Kosinus und Sinus Hyperbolicus
Ein natürlicher Kandidat für eine Paritäts-Zerlegung ist die Exponentialfunktion, die ja weder gerade noch ungerade ist. Sie besitzt in der Tat eine bemerkenswerte Zerlegung, deren Teile einen eigenen Namen verdienen:
Definition (Kosinus und Sinus Hyperbolicus)
Wir definieren den Kosinus Hyperbolicus cosh : ℝ → ℝ und den Sinus Hyperbolicus sinh : ℝ → ℝ durch
cosh x = ex + e−x2, sinh x = ex − e−x2 für alle x ∈ ℝ.
Nach Konstruktion sind der Kosinus Hyperbolicus gerade und der Sinus Hyperbolicus ungerade. Weiter bilden die beiden Funktionen die Paritäts-Zerlegung der Exponentialfunktion:
exp = cosh + sinh.
Die Paritäts-Zerlegung der Exponentialfunktion
Die Namensgebung „hyperbolisch“ ist motiviert durch folgende Überlegung. Wir betrachten die Einheitshyperbel
H1 = { (x, y) ∈ ℝ2 | x2 − y2 = 1 }.
Der rechte Ast von H1 verläuft durch den Punkt (1, 0), liegt symmetrisch zur x-Achse und schmiegt sich asymptotisch an die Winkelhalbierenden des ersten und vierten Quadranten an.
Setzen wir nun P(t) = (cosh t, sinh t) für alle t ∈ ℝ, so beschreibt P eine Bewegung eines Punktes auf dem rechten Ast von H1, da cosh(t) > 0 für alle t und
(+) cosh2 x − sinh2 x = 1 für alle x ∈ ℝ.
Der Punkt P liegt für t < 0 im vierten Quadranten, erreicht zur Zeit t = 0 den Punkt (1, 0) und liegt für t > 0 im ersten Quadranten. Für alle t ist P(t) der an der x-Achse gespiegelte Punkt P(−t).
Der Leser vergleiche dies mit der Kreisbewegung (cos t, sin t) auf dem Einheitskreis K1 = { (x, y) ∈ ℝ2 | x2 + y2 = 1 }. Dem Satz des Pythagoras
cos2 x + sin2 x = 1 für alle x ∈ ℝ
entspricht für die hyperbolischen Funktionen die Aussage (+).
Die Einheitshyperbel H1
Der Kosinus Hyperbolicus ist überraschenderweise auch im Alltag häufig zu finden: Eine zwischen zwei Punkten aufgehängte Kette wird durch diese Funktion beschrieben (und nicht etwa wie eine Wurfbahn durch eine Parabel). Man nennt die Form deswegen auch eine Kettenlinie.
Aus der Potenzreihendarstellung exp x = ∑n xn/n! erhalten wir
cosh x | = 12 (∑n xnn! + ∑n (−x)nn!) = 12 ∑n xn + (−x)nn! |
= ∑n gerade x2n! = ∑n x2n(2n)! für alle x ∈ ℝ, und analog | |
sinh x | = ∑n x2n + 1(2n + 1)! für alle x ∈ ℝ. |
Aus exp′ = exp und den Definitionen von cosh und sinh ergibt sich
cosh′ = sinh, sinh′ = cosh, cosh″ = cosh, sinh″ = sinh.
Der Leser überzeuge sich davon, dass diese Ableitungen durch gliedweises Differenzieren der Potenzreihendarstellung von cosh und sinh reproduziert werden.