Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

 Wir haben das Integral mit Hilfe von Flächeninhalten bzw. Mittelwerten eingeführt. Den Zusammenhang zum ursprünglichen Problem des Auffindens von Stammfunktion beschreibt:

Satz (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, HDI)

Sei f : [ a, b ]   integrierbar.

Teil 1: Berechnung von Integralen

Ist F eine Stammfunktion von f, so gilt

ba f  =  F(b)  −  F(a).

Teil 2: Existenz von Stammfunktionen

Sei s  ∈  [ a, b ], und sei Fs : [ a, b ]   definiert durch

Fs(x)  =  xs f  für alle x  ∈  [ a, b ].

Dann gilt: Ist f stetig, so ist Fs eine Stammfunktion von f.

Kurz:

(1)

Mit Stammfunktionen können wir Integrale berechnen.

(2)

Mit Integralen können wir Stammfunktionen definieren.

In diesem Sinne sind Integrieren und Differenzieren invers zueinander.

 Der erste Teil des Hauptsatzes erlaubt die Berechnung eines Integrals durch die Bestimmung (bei der auch das Raten erlaubt ist) einer Stammfunktion des Integranden. Hierbei ist folgende Notation nützlich:

Definition (Auswertungsnotation)

Wir setzen

Fab  =  Fab  =  F(b)  −  F(a).

Damit gilt also unter den Voraussetzungen des ersten Teils des Satzes

ba f  =  Fab.

 Der zweite Teil des Satzes garantiert die Existenz von Stammfunktionen für eine wichtige Klasse von Funktionen. Liegt keine Stammfunktion einer stetigen Funktion f vor, so erlaubt der Satz die approximative Berechnung einer solchen durch die approximative Berechnung von Integralen (z. B. durch Riemann-Summen). Der erste Teil des Satzes ergibt sich aus dem zweiten, wenn man sich auf stetige Funktionen f : [ a, b ]   beschränkt. Wir diskutieren dies in den Übungen.

 Der erste Teil des Hauptsatzes erlaubt die mühelose Berechnung vieler Integrale. Die komplizierte Flächenberechnung durch einen Grenzübergang mit Riemann-Summen entfällt. Dennoch bleiben die Riemann-Summen wertvoll: Ist keine Stammfunktion von f bekannt, so kann mit ihrer Hilfe ein approximativer Wert für das Integral über f sehr effektiv berechnet werden. Dies zeichnet die Riemann-Summen vor den Ober- und Untersummen aus, die theoretisch wichtig und elegant sind, sich aber bei weitem nicht so einfach berechnen lassen wie die Riemann-Summen mit ihren konkreten Stützstellen.

Beispiele

(1)

Für alle a, b  ∈   gilt

ba x2 dx  =  x33x=ax=b  =  b3 − a33.

Der Leser versuche, das Integral für den Spezialfall a = 0 und b = 1 mit Hilfe von Riemann-Summen zu berechnen!

(2)

21 1x dx  =  log(x)12  =  log 2  −  log 1  =  log 2.

(3)

10 11 + x2 dx  =  arctan(x)01  =  arctan 1  −  arctan 0  =  π4.

(4)

Das Integral

21 log(arctan(x2)) dx

lässt sich mit Hilfe von Riemann-Summen approximativ berechnen. Wir wählen äquidistante Partitionen der Länge n mit linksseitigen Stützstellen und erhalten gerundet auf fünf Nachkommastellen die Werte

0,07633  für  n  =  10,

0,10080  für  n  =  100,

0,10316  für  n  =  1000.

0,10340  für  n  =  10000.

Eine genauere numerische Approximation liefert

0,1034225943675219…

mit exakten Nachkommastellen.