f (p)) und (x, f (x)) heißt die durch die Stellen p und x definierte Sekante von f.
2. Differentialquotienten
Definition (Differentialquotient, Ableitung)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Im Fall der Existenz von
a = limx → p a(x, p) = limx → p f (x) − f (p)x − p
heißt die Funktion f an der Stelle p differenzierbar und a die Ableitung oder der Differentialquotient von f an der Stelle p.
Notation
Ist a die Ableitung von f an der Stelle p, so schreiben wir
a = f ′(p) = Df (p) = = = df (x)dx(p).
Beispiele
(1) | Ist f : ℝ → ℝ mit f (x) = c für alle x, so gilt für alle p ∈ ℝ: f ′(p) = limx → p f (x) − f (p)x − p = limx → p c − cx − p = 0. |
(2) | Sei n ≥ 1 und f : ℝ → ℝ mit f (x) = xn für alle x. Weiter sei p ∈ ℝ. Dann gilt für alle x ∈ ℝ (geometrische Summe): xn − pn = (x − p)(xn − 1 p0 + … + x0 pn − 1). Damit ergibt sich f ′(p) = limx → p xn − pnx − p = limx → p (xn − 1 p0 + … + x0 pn − 1) = n pn − 1. |
(3) | Ist f : ℝ → ℝ mit f (x) = |x| für alle x, so ist x an der Stelle p = 0 nicht differenzierbar, da |x| − 0x − p = 1 für x > 0, |x| − 0x − p = −1 für x < 0. |
Die Setzung h = x − p ergibt:
h-Formulierung des Differentialquotienten
limx → p f (x) − f (p)x − p = limh → 0 f (p + h) − f (p)h
3. Tangenten und lineare Approximation
Definition (Tangente)
Sei f : P → ℝ differenzierbar an der Stelle p ∈ P. Dann heißt die Gerade g: ℝ → ℝ mit
g(x) = f (p) + f ′(p) (x − p) für alle x ∈ ℝ
die durch die Stelle p definierte Tangente von f oder die Tangente von f durch den Punkt (p, f (p)).
Satz (linearer Approximationssatz)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann sind äquivalent:
(1) | f ist differenzierbar in p. |
(2) | Es gibt ein a ∈ ℝ und eine Funktion r : P → ℝ mit den Eigenschaften:
|
Gilt (2), so ist a = f ′(p).
Die Idee ist: In der Nähe von p ist die Funktion f ihre Tangente plus ein kleiner Rest.
Beweis
(1) impliziert (2):
Sei also f differenzierbar an der Stelle p. Wir setzen a = f ′(p) und definieren r : P → ℝ durch
r(x) = f (x) − f (p) − a (x − p) für alle x ∈ P
Dann gilt (i) nach Definition. Weiter gilt auch (ii), da
limx → p r(x)x − p | = limx → p (f (x) − f (p)x − p − a x − px − p) |
= limx → p f (x) − f (p)x − p − a limx → p x − px − p | |
= a − a = 0. |
(2) impliziert (1) (und Zusatz):
Sind a ∈ ℝ und r : P → ℝ wie in (2), so gilt
limx → p f (x) − f (p)x − p = limx → p (a + r(x)x − p) = a + 0 = a.
Dies zeigt, dass f an der Stelle p differenzierbar ist mit f ′(p) = a.
4. Die Landau-Notation
Landau-Notation oder klein-o-Notation
Ein Ausdruck
o(x − p) für x → p
steht für eine Funktion r : P → ℝ (mit einem kontextabhängigen Definitionsbereich P) mit der Eigenschaft
limx → p r(x)x − p = 0.
Ist allgemeiner g : P → ℝ eine Funktion mit g(x) ≠ 0 für alle x ≠ p, so steht
o(g(x)) für x → p
für eine Funktion r : P → ℝ mit
limx → p r(x)g(x) = 0.
Satz (linearer Approximationssatz in Landau-Notation)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann sind äquivalent:
(1) | f ist differenzierbar in p. |
(2) | Es gibt ein a ∈ ℝ mit f (x) = f (p) + a (x − p) + o(x − p) für x → p. |
Gilt (2), so ist a = f ′(p).
5. Differenzierbarkeitsbegriffe
Definition (Differenzierbarkeit)
Eine Funktion f : P → ℝ heißt differenzierbar, falls f ′(x) für alle x ∈ P existiert. Wir nennen die Funktion f ′ : P → ℝ die erste Ableitung von f.
Existiert die erste Ableitung, so stellt sich die Frage, ob f ′ : P → ℝ wieder differenzierbar ist. Das folgende Beispiel zeigt, dass dies nicht immer der Fall ist:
Beispiel
Sei f : ℝ → ℝ definiert durch f (x) = x3 für x ≥ 0 und f (x) = x2 für x < 0. Dann ist f differenzierbar mit f ′(x) = 3x2 für x ≥ 0 und f (x) = 2x für x < 0. Aber die Funktion f ′ : ℝ → ℝ ist nicht differenzierbar an der Stelle 0.
In vielen Fällen ist ein wiederholtes Ableiten möglich. Wir definieren:
Definition (mehrfache Differenzierbarkeit)
Sei f : P → ℝ. Wir setzen f (0) = f und definieren rekursiv solange möglich
f (n + 1) = f (n)′ für alle n ∈ ℕ.
Ist n ∈ ℕ und existiert f (n), so heißt f n-mal differenzierbar und f (n) die n-te Ableitung von f.