Die geometrische Deutung der komplexen Multiplikation
Die Addition komplexer Zahlen ist die vertraute Vektoraddition. Weiter hat sich die Multiplikation einer reellen Zahl mit einer komplexen Zahl als die übliche Skalierung eines Vektors herausgestellt. Eine anschauliche Bedeutung des Produkts zweier beliebiger komplexer Zahlen liegt dagegen noch nicht vor. Um eine solche zu finden, erinnern wir uns an die Drehformel: Bei unserer Diskussion der Additionstheoreme für den Kosinus und Sinus hatten wir für zwei Punkte
P1 = (x1, y1) = (cos α, sin α), P2 = (x2, y2) = (cos β, sin β)
des Einheitskreises gezeigt, dass
Q = (x1 x2 − y1 y2, x1 y2 + y1 x2).
der Punkt auf dem Einheitskreis mit dem Winkel α + β (modulo 2π) ist. Das ist genau die Form der komplexen Multiplikation. Damit erhalten wir:
Spezielle geometrische Multiplikationsregel
Das Produkt zweier komplexer Zahlen auf dem Einheitskreis ist diejenige komplexe Zahl auf dem Einheitskreis, deren Winkel der Summe der Winkel der beiden Zahlen entspricht.
Durch Skalierung gewinnen wir hieraus eine allgemeine Version: Sind (x1, y1), (x2, y2) ∈ ℂ* und r1, r2 > 0 die Euklidischen Längen der Vektoren, so gilt
(x1, y1) · (x2, y2) = r1 r2 (1r1 (x1, y1) · 1r2 (x2, y2)).
Die mit 1/r1 und 1/r2 skalierten Vektoren auf der rechten Seite sind die Projektionen der beiden Vektoren auf den Einheitskreis. Da der Winkel eines Vektors bei Projektion auf den Einheitskreis unverändert bleibt, erhalten wir mit Hilfe der speziellen Regel:
Geometrische Multiplikationsregel
Zwei komplexe Zahlen werden multipliziert, indem ihre Längen multipliziert und ihre (mit der positiven x-Achse eingeschlossenen und gegen den Uhrzeigersinn gemessenen) Winkel addiert werden.
Hier und im Folgenden ordnen wir dem Nullvektor 0 = (0, 0) zur Vereinfachung der Sprechweise den Winkel 0 zu, wo immer dies nützlich ist. Dann gilt die Regel auch dann, wenn eine der komplexen Zahlen gleich 0 ist.
Die Multiplikation komplexer Zahlen lässt sich mit Hilfe von Polarkoordinaten bestechend einfach formulieren:
Multiplikation komplexer Zahlen in Polarkoordinaten
Für alle komplexen Zahlen (r1, φ1), (r2, φ2) in Polarkoordinaten gilt
(r1, φ1) · (r2, φ2) = (r1r2, φ1 + φ2).
Mit Hilfe der geometrischen Multiplikationsregel lassen sich viele komplexe Formeln anschaulich erklären. Man kann zum Beispiel mit etwas Mühe nachrechnen, dass die komplexe Multiplikation kommutativ ist, d. h. dass z w = w z für alle z, w ∈ ℂ gilt. Mit der geometrischen Deutung ist dies sofort klar, da die Multiplikation von Längen und die Addition von Winkeln kommutativ sind. Gleiches gilt für die Assoziativität, d. h. z (w u) = (z w) u für alle z, w, u ∈ ℂ.