Algebraische Kurven ersten und zweiten Grades
Ist G = G(u) = { λu | λ ∈ ℝ } die von einem Vektor u ≠ 0 der Ebene erzeugte Gerade, so besteht G aus genau den Vektoren des ℝ2, die senkrecht auf dem Vektor u⊥ = rotπ/2(u) stehen. Setzen wir also (a, b) = u⊥ = (−u2, u1), so gilt (a, b) ≠ 0 und
G | = { v ∈ ℝ2 | 〈 u⊥, v 〉 = 0 } |
= { (x, y) ∈ ℝ2 | ax + by = 0 }.(Orthogonaldarstellung einer Geraden) |
Sei nun w ∈ ℝ2 und H = w + G = { w + λu | λ ∈ ℝ } eine affine Gerade. Für alle v ∈ ℝ2 gilt v ∈ H genau dann, wenn v − w ∈ G, d. h. wenn 〈 u⊥, v − w 〉 = 0. Setzen wir also
s = 〈 u⊥, w 〉, c = −s,
so erhalten wir die Darstellung
H | = { v ∈ ℝ2 | 〈 u⊥, v − w 〉 = 0 } = { v ∈ ℝ2 | 〈 u⊥, v 〉 − 〈 u⊥, w 〉 = 0 } |
= { v ∈ ℝ2 | 〈 u⊥, v 〉 = s } = { (x, y) ∈ ℝ2 | ax + by + c = 0 }. |
Es ist bemerkenswert, dass sich eine affine Gerade als die Menge aller Vektoren schreiben lässt, für die das Skalarprodukt mit einem gewissen Vektor einen konstanten Wert s ergibt. Dem konstanten Wert s = 0 entsprechen die Geraden durch den Nullpunkt, eine Änderung von s bewirkt eine Parallelverschiebung.
Umgekehrt ist leicht zu sehen, dass jede Gleichung der Form ax + by + c = 0 mit (a, b) ≠ 0 in den Unbestimmten x, y eine affine Gerade definiert, die genau dann durch den Nullpunkt verläuft, wenn c = 0. Wir definieren:
Definition (algebraische Kurve ersten Grades)
Eine Menge C ⊆ ℝ2 heißt eine algebraische Kurve ersten Grades, falls es a, b, c ∈ ℝ gibt mit (a, b) ≠ 0 und
C = { (x, y) ∈ ℝ2 | ax + by + c = 0 }.
Wir sagen dann, dass die Kurve C durch die Gleichung ax + by + c = 0 definiert wird.
Da a ≠ 0 oder b ≠ 0 gilt, können wir eine definierende Gleichung einer Kurve C hinsichtlich x oder y normieren. Ist c ≠ 0, so können wir durch c dividieren und damit die Konstante der Gleichung normieren.
Unsere Überlegungen zeigen:
Satz (Klassifikation der algebraischen Kurven ersten Grades)
Die algebraischen Kurven ersten Grades sind genau die affinen Geraden der Ebene.
Deutlich komplizierter werden die Verhältnisse, wenn wir bivariate Gleichungen zweiten Grades betrachten:
Definition (algebraische Kurve zweiten Grades)
Eine Menge C ⊆ ℝ2 heißt eine algebraische Kurve zweiten Grades, falls es a, b, c, d, e, f ∈ ℝ gibt mit (a, b, c) ≠ 0 und
C = { (x, y) ∈ ℝ2 | a x2 + b y2 + c x y + d x + e y + f = 0 }.
Wir sagen dann wieder, dass die Kurve C durch die Gleichung der Mengendefinition definiert wird.
Algebraische Kurven zweiten Grades sind uns schon oft begegnet. In der folgenden Tabelle geben wir definierende Gleichungen für die Kurven an.
Beispiele für algebraischen Kurven zweiten Grades
x2 + y2 − 1 = 0 | Einheitskreis |
x2 + y2 − r2 = 0 | zentrischer Kreis mit Radius r |
(x − x0)2 + (y − y0)2 − r2 = 0 | Kreis mit Radius r und Mittelpunkt (x0, y0) |
x2 − y = 0 | Einheitsparabel |
x2/a2 + y2/b2 − 1 = 0 | achsenparallele Ellipse mit Halbachsen a, b |
x2 − y2 − 1 = 0 | Einheitshyperbel |
xy − 1 = 0 | Hyperbel, Graph von f : ℝ* → ℝ, f (x) = 1/x |
Beispiele für algebraische Kurven zweiten Grades (Kegelschnitte)
Man kann zeigen, dass die algebraischen Kurven zweiter Ordnung genau die (beliebig skalierten, gedrehten und verschobenen) Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln der Ebene sind, wobei noch einige Sonderfälle zu beachten sind (für eine durch x2 + c = 0 definierte Kurve C ist zum Beispiel C die leere Menge, falls c > 0, C die y-Achse, falls c = 0 und C ein Geradenpaar, falls c < 0). Aus Sicht der klassischen Geometrie sind die algebraischen Kurven zweiten Grades die Kegelschnitte, also die Figuren der Ebene, die wir durch den Schnitt eines unendlichen Doppelkegels mit einer Ebene des Raumes erhalten. Dieser Klassifikationssatz ist keineswegs leicht zu zeigen, und wir begnügen uns an dieser Stelle mit den obigen Beispielen und der Schilderung der Ergebnisse.
Der Leser wird sich fragen, wie es weitergeht. Algebraische Kurven dritten Grades werden durch Gleichungen der Form
a1 x3 + a2 y3 + a3 x2 y + a4 x y2 + a5 x2 + a6 y2 + a7 x y + a8 x + a9 y + a10 = 0
definiert, wobei einer der ersten vier Koeffizienten von Null verschieden sein muss. Es ergibt sich eine sehr reichhaltige Kurvenwelt, zu der insbesondere das repräsentative Gebiet der elliptischen Kurven gehört. Diese spezielleren Kurven dritten Grades werden definiert durch Gleichungen der Form
y2 = x3 + ax + b.
Beispiele für elliptische Kurven