Die Partialbruchzerlegung

 Sind f und g Polynome mit g ≠ 0, so zeigt die Polynomdivision f = q g + r von f durch g, dass wir die rationale Funktion f/g schreiben können in der Form

f/g  =  q  +  r/g,  mit  deg(r) < deg(g).

Die rationale Funktion r/g lässt sich durch das additive Abspalten von Polstellen, bekannt als Partialbruchzerlegung, weiter vereinfachen. Wir illustrieren das Verfahren zunächst durch einige instruktive Beispiele.

Beispiele

(1)

Wir suchen für die rationale Funktion 1/(x(x + 1)) eine Darstellung

1x(x + 1)  =  ax  +  bx + 1.

Um a und b zu bestimmen, schreiben wir

ax  +  bx + 1  =  a(x + 1) + bxx(x + 1)  = (a + b)x + ax(x + 1).

Wir suchen also a, b mit (a + b)x + a = 1 = 0 x + 1. Durch Koeffizientenvergleich erhalten wir das Gleichungssystem a + b = 0, a = 1, das durch

a = 1,  b = −1

eindeutig gelöst wird. Wir erhalten also die Partialbruchzerlegung

1x (x + 1)  =  1x  +  −1x + 1.

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Die Partialbruchzerlegung einer rationalen Funktion (I)

(2)

Wir suchen a, b mit

2x + 1(x − 1)(x − 2)  =  ax − 1  +  bx − 2.

Erweitern liefert wie im ersten Beispiel

a(x − 2)  +  b(x − 1)  =  (a + b)x  −  2a − b  =  2x  +  1.

Das Gleichungssystem a + b = 2, −2a − b = 1 wird durch

a = −3,  b = 5

eindeutig gelöst, sodass

2x + 1(x − 1)(x − 2)  =  −3x − 1  +  5x − 2.

(3)

Wir suchen a, b, c mit

−x + 2x (x + 1) (x + 2)  =  ax  +  bx + 1  +  cx + 2.

Erweitern liefert

a(x + 1)(x + 2)  +  bx(x + 2)  +  cx(x + 1)  = 

a(x2 + 3x + 2)  +  b(x2 + 2x)  +  c(x2 + x)  = 

(a + b + c)x2  +  (3a + 2b + c)x  +  2a  =  0x2  −  x  +  2.

Das Gleichungssystem

a + b + c  =  0,  3a + 2b + c  =  − 1,  2a  =  2

wird durch a = 1, b = −3, c = 2 eindeutig gelöst, sodass

−x + 2x (x + 1) (x + 2)  =  1x  −  3x + 1  +  2x + 2.

(4)

Wir suchen a, b, c mit

2x2(x + 1)(x2 + 1)  =  ax + 1  +  bx + cx2 + 1.

Erweitern liefert

a(x2 + 1) + (bx + c)(x + 1)  =  (a + b)x2 + (b + c)x + a + c  =  2x2 + 0x + 0.

Wir finden die Lösung a = 1, b = 1, c = −1, sodass

2x2(x + 1)(x2 + 1)  =  1x + 1  +  x − 1x2 + 1.

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Die Partialbruchzerlegung einer rationalen Funktion (II)

(5)

Wir suchen a, b, c mit

2x2 + 1(x − 1)3  =  a(x − 1)3  +  b(x − 1)2  +  cx − 1

Erweitern liefert

a  +  b(x − 1)  +  c(x − 1)2  =  cx2 + (b − 2c)x + a − b + c  =  2x2 + 0x + 1.

Die eindeutige Lösung ist a = 3, b = 4, c = 2, sodass

2x2 + 1(x − 1)3  =  3(x − 1)3  +  4(x − 1)2  +  2x − 1.

 Ein allgemeines Ergebnis formulieren wir in zwei Sätzen. Dabei wird eine Methode zur Berechnung der Partialbruchzerlegung ans Licht gebracht, die ohne das Lösen von Gleichungssystemen auskommt.

Satz (Partialbruchzerlegung, einfacher Pol)

Sei f/g eine rationale Funktion mit deg(f) < deg(g). Weiter sei x0 eine einfache Nullstelle von g, und es sei

g  =  (x − x0) g*,  g*(x0)  ≠  0.

Dann gibt es ein a  ∈   und ein Polynom f* mit deg(f*) < deg(g*), sodass

fg  =  ax − x0  +  f*g*.

Genauer sind a und f* eindeutig bestimmt und es gilt

(+)  a  =  f (x0)g*(x0),  f*  =  f − a g*x − x0.

Beweis

Die gesuchte Darstellung ist äquivalent zu

(#)  f  =  a g* + (x − x0) f*.

Wir definieren nun a und f* durch (+). Einsetzen zeigt, dass (#) gilt. Setzen wir umgekehrt x = x0 in (#), so erhalten wir die Formel für a und aus dieser ergibt sich die Formel für f*. Dies zeigt die Existenz und Eindeutigkeit. Nach Definition von f* gilt

deg(f*)  ≤  max(deg(f), deg(g*)) − 1  <  deg(g) − 1  =  deg(g*).

 Wir betrachten nun noch einmal die obigen Beispiele.

Beispiele

(1)

Für die rationale Funktion 1/(x(x + 1)) erhalten wir mit g*(x) = x + 1 und x0 = 0 den Koeffizienten a = 1/(0 + 1) = 1. Analog ergibt g*(x) = x und x0 = −1 den Koeffizienten b = 1/(−1) = −1. Wie früher erhalten wir also

1x (x + 1)  =  1x  +  −1x + 1.

(2)

Auch die Koeffizienten a, b in

2x + 1(x − 1)(x − 2)  =  ax − 1  +  bx − 2

können wir durch Auswerten bestimmen:

a  =  2x+1x2x=1  =  3−1  =  − 3,

b  =  2x+1x1x=2  =  51  =  5.

(3)

Die Koeffizienten a = 1, b = −3, c = 2 der Partialbruchzerlegung

−x + 2x (x + 1) (x + 2)  =  ax  +  bx + 1  +  cx + 2

ergeben sich ebenfalls durch Auswertung. So ist etwa

b  =  x+2x(x+2)x=1  =  3(−1)(−1 + 2)  =  −3.

(4)

Mit Hilfe des Satzes lässt sich auch die Partialbruchzerlegung

2x2(x + 1)(x2 + 1)  =  ax + 1  +  bx + cx2 + 1.

finden: Mit f (x) = 2x2, x0 = −1 und g*(x) = x2 + 1 erhalten wir

a  =  (−1)g*(−1)  =  1,  f*(x)  =  f − a g*x − x0  =  x2 − 1x + 1  =  x − 1,  sodass

2x2(x + 1)(x2 + 1)  =  1x + 1  +  x − 1x2 + 1.

 Den Fall einer mehrfachen Nullstelle wie im fünften Beispiel behandelt der folgende Satz.

Satz (Partialbruchzerlegung, mehrfacher Pol)

Sei f/g eine rationale Funktion mit deg(f) < deg(g). Weiter sei x0 eine k-fache Nullstelle von g, und es sei

g  =  (x − x0)k g*,  g*(x0)  ≠  0.

Dann gibt es eindeutig bestimmte a1, …, ak  ∈   und ein Polynom f* mit deg(f*) < deg(g*), sodass

fg  =  f(x − x0)k g*  =  ak(x − x0)k  +  …  +  a1x − x0  +  f*g*.

Beweis

Die gesuchte Darstellung ist äquivalent zu

(#)  f  =  (ak + ak − 1 (x − x0) + … + a1 (x − x0)k − 1) g* + (x − x0)k f*.

Wir zeigen die Existenz und Eindeutigkeit durch Induktion nach k ≥ 1.

Induktionsanfang k = 1:  Klar nach dem vorangehenden Satz. Es gilt

a1  =  f (x0)g*(x0),  f*  =  f − a1 g*x − x0.

Induktionsschritt von k − 1 nach k (mit k ≥ 2): 

In Analogie zum Basisfall setzen wir

ak  =  f (x0)g*(x0),  fk  =  f − ak g*x − x0.

Nach Induktionsvoraussetzung, angewendet auf die rationale Funktion fk/(g/(x − x0)), existiert eine eindeutige Darstellung

fk  =  (ak − 1 + … + a1 (x − x0)k − 2) g* + (x − x0)k − 1 f*

mit deg(f*) < deg(g*). Aus

f  =  ak g*  +  fk(x − x0)

ergibt sich die Darstellung (#) und ihre Eindeutigkeit.

 Der Beweis enthält ein effektives Verfahren zur Bestimmung einer Partialbruchzerlegung mit mehrfachen Polen. Wir betrachten hierzu das fünfte der mit Hilfe von Gleichungssystemen gelösten Beispiele.

Beispiel

Wir bestimmen die Partialbruchzerlegung

2x2 + 1(x − 1)3  =  a(x − 1)3  +  b(x − 1)2  +  cx − 1.

Mit f (x) = 2x2 + 1, x0 = 1 und g*(x) = 1 erhalten wir zunächst

a  =  f (1)g*(1)  =  2 + 11  =  3.

Nun berechnen wir

f2(x)  =  f (x) − 3x − 1  =  2(x2 − 1)x − 1  =  2(x + 1).

Auswertung von f2/g* = f2 an der Stelle x0 = 1 liefert den zweiten Koeffizienten b = 4. Schließlich ergibt

f1(x)  =  f2(x) − 4x − 1  =  2

den dritten Koeffizienten c = 2. Insgesamt erhalten wir wie früher die Zerlegung

2x2 + 1(x − 1)3  =  3(x − 1)3  +  4(x − 1)2  +  2x − 1.

 Ist die Darstellung

fg  =  f(x − x0)k g*  =  ak(x − x0)k  +  …  +  a1x − x0  +  f*g*

gefunden, so lässt sich das Verfahren mit f*/g* wiederholen, bis alle reellen Nullstellen des Nenners additiv abgespalten sind. Weiter können wir in ähnlicher Weise auch nullstellenfreie Polynome zweiten Grades mit beliebigen Potenzen k aus dem Nenner abspalten. Dabei tauchen lineare Funktionen anstelle von Konstanten in den Zählern auf. Ein mit Hilfe eines Computers berechnetes Beispiel mit k = 4 ist

81(x2 + x + 1)4 (x3 + x + 1) =  −27 (x − 1)(x2 + x + 1)4  −  9 (7x + 2)(x2 + x + 1)3  −  3 (25x + 11)(x2 + x + 1)2
  −  88x + 29x2 + x + 1  +  88x2 − 59x + 134x3 + x + 1.

 Am klarsten wird die Partialbruchzerlegung bei Verwendung komplexer Zahlen, da jedes komplexe Polynom nach dem Fundamentalsatz der Algebra in Linearfaktoren zerfällt. Wir kommen später darauf zurück.

 Die Partialbruchzerlegung ist bei der Integration rationaler Funktionen unverzichtbar, da die Partialbrüche meistens leichter zu integrieren sind als eine in der Form f/g mit Polynomen f und g gegebene rationale Funktion. Durch das Auftreten linearer oder quadratischer Funktionen im Nenner der Partialbruchzerlegung spielen die Logarithmusfunktion (mit Ableitung 1/x) und die Arkustangensfunktion (mit Ableitung 1/(x2 + 1)) bei der Integration rationaler Funktionen eine Schlüsselrolle.