Matrizen als lineare Abbildungen

 Wir verfolgen nun das Motiv, dass eine Matrix A vermöge „v wird abgebildet auf Av“ eine Abbildung der Ebene in sich selbst definiert, genauer. Hierzu definieren wir den grundlegenden Begriff einer linearen Abbildung f : 2  2 und zeigen, dass die linearen Abbildungen den durch die Matrizen definieren Abbildungen entsprechen. Die Matrizenmultiplikation entspricht dabei der Komposition von Abbildungen. Wir erinnern an:

Definition (zugeordnete Abbildung)

Sei A  ∈  2 × 2. Dann ist die Abbildung fA : 2  2 definiert durch

fA(v)  =  A v  für alle v  ∈  2.

Die Abbildung fA heißt die der Matrix A zugeordnete Abbildung.

 Wir haben schon verwendet, dass für alle A  ∈  2 × 2, Vektoren v, w  ∈  2 und Skalare λ, μ  ∈   gilt:

A (λ v + μ w)  =  λ A v  +  μ A w,  d. h. 

fA(λ v + μ w)  =  λ fA(v)  +  μ fA(w).

Speziell gilt für alle v = (x, y)  ∈  2:

fA(v)  =  Av  =  A(x, y)  =  A(xe1 + ye2)  =  x Ae1 + y Ae2.

Der Funktionswert fA(v) ist also eine Linearkombination der Spaltenvektoren Ae1 und Ae2 der Matrix A. Die Skalare der Kombination sind die Komponenten von v. Damit können wir die Abbildungseigenschaften einer Matrix mit nichtverschwindender Determinante veranschaulichen:

Visualisierung der Abbildungsdynamik einer Matrix A

Wir zeichnen die Spaltenvektoren von A in eine Diagramm ein und fassen sie als neue Basisvektoren auf. Dadurch erzeugen wir ein neues Koordinatengitter. Für alle v = (x, y) ist Av der Punkt des Gitters mit den Koordinaten (x, y).

 Ist die Determinante von A gleich 0, so sind die Spaltenvektoren von A kollinear. Wir können sie erneut in ein Diagramm einzeichnen, aber die beiden Vektoren erzeugen nun nur noch den Nullpunkt (im Fall A = 0) oder eine Gerade in der Ebene (im Fall A ≠ 0).

 Daneben stehen uns alle Visualisierungsmöglichkeiten zur Verfügung, die wir für eine Funktion von  nach  diskutiert haben. Denn fA : 2  2 ist eine Abbildung der Ebene in sich selbst. Beispielsweise können wir versuchen, die Wirkung von fA durch Pfeile von v nach Av für einige v zu veranschaulichen.

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Eine Matrix A mit det(A) ≠ 0 verformt das kartesische Gitter zu einem neuen Gitter. Mit Hilfe des neuen Gitters können wir die Vektoren fA(v) = A v bestimmen.

Beispiele

(1)

Für die Nullmatrix 0 ist f0(v) = 0  ∈  2 für alle v  ∈  2, d. h. f0 bildet jeden Vektor der Ebene auf den Nullvektor der Ebene ab.

(2)

Für die Einheitsmatrix E2 gilt fE2(v) = v für alle v  ∈  2, sodass die zugeordnete Abbildung die Identität auf 2 ist.

(3)

Sei A = ((1, 0); (0, 0)). Dann gilt Av = (v1, 0) für alle v  ∈  2. Die Abbildung fA ist also die orthogonale Projektion eines Vektors v auf die x-Achse, d. h. es gilt fA = pre1.

 Die Abbildung fA : 2  2 erlaubt eine neue Sicht auf ein lineares Gleichungssystem: Die Lösungsmenge eines linearen Gleichungssystems A v = u ist das Urbild der Menge { u } unter der Abbildung fA. Genau diejenigen Vektoren der Ebene, die durch fA auf u abgebildet werden, lösen das Gleichungssystem. Die Urbildmenge einer einelementigen Menge ist auch als Faser der Abbildung bekannt. Damit ist also L die Faser von u unter der Abbildung fA.

 Der enge Zusammenhang zwischen A und fA wird weiter vertieft durch:

Satz (Matrizenmultiplikation als Komposition)

Für alle A, B  ∈  2 × 2 gilt fA B  =  fA ∘ fB.

Der Beweis des Satzes sei dem Leser zur Übung empfohlen. Wichtig ist die Reihenfolge der Komposition: fA B  =  fA ∘ fB, aber fB A  =  fB ∘ fA.

Lineare Abbildungen

 Wir betrachten nun allgemein:

Definition (lineare Abbildung)

Eine Abbildung f : 2  2 heißt linear, falls für alle v, w  ∈  2 und alle λ, μ  ∈   gilt:

f(λ v + μ w)  =  λ f (v)  +  μ f (w).(Linearitätsbedingung)

 Alle Abbildungen der Form fA : 2  2 sind linear. Der folgende grundlegende Satz besagt, dass es keine weiteren Beispiele gibt:

Satz (Hauptsatz über lineare Abbildungen und Matrizen)

Sei f : 2  2 linear. Dann gibt es genau ein A  ∈  2 × 2 mit f = fA.

Beweis

zur Existenz:

Wir setzen A = (f (e1); f (e2)), d. h. die Spalten von A sind die Bilder der kanonischen Basisvektoren e1 und e2 unter f. Dann gilt A e1 = f (e1) und A e2 = f (e2). Folglich gilt für alle v = (x, y)  ∈  2:

fA(v) =  fA(x e1 + y e2)  =  x fA(e1)  +  y fA(e2)
=  x f (e1)  +  y f (e2)  =  f (x e1 + y e2)  =  f (v).

zur Eindeutigkeit:

Seien A, B  ∈  2 × 2 mit fA = f = fB. Dann gilt

A e1  =  fA(e1)  =  fB(e1)  =  B e1,

sodass die erste Spalte von A mit der ersten Spalte von B übereinstimmt. Analog zeigt eine Multiplikation mit e2, dass die zweiten Spalten der Matrizen A und B übereinstimmen. Damit gilt A = B.

 Mit Hilfe des Ergebnisses lässt sich die Assoziativität der Matrizenmultiplikation elegant aus der Assoziativität der Komposition von Abbildungen folgern. Für alle Matrizen A, B, C gilt

fA(BC)  =  fA ∘ (fBC)  =  fA ∘ (fB ∘ fC)  =  (fA ∘ fB) ∘ fC  =  fAB ∘ fC  =  f(AB)C.

Aus der Eindeutigkeit der Darstellung folgt A(BC) = (AB)C. Damit wird der Beweis durch Nachrechnen durch ein Argument vom höheren Standpunkt ergänzt.

 Aus dem Beweis ergibt sich:

Wir können die darstellende Matrix einer linearen Abbildung finden, indem wir die Bilder der kanonischen Basisvektoren bestimmen und als Spalten in eine Matrix schreiben.

Wir betrachten einige Beispiele hierzu.

Projektionsmatrizen

Sei u  ∈  2 mit u ≠ 0. Dann ist die orthogonale Projektion pru : 2  2, die einen Vektor v auf pru(v) = 〈 û, v 〉 û abbildet, linear. Wir nehmen zur Vereinfachung der Notation an, dass u normiert ist. Dann gilt

pru(e1)  =  〈 u, e1 〉 u  =  u1 u  =  (u12, u1u2),

pru(e2)  =  〈 u, e2 〉 u  =  u2 u  =  (u1u2, u22).

Damit erhalten wir die symmetrische Matrix

Au  =  u12u1u2u1u2u22

als darstellende Matrix. Matrizen dieser Form heißen Projektionsmatrizen. Wir können diese Matrizen auch anders gewinnen, indem wir schreiben

pru(v)  =  〈 u, v 〉 u  =  (u1 v1 + u2 v2) u1u2 =  u12u1u2u1u2u22 v1v2.

Eine Projektionsmatrix Au besitzt die Determinante 0. Alle Vektoren der Ebene werden durch Au auf die von u erzeugte Gerade abgebildet.

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Die Projektion Au auf den Vektor u = (2, 2/3) visualisiert als Pfeildiagramm.

Mit λ = 1/10 gilt û = λ(3, 1), Aue1 = λ (3, 9) und Aue2 = λ (3, 1).

Rotationsmatrizen

Sei φ  ∈  . Die Abbildung rotφ : 2  2, die einen Vektor v  ∈  2 um einen Winkel φ gegen den Uhrzeigersinn dreht, ist linear. Es gilt

f (e1)  =  (cos φ, sin φ),  f (e2)  =  rotπ/2(f (e1))  =  (−sin φ, cos φ).

Für die darstellende Matrix Aφ = Arotφ gilt also

Aφ  =  cosφsinφsinφcosφ.

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Die Rotation A = Aφ um den Winkel φ = 2π/7

 Weitere wichtige Beispiele sind die Punktspiegelung am Nullpunkt und die Spiegelungen an Geraden durch den Ursprung. Wir diskutierenden die darstellenden Matrizen dieser Abbildungen in den Übungen.

 Durch den Übergang von A zu fA können wir die Determinante einer Matrix A anschaulich interpretieren: In den Spalten von A stehen die Bilder der kanonischen Basisvektoren. Die Basisvektoren e1 und e2 spannen ein Parallelogramm der Fläche 1 auf (ein Quadrat). Ihre Bilder fA(e1) und fA(e2) unter fA spannen ein Parallelogramm der signierten Fläche det(A) auf, wobei wir eine negative Fläche als negative Orientierung der Bildvektoren interpretieren. Damit können wir zusammenfassen:

Die Determinante einer Matrix A ist ein Maß für die von der linearen Abbildung fA bewirkte Flächenverzerrung.

Diese Verzerrung kann durch die Skalierung der Basisvektoren, durch die Veränderung des eingeschlossenen rechten Winkels und durch die Umkehr der Orientierung entstehen.

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Die Determinante einer Matrix A als Maß für die Flächenverzerrung

Beispiele

(1)

Eine Projektion erzeugt ein degeneriertes Parallelogramm. Die Determinante einer Projektionsmatrix ist 0.

(2)

Eine Rotation erhält sowohl die Fläche als auch die Orientierung. Die Determinante einer Rotationsmatrix ist 1.