Die Folgenstetigkeit

 Grenzwerte für Folgen und Grenzwerte für Funktionen hängen eng zusammen:

Satz (Funktionsgrenzwerte über Folgengrenzwerte)

Seien f : P   und p, a  ∈  . Dann sind äquivalent:

(a)

lim p f (x)  =  a.

(b)

Für jede Folge (xn)n ∈  in P mit limn xn = p gilt limn f (xn) = a.

 Einige Vorbemerkungen zum Beweis: Die Implikation von (a) nach (b) können wir durch Einsetzen der Definitionen zeigen. Etwas schwieriger ist dagegen die Implikation von (b) nach (a). Wir führen den Beweis indirekt, d. h. wir nehmen non(a) an und zeigen non(b). Die Annahme non(a) liefert uns ein ε > 0 derart, dass f aus allen ε-δ-Rechtecken bei (p, a) ausbricht, wie klein δ auch gewählt wird. Zeugen für derartige Ausbrüche entlang einer Nullfolge positiver δn ergeben eine Folge (xn)n ∈  in P, die gegen p konvergiert, deren f-Werte aber nicht gegen a konvergieren, da sie alle mindestens den Abstand ε von a haben.

Beweis

(a) impliziert (b):

Es gelte lim p f (x) = a. Sei (xn)n  ∈   eine Folge in P mit limn xn = p. Wir zeigen:

(+)  limn f (xn)  =  a.

Sei hierzu ε > 0. Dann gibt es ein δ > 0 mit:

(++)  |x − p| < δ    |f (x) − a| < ε  für alle x  ∈  P.

Wegen limn xn = p gibt es ein n0 mit |xn − p| < δ für alle n ≥ n0. Nach (++) gilt also |f (xn) − a| < ε für alle n ≥ n0. Dies zeigt, dass limn f (xn) = a.

non(a) impliziert non(b):

Es gelte also non(lim p f (x) = a). Dann gibt es ein ε > 0 derart, dass für alle δ > 0 ein x  ∈  P existiert mit

|x  −  p| < δ  und  |f (x)  −  a| ≥ ε.

Speziell gibt es für alle n  ∈   ein xn  ∈  P derart, dass

|xn  −  p| < 1/2n  und  |f (xn)  −  a| ≥ ε.

Dann ist (xn)n ∈  eine gegen p konvergente Folge in P mit der Eigenschaft non(limn f (xn) = a).

 Hieraus ergibt sich eine sehr bedeutsame Formulierung der Stetigkeit einer Funktion mit Hilfe von Folgen. Wir definieren hierzu:

Definition (Folgenstetigkeit)

Sei f : P  , und sei p  ∈  P. Dann heißt f folgenstetig an der Stelle p, falls gilt:

Für alle Folgen (xn)n ∈  in P mit limn xn = p gilt limn f (xn) = f (p).

Weiter heißt die Funktion f folgenstetig, falls f folgenstetig an allen Stellen p  ∈  P ist.

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Zur Folgenstetigkeit an der Stelle p: Konvergiert x0, x1, x2, … gegen p, so konvergieren die Funktionwerte f (x0), f (x1), f (x2), … gegen f (p).

 Nach dem obigen Satz sind die beiden Stetigkeitsbegriffe äquivalent. Wir halten dieses Ergebnis explizit fest:

Korollar (ε-δ-Stetigkeit und Folgenstetigkeit)

Sei f : P  , und sei p  ∈  P. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:

(a)

f ist stetig an der Stelle p.

(b)

f ist folgenstetig an der Stelle p.

 Die Folgenstetigkeit einer Funktion f können wir auch so notieren:

(+)  Für alle konvergenten Folgen (xn)n ∈  in P gilt limn f (xn) = f(limn xn).

Dadurch wird erneut die Vertauschbarkeit von Grenzwertbildung und Funktionsanwendung zum Ausdruck gebracht.

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Zur Folgen-Unstetigkeit von sgn an der Stelle 0: Die Folge 1, 1/2, 1/4, … konvergiert gegen 0, aber die zugehörigen Funktionswerte konvergieren nicht gegen sgn(0) = 0.

 Unsere Überlegungen zeigen, dass sich der Grenzwertbegriff für Funktionen mit Hilfe des Grenzwertbegriffs für Folgen definieren lässt. Zum Abschluss der Diskussion halten wir fest, dass umgekehrt auch eine Definition des Grenzwerts für Folgen mit Hilfe der ε-δ-Grenzwertdefinition für Funktionen möglich ist. Hierzu müssen wir nur beobachten, dass Folgen spezielle Funktionen sind:

Satz (Folgengrenzwerte über Funktionsgrenzwerte)

Sei (xn)n ∈  ein Folge in . Dann sind äquivalent:

(a)

limn xn  =  a.

(b)

lim ∞ f (x)  =  a, wobei f :    definiert ist durch f (n) = xn.

 Alternativ können wir in (b) zum Beispiel auch die Funktion g : P   mit P = { 1/n | n ≥ 1 } und

g(1/n)  =  xn für alle n ≥ 1

verwenden und lim 0 g(x) = a fordern. Dadurch lassen sich uneigentliche Grenzwerte vermeiden.