Drehungen und Additionstheoreme
Seien P = (cos α, sin α) ein Punkt auf dem Einheitskreis und β ∈ ℝ. Drehen wir P um den Winkel β, so erhalten wir den Punkt
Q = (cos(α + β), sin(α + β))
des Einheitskreises.
Die Drehung eines Punktes P zum Punkt Q auf K (I)
Den Punkt Q können wir aber auch so beschreiben: P ist die Summe der Vektoren v = (cos α, 0) und w = (0, sin α). Weiter ist Q die Summe der um β gedrehten Vektoren v und w, die wir v* und w* nennen wollen. Der Vektor v* ist der um cos α skalierte um β gedrehte Einheitsvektor e1 = (1, 0), sodass
v* = cos(α) (cos β, sin β).
Ebenso ist der Vektor w* der um sin α skalierte und um β gedrehte Einheitsvektor e2= (0, 1), sodass
w* = sin(α) (− sin β, cos β).
Damit gilt:
Q | = cos α (cos β, sin β) + sin α (− sin β, cos β) |
= (cos α cos β − sin α sin β, cos α sin β + sin α cos β). |
Die Drehung eines Punktes P zum Punkt Q auf K (II)
Durch Koordinatenvergleich erhalten wir:
Satz (Additionstheoreme für Kosinus und Sinus)
Für alle α, β ∈ ℝ gilt:
(a) | cos(α + β) = cos α cos β − sin α sin β, |
(b) | sin(α + β) = cos α sin β + sin α cos β. |
Unsere Argumentation entspricht der Definition von Kosinus und Sinus als Koordinatenfunktionen für Punkte des Einheitskreises. Einen weiteren Beweis dieser fundamentalen Eigenschaften mit Hilfe von rechtwinkligen Dreiecken werden wir unten kennenlernen.
Für den Spezialfall α = β erhalten wir:
Korollar (Verdopplungsformeln)
Für alle α ∈ ℝ gilt:
(a) | sin(2α) = sin α cos α + cos α sin α = 2 sin α cos α, |
(b) | cos(2α) = cos α cos α − sin α sin α = cos2α − sin2α. |
Im Fall β = π/4 erhalten mit Hilfe der Werte sin(π/4) = cos(π/4) = /2:
Korollar (π/4-Formeln)
Für alle α ∈ ℝ gilt:
(a) | cos α + sin α = cos(α − π/4) = sin(α + π/4), |
(b) | cos α − sin α = cos(α + π/4) = − sin(α − π/4). |
Zur Verdopplungsformel des Kosinus
Summe und Differenz von Kosinus und Sinus
Wir wollen die Additionstheoreme noch einmal in einem anderen Licht betrachten.
Drehungen am Kreis in kartesischen Koordinaten
Seien P1 = (x1, y1) = (cos α, sin α) und P2 = (x2, y2) = (cos β, sin β) Punkte auf dem Einheitskreis mit den Winkeln α bzw. β. Drehen wir P1 um den Winkel β oder gleichwertig P2 um den Winkel α, so erhalten wir nach den Additionstheoremen den Punkt
Q | = (cos α cos β − sin α sin β, cos α sin β + sin α cos β) |
= (x1 x2 − y1 y2, x1 y2 + y1 x2).(Drehformel) |
Es ist bemerkenswert, dass sich die Koordinaten von Q in dieser relativ einfachen Form aus den Koordinaten von P1 und P2 berechnen lassen.
Q ergibt sich aus den Koordinaten von P1 und P2: Q = (x1 x2 − y1 y2, x1 y2 + y1 x2)
Beispiel
Sei λ = 1/, und sei P1 = λ (1, 1) der Punkt auf dem Einheitskreis mit dem Winkel π/4. Drehen wir P1 um den Winkel π/4, so erhalten wir den Einheitsvektor Q = e2 = (0, 1). Dieses anschaulich klare Ergebnis liefert auch die Drehformel mit P2 = P1, da
Q = (x1 x2 − y1 y2, x1 y2 + y1 x2) = (λ2 − λ2, λ2 + λ2) = (0, 1).
Ist allgemein P2 = (x, y) ein Punkt auf K, so ist
Q = (λx − λ y, λy + λx) = λ (x − y, x + y)
der um π/4 gedrehte Punkt auf K. Dieses Ergebnis erhalten wir auch aus der folgenden allgemeinen Überlegung:
Drehungen als Transformationen der Ebene
Sei α ∈ ℝ. Wir betrachten die Funktion rotα : ℝ2 → ℝ2, die einen Vektor v = (x, y) der Ebene um den Winkel α dreht. Ist v = (x, y) ∈ ℝ2 und
λ =
die Länge von v, so gibt es ein β mit v = λ (cos β, sin β). Aus
rotα(x, y) = λ rotα(cos β, sin β)
und x = λ cos β, y = λ sin β erhalten wir
rotα(x, y) | = λ (cos(α + β), sin(α + β)) |
= λ (cos α cos β − sin α sin β, cos α sin β + sin α cos β) | |
= (x cos α − y sin α, x sin α + y cos α). |
Der Leser setze (x1, y1) = (cos α, sin α) und vergleiche das Ergebnis mit obiger Drehformel. Übersichtlicher wird die Formel für rotα(x, y), wenn wir Vektoren der Ebene als Spalten notieren (die Koordinaten untereinander schreiben) und die Abbildung rotα durch eine (2 × 2)-Matrix darstellen:
rotα(x, y) = = .
Einsetzen von e1 = (1, 0) und e2 = (0, 1) zeigt, dass die beiden Spaltenvektoren der Matrix die Bilder der Einheitsvektoren e1 und e2 unter der Drehung um α sind. Die allgemeine Wirkung der Matrix auf einen Vektor (x, y) ist durch „Zeile mal Spalte“ (im Sinne einer Linearkombination) definiert. Mit diesen Regeln lässt sich die Darstellung leicht merken. An dieser Stelle ist alles nur ein Spiel mit Notationen. Wir werden Matrizen später genauer besprechen und auf Drehungen zurückkommen.
Zwei Rotationen eines Vektors