Das Euklidische Skalarprodukt

 Im Beweis der Dreiecksungleichung ist uns die Summe

v1 w1  +  …  +  vn wn

begegnet, bei der die Komponenten zweier Vektoren paarweise multipliziert und die Produkte anschließend aufsummiert werden. Wir untersuchen dieses „Wunder der linearen Algebra“ nun genauer.

Definition (Euklidisches Skalarprodukt)

Sei n ≥ 1. Dann setzen wir für alle v, w  ∈  n:

〈 v, w 〉  =  v • w  =  v1 w1  +  …  +  vn wn.

Die reelle Zahl 〈 v, w 〉 heißt das Euklidische Skalarprodukt der Vektoren v und w.

 Das Euklidische Skalarprodukt ist eine Abbildung von n × n nach : Je zwei Vektoren des n wird eine reelle Zahl (ein Skalar) zugeordnet. Das Produkt der beiden Vektoren ist also ein Skalar, was die Namensgebung Skalarprodukt motiviert.

 Im Folgenden bevorzugen wir die Klammernotation 〈 v, w 〉 gegenüber der in der Schule vielleicht bevorzugten Punkt-Notation. In der mathematischen Physik ist zudem auch die Dirac-Notation

〈 v ∣ w 〉  statt  〈 v, w 〉

üblich.

 Direkt aus den Definitionen des Skalarprodukts und der Norm ergibt sich:

Satz (Skalarprodukt und Norm)

Für alle v  ∈  n gilt:

∥v∥2  =  〈 v, v 〉.

 Durch Nachrechnen zeigt man die folgenden Eigenschaften, die pausenlos im Einsatz sind:

Satz (Eigenschaften des Euklidischen Skalarprodukts)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle λ  ∈   und alle v, w, v′, w′  ∈  n:

(i)

〈 v + λv′, w 〉  =  〈 v, w 〉  +  λ 〈 v′, w 〉,

〈 v, w + λw′ 〉  =  〈 v, w 〉  +  λ 〈 v, w′ 〉, (Bilinearität)

(ii)

〈 v, w 〉  =  〈 w, v 〉, (Symmetrie)

(iii)

〈 v, v 〉  >  0  für alle v ≠ 0. (positive Definitheit)

 Mit Hilfe der Bilinearität und Symmetrie zeigen wir:

Satz (binomische Formeln und Polarisation)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle v, w  ∈  n:

(a)

∥ v ± w ∥2  =  ∥v∥2  +  ∥w∥2  ±  2 〈 v, w 〉,(binomische Formeln)

(b)

4 〈 v, w 〉  =  ∥ v + w ∥2 − ∥ v − w ∥2.(Polarisation)

Beweis

Seien v, w  ∈  n. Dann gilt:

∥ v + w ∥2 =  〈 v + w, v + w 〉
=  〈 v, v + w 〉  +  〈 w, v + w 〉
=  〈 v, v 〉  +  〈 v, w 〉  +  〈 w, v 〉  +  〈 w, w 〉
=  〈 v, v 〉  +  2 〈 v, w 〉  +  〈 w, w 〉
=  ∥v∥2  +  ∥w∥2  +  2 〈 v, w 〉.

Die zweite binomische Formel wird analog bewiesen.

Der Beweis der Polarisationsformel (b) sei dem Leser zur Übung überlassen.

 Unserem Beweis der Dreiecksungleichung entnehmen wir folgende Abschätzung, die allgemein als eine der wichtigsten Ungleichungen der gesamten Mathematik anerkannt ist:

Satz (Ungleichung von Cauchy-Schwarz)

Sei n ≥ 1. Dann gilt für alle v, w  ∈  n:

|〈 v, w 〉|  ≤  ∥v∥ ∥w∥.

Beweis

Seien v, w  ∈  n. Wir wissen schon (nach (◇) oben), dass 〈 v, w 〉  ≤  ∥v∥ ∥w∥. Ist 〈 v, w 〉 < 0, so ist 〈 −v, w 〉 > 0 und

|〈 v, w 〉|  =  〈 −v, w 〉  ≤  ∥ −v ∥ ∥w∥  =  ∥v∥ ∥w∥.

 Wir geben noch einen zweiten Beweis, der nur die grundlegenden Eigenschaften des Skalarprodukts verwendet.

Zweiter Beweis der Ungleichung von Cauchy-Schwarz

Es genügt, normierte Vektoren zu betrachten. Denn für v = 0 oder w = 0 ist die Ungleichung klar und für Längen ungleich 1 folgt sie durch Skalierung aus der Version für normierte Vektoren. Seien also v, w  ∈  n normiert. Dann gilt für alle λ  ∈   nach den binomischen Formeln:

0  ≤  ∥ v − λ w ∥2  =  ∥v∥2  +  λ2 ∥w∥2  −  2λ 〈 v, w 〉  =  1  +  λ2  −  2λ 〈 v, w 〉.

Für den Spezialfall λ = 〈 v, w 〉 erhalten wir 0 ≤ 1 − 〈 v, w 〉2, sodass

|〈 v, w 〉|  ≤  1  =  1 · 1  =  ∥v∥ ∥w∥.

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Zum zweiten Beweis der Cauchy-Schwarz-Ungleichung

 Aus den Beweisen ergibt sich, dass die Ungleichung von Cauchy-Schwarz genau dann zu einer Gleichung wird, wenn die Vektoren auf einer Geraden des n liegen. Wir diskutieren dies in den Übungen.