Kritische Punkte und lokale Extrema

 Neben der Ermittlung der Nullstellen einer reellen Funktion f : P   ist die Ermittlung von lokalen Maxima und Minima von großer Bedeutung. Weiß man, dass eine Funktion den Wert c annimmt und dass alle Funktionswerte kleiner- oder größergleich c sind, so ist die Suche nach einer Stelle x, an der f den Extremwert c annimmt, gleichbedeutend mit dem Finden einer Nullstelle der Funktion f − c. In der Regel ist aber ein derartiger Extremwert nicht bekannt, sodass das Auffinden einer Extremalstelle x zunächst keine Nullstellensuche auf den Plan ruft. Dies ändert sich, wenn wir f als differenzierbar voraussetzen: An einer Extremalstelle x hat f eine waagrechte Tangente, sodass x eine Nullstelle der Ableitung von f ist. Wir suchen also ein x mit f ′(x) = 0. Ist f ein Polynom, so ist diese Aufgabe sogar einfacher als die Suche einer Nullstelle von f, da sich der Grad von f beim Differenzieren verringert. Leider sind Nullstellen der Ableitung nicht in allen Fällen Extremalstellen: Die streng monoton steigende Funktion x3 besitzt zum Beispiel im Nullpunkt die Ableitung 0, hat dort aber kein Extremum. Wir müssen also unter allen Nullstellen von f ′ die − im Hinblick auf das Problem − guten von den schlechten aussortieren. Dies geschieht durch eine Untersuchung des Monotonieverhaltens von f in der Umgebung von x, das sich aus dem Vorzeichenverhalten von f ′ ergibt; alternativ können wir die zweite Ableitung heranziehen. Insgesamt können wir mit den Methoden der Differentialrechnung alle lokalen Maxima und Minima von f ermitteln und unter diesen dann im Fall der Existenz den größen und kleinsten angenommenen Wert suchen (das globale Maximum bzw. Minimum von f).

 Wir diskutieren diese Zusammenhänge im Folgenden in kompakter Form. Die Beweise der anschaulichen Sätze werden in der Analysis geführt.

ema11-AbbID2-4-1

Wir suchen die lokalen Maxima und Minima von f im Intervall [ −3, 3 ]. Hier und in den folgenden Diagrammen ist f das Polynom x5/6 − x3 + x + 2.

 Zunächst präzisieren wir einige Begriffe.

Definition (kritischer Punkt)

Sei f : P   differenzierbar, und sei p  ∈  P mit f ′(p) = 0. Dann heißt p ein kritischer Punkt von f.

 Die genauen Definitionen im Umfeld von Extremwerten sind oft recht schwerfällig. Um die Sprechweise zu erleichtern, definieren wir:

Definition (links und rechts von einer Stelle)

Sei f : P  , und sei p  ∈  P. Wir sagen, dass f eine Eigenschaft (x) links der Stelle p erfüllt, falls gilt:

∃ε > 0 ∀x  ∈  ] p − ε, p [ ∩ P (x).

Analog erfüllt f die Eigenschaft (x) rechts der Stelle p, falls gilt:

∃ε > 0 ∀x  ∈  ] p, p + ε [ ∩ P (x).

 „Links von p“ “ heißt also anschaulich genauer „in einem kleinen Bereich links von p“. Ist p der linke Randpunkt des Definitionsbereichs von f, so ist der Begriff nicht von Interesse; rein logisch ist (x) dann für alle Eigenschaften richtig. Analoges gilt für „rechts von p“.

Beispiel

Die Sinusfunktion ist negativ links der Null und positiv rechts der Null. Zudem ist sie links und rechts der Null streng monoton steigend.

Damit können wir nun definieren:

Definition (lokales Extremum, Hochpunkt, Tiefpunkt)

Sei f : P  , und sei p  ∈  P. Dann besitzt f an der Stelle p ein

(a)

lokales Maximum, falls f ≤ f (p) links und rechts von p,

(b)

lokales Minimum, falls f ≥ f (p) links und rechts von p,

(c)

lokales Extremum, falls f in p ein lokales Maximum oder Minimum besitzt.

Ist p eine lokale Maximalstelle (Minimalstelle) von f, so heißt der Punkt (p, f (p)) ein lokales Maximum (Minimum) oder ein Hochpunkt (Tiefpunkt) von f. Gilt < bzw. > statt ≤ bzw. ≥ in (a) oder (b), so heißen die Extrema strikt.

 Wir beschränken uns ab jetzt auf Intervalle als Definitionsbereiche. Funktionen wie 1/x können in auf Intervallen definierte Funktionen zerlegt werden.

Konvention

Im Folgenden sei I stets ein reelles Intervall (beliebiger Art).

 Lokale Extrema sind oft − aber nicht immer − mit einem Wechsel des Monotonieverhaltens verbunden. Ein derartiger Wechsel kann mit Hilfe des Vorzeichens der ersten Ableitung ermittelt werden:

Satz (Monotoniesatz)

Sei f : I   differenzierbar. Dann gilt:

(a)

 f ′  ≥  0  genau dann, wenn  f ist monoton steigend.

(b)

 f ′  ≤  0  genau dann, wenn  f ist monoton fallend.   

(c)

 f ′  >  0  impliziert  f ist streng monoton steigend.

(d)

 f ′  <  0  impliziert  f ist streng monoton fallend.

ema11-AbbID2-4-2
ema11-AbbID2-4-3

Das Vorzeichen von f ′ spiegelt das Monotonieverhalten von f

 Die streng monotonen Funktionen x3 und −x3 zeigen, dass die Umkehrungen in (c) und (d) nicht gelten. Sie gelten aber „fast“ in dem Sinne, dass die Ableitung einer streng monotonen Funktion nur an einzelnen Punkten gleich 0 sein kann.

 Aus der Definition der Ableitung und dem Monotoniesatz gewinnen wir:

Satz (Extremwertbestimmung)

Sei f : I   und p  ∈  I. Dann gilt unter entsprechenden Differenzierbarkeitsvoraussetzungen:

(a)

Ist p kein Randpunkt von I und besitzt f in p ein lokales Extremum, so ist p ein kritischer Punkt von f.

(b)

Ist f ′ > 0 links von p und f ′ < 0 rechts von p, so besitzt f in p ein striktes lokales Maximum.

(c)

Ist f ′ < 0 links von p und f ′ > 0 rechts von p, so besitzt f in p ein striktes lokales Minimum.

(d)

Ist f ′(p) = 0 und f ″(p) < 0, so besitzt f in p ein striktes lokales Maximum.

(e)

Ist f ′(p) = 0 und f ″(p) > 0, so besitzt f in p ein striktes lokales Minimum.

Beweis

Wir zeigen (a). Es gelte f ′(p) = lim p (f (x) − f (p))/(x − p) > 0. Da p nicht das Maximum von I ist, gibt es ein x > p in I, für das der Zähler des Differenzenquotienten positiv ist. Also ist p kein lokales Maximum von f. Ebenso gibt es ein x < p in I, für das der Zähler negativ ist, sodass p kein lokales Minimum von f ist. Analog argumentieren wir im Fall f ′(p) < 0.

Die Beweise der anderen Aussagen mit Hilfe des Monotoniesatzes seien dem Leser zur Übung überlassen.

ema11-AbbID2-4-4

 Wir betrachten noch einige stark oszillierende Funktionen, die zeigen, dass lokale Extrema komplizierter sein können als man denken könnte:

(a)

Ein lokales Extremum ist nicht notwendig mit einem Wechsel des Monotonieverhaltens verbunden.

(b)

Es kann unendlich viele Extrema in einem beschränkten Intervall geben.

(c)

Ein nicht striktes lokale Extremum bedeutet nicht immer, dass die Funktion links und rechts der Stelle konstant ist.

ema11-AbbID2-4-5

f :    mit f (x) = x2(2 + sin(1/x)) für x ≠ 0 und f (0) = 0.

Die Funktion f ist differenzierbar mit f ′(0) = 0, besitzt bei 0 ein striktes (globales) Minimum, ist aber links und rechts der 0 nicht monoton. Das Minimum kann mit Teil (b) des Satzes nicht identifiziert werden.

ema11-AbbID2-4-5b

Die erste Ableitung von f ist unstetig im Nullpunkt. Die zweite Ableitung f ″(0) existiert nicht, sodass Teil (d) des Satzes nicht anwendbar ist.

ema11-AbbID2-4-6

g :    mit f (x) = x2(1 + sin(1/x)) für x ≠ 0 und g(0) = 0.

Die Funktion besitzt an der Stelle 0 ein nicht striktes lokales Minimum, ist aber links und rechts der 0 nicht konstant.

ema11-AbbID2-4-6b

h :    mit h(x) = x (1 + 10 x sin(1/x)) für x ≠ 0 und h(0) = 0.

Die Funktion h ist differenzierbar mit h′(0) > 0, aber h ist links und rechts der Null nicht monoton steigend. Dies zeigt, dass ein einziger Punkt mit einer positiven Ableitung in Teil (c) des Monotoniesatzes nicht genügt.