Polynome durch gegebene Punkte

 Wir hatten in den vorangehenden Kapiteln gesehen, dass wir durch zwei Punkte genau ein Polynom vom Grad kleinergleich 1 und durch drei Punkte genau ein Polynom vom Grad kleinergleich 2 legen können. Allgemein gilt nun:

Satz (Polynominterpolation)

Sei n  ∈  , und seien (x0, y0), …, (xn, yn) Punkte der Ebene mit paarweise verschiedenen x-Koordinaten. Dann gibt es genau ein Polynom f :    mit den Eigenschaften:

(a)

deg(f) ≤ n,

(b)

f (xi) = yi  für alle i ≤ n.

 Gegeben sind n + 1 Punkte. Wir starten im Index mit 0, da „i ≤ n“ einfacher ist als „1 ≤ i ≤ n + 1“.

 Der Beweis des Satzes ist eine Verallgemeinerung unserer Argumentation bei den Parabeln.

Beweis

Die Eindeutigkeit folgt aus dem Identitätssatz für Polynome. Für die Existenz definieren für alle i ≤ n ein Polynom gi :    durch:

gi(x)  =  j ≤ n, j ≠ i (x  −  xj)  =  (x − x0) … (x − xi − 1) (x − xi + 1) … (x − xn).

Jedes gi ist das Produkt von n Geraden der Steigung 1, sodass deg(gi) = n. Für alle i gilt gi(xi) ≠ 0. Weiter ist gi(xj) = 0 für alle i ≠ j. Wir setzen nun

f  =  i ≤ n yigi(xi)  gi.

Als Summe von Polynomen vom Grad n ist f ein Polynom vom Grad kleinergleich n. Einsetzen zeigt, dass f (xi) = yi für alle i ≤ n.

 Die Bezeichnung als „Interpolation“ ist in der Numerik üblich. Gegeben sind die Daten (x0, y0), …, (xn, yn). Die Frage ist, zu welcher Funktion diese Daten am besten passen. Weiß oder wünscht man, dass die Funktion ein Polynom ist, so ist das konstruierte Polynom f das gemessen an seinem Grad einfachste Polynom, das die Daten interpoliert.

Bemerkung

Der Satz besagt nicht, dass es durch gegebene Punkte (x0, y0), …, (xn, yn) nur ein Polynom gibt. Für die Eindeutigkeit ist die Gradbedingung (a) wesentlich: Unter allen Polynomen vom Grad −∞, 0, 1, …, n gibt es genau ein Polynom f, das durch die n + 1 Punkte verläuft. Dagegen gibt es bereits unendlich viele Polynome des Grades n + 1 durch die gegebenen Punkte. Dies können wir beispielsweise durch Hinzufügen eines Punktes der Form (x*, f (x*) + k), k = 1, 2, 3, … zur Punktliste einsehen.

Beispiel: Mehrere Polynome dritten Grades durch drei Punkte

Das Nullpolynom verläuft durch die Punkte (−1, 0), (0, 0), (1, 0) und ist das einzige Polynom vom Grad kleinergleich 2 mit dieser Eigenschaft. Es gibt keine andere Gerade und keine Parabel durch diese Punkte. Dagegen verlaufen alle Polynome dritten Grades der Form

gc(x)  =  c x (x2 − 1)  =  c x3 − cx

mit c  ∈  * beliebig durch die Punkte (−1, 0), (0, 0) und (1, 0).

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Beispiel

Wir betrachten die sieben Punkte

(−3, 1),  (−2, 2),  (−1, −2),  (0, 0),  (1, 2),  (2, 1),  (3, 4).

Das eindeutige Polynom f :    vom Grad kleinergleich 6 durch diese Punkte berechnet sich zu

f (x)  =  −1720 (13 x6 − 81 x5 − 155 x4 + 945 x3 + 142 x2 − 2304 x).

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Ändern wir den ersten Punkt zu (−3, 3) ab, so erhalten wir das recht ähnliche Interpolationspolynom g :    mit

gx)  =  −1720 (11 x6 − 75 x5 − 145 x4 + 915 x3 + 134 x2 − 2280 x).

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Ersetzen wir dagegen den vierten Punkt durch (0, 1), so erhalten wir das sehr verschiedene Interpolationspolynom h :    mit

h(x)  =  −1240 (11 x6 − 27 x5 − 145 x4 + 315 x3 + 374 x2 − 768 x − 240).

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