Eigenschaften des Kreuzprodukts
Das Kreuzprodukt besitzt eine Reihe von bemerkenswerten Eigenschaften. Der folgende Satz, dessen „Beweis durch umfangreiches Nachrechnen“ dem Leser zur Übung überlassen sei, versammelt einige davon.
Satz (Eigenschaften des Kreuzprodukts)
Für alle v, w, u ∈ ℝ3 und λ ∈ ℝ gilt:
(i) | 〈 v × w, v 〉 = 〈 v × w, w 〉 = 0,(Orthogonalität) |
(ii) | v × w = − (w × v),(Antikommutativität) |
(iii) | (λv) × w = λ (v × w), (v + u) × w = v × w + u × w, v × (λw) = λ (v × w), v × (w + u) = v × w + v × u,(Bilinearität) |
(iv) | v × v = 0,(Alternation) |
(v) | v × (w × u) = 〈 v, u 〉 w − 〈 v, w 〉 u,(Grassmann-Identität) |
(vi) | v × (w × u) + u × (v × w) + w × (u × v) = 0,(Jacobi-Identität) |
(vii) | ∥ v × w ∥2 = ∥v∥2 ∥w∥2 − 〈 v, w 〉2.(Lagrange-Identität) |
Das Kreuzprodukt ist also weder kommutativ noch assoziativ. Die Grassmann-Identität ist aus mnemotechnischen Gründen auch als bac-cab−Regel bekannt: Schreiben wir a, b, c statt v, w, u, so gilt
a × (b × c) = 〈 a, c 〉 b − 〈 a, b 〉 c = b 〈 a, c 〉 − c 〈 a, b 〉
mit ungewöhnlichen rechtsseitigen Skalaren an den Vektoren b und c. In der Jacobi-Identität werden die Vektoren v, w, u zyklisch vertauscht, was ebenfalls helfen kann, sich diese Formel zu merken. Explizit bemerken wir, dass die Lagrange-Identität die Ungleichung von Cauchy-Schwarz (für den ℝ3) impliziert.
Für Liebhaber des Kreuzprodukts halten wir noch fest (Beweis als Übung):
Satz (allgemeine Lagrange-Identität, Binet-Cauchy-Identität)
Für alle v1, v2, w1, w2 ∈ ℝ3 gilt:
〈 v1 × v2, w1 × w2 〉 | = 〈 v1, w1 〉 〈 v2, w2 〉 − 〈 v1, w2 〉 〈 v2, w1 〉 |
= det . |
Die Lagrange-Identität ergibt sich für v = v1 = w1 und w = v2 = w2 als Spezialfall der Binet-Cauchy-Identität.
Nach Konstruktion steht das Kreuzprodukt von v und w senkrecht auf den Vektoren v und w. Zu klären bleibt noch die Länge und die Richtung des Vektors v × w. Für die Länge gilt:
Satz (Länge des Kreuzprodukts: Parallelogrammfläche)
Für alle v, w ∈ ℝ3 ist ∥ v × w ∥ die Fläche des von v und w im ℝ3 aufgespannten Parallelogramms
P = { λ v + μ w | λ, μ ∈ [ 0, 1 ] }.
Für v, w ≠ 0 gilt also
∥ v × w ∥ = ∥v∥ ∥w∥ sin(φ) mit φ = ∡(v, w) ∈ [ 0, π ].
Beweis
Gilt v = 0 oder w = 0, so ist v × w der Nullvektor mit Länge 0, und die Fläche von P ist ebenfalls gleich 0. Seien also v, w ≠ 0 und φ = ∡(v, w), sodass sin φ ≥ 0. Nach der Lagrange-Identität gilt
∥ v × w ∥2 | = ∥v∥2 ∥w∥2 − 〈 v, w 〉2 |
= ∥v∥2 ∥w∥2 − cos2φ ∥v∥2 ∥w∥2 | |
= ∥v∥2 ∥w∥2 (1 − cos2φ) | |
= ∥v∥2 ∥w∥2 sin2 φ. |
Das von v und w aufgespannte Parallelogramm P mit der Höhe h = sin φ ∥w∥
Damit gilt für alle v, w ∈ ℝ3 mit v, w ≠ 0 und φ = ∡(v, w):
cos φ = 〈 v̂, ŵ 〉, sin φ = ∥ v̂ × ŵ ∥.
Um die Richtung von v × w zu ermitteln, betrachten wir zunächst die kanonischen Einheitsvektoren. Ausrechnen zeigt:
Satz (Richtung des Kreuzprodukts)
Für e1 = (1, 0, 0), e2 = (0, 1, 0), e3 = (0, 0, 1) gilt:
e1 × e1 = 0, | e2 × e2 = 0, | e3 × e3 = 0, |
e1 × e2 = e3, | e2 × e3 = e1, | e3 × e1 = e2, |
e2 × e1 = − e3, | e3 × e2 = − e1, | e1 × e3 = − e2. |
Als Merkregel kann man verwenden, dass die zyklische bzw. azyklische Anordnung der Indizes zu einem positiven bzw. negativen Vorzeichen führt. Das Ergebnis ei × ej lässt sich damit ablesen an der Aufzählung:
e1, e2, e3, e1, e2
Sind v, w linear unabhängig, so gilt allgemeiner, dass die räumliche Lage der drei Vektoren v, w, v × w stets der Lage von e1, e2, e3 entspricht (und nicht etwa der Lage von e1, e3, e2); bei diesem Lagebegriff wird von den Längen und dem eingeschlossenen Winkel der Vektoren v und w abgesehen. Anschaulich lässt sich dies wie folgt formulieren:
Richtung des Kreuzprodukts: Rechte-Hand-Regel
Zeigt v in Richtung des Daumens und w in Richtung des Zeigefingers der rechten Hand, so zeigt v × w in Richtung des Mittelfingers der rechten Hand, wenn dieser senkrecht auf Daumen und Zeigefinger steht.
Die Regel kann in dieser anschaulichen Form nicht bewiesen werden, da wir in mathematischen Beweisen nicht von einer rechten Hand reden können. Um sie mathematisch zu formulieren, betrachten wir drei linear unabhängige Vektoren a, b, c des Raumes derart, dass a auf der positiven x-Achse und b in der x-y-Ebene liegt (c muss nicht notwendig senkrecht auf a und b stehen). Dann bildet anschaulich a, b, c genau dann ein System, das wir mit der rechten Hand (bei sehr beweglichen Fingern) richtungsmäßig nachbilden können, wenn das Vorzeichen der y-Komponente von b mit dem Vorzeichen der z-Komponente von c übereinstimmt. Zwei Beispiele sind
(2, 0, 0), (1, 1, 0), (−1, −1, 2),
(1, 0, 0), (0, −1, 0), (−1, 0, −1).
Allgemeine Vektoren u, v, w ∈ ℝ3 erlauben diese Nachbildung mit der rechten Hand, wenn sie durch eine Rotation um den Nullpunkt in ein derartiges System a, b, c übergeführt werden können.
Diese Überlegungen führen zu einer Definition, die durch die Anschauung motiviert, aber von ihr unabhängig ist:
Definition (Rechtssystem)
Seien v, w, u ∈ ℝ3 linear unabhängig. Dann ist (v, w, u) ein Rechtssystem, falls es eine Rotation f : ℝ3 → ℝ3 um den Nullpunkt gibt, sodass für die Vektoren a = f (v), b = f (w), c = f (u) gilt:
(i) | a = (a1, 0, 0), b = (b1, b2, 0), c = (c1, c2, c3), |
(ii) | a1 > 0, sgn(b2) = sgn(c3). |
Analog ist ein Linkssystem definiert, wobei in (ii) nun sgn(b2) ≠ sgn(c3) gefordert wird.
Damit können wir nun eine formale Version der Rechte-Hand-Regel beweisen. Hierzu verwenden wir, dass eine Rotation f : ℝ3 → ℝ3 um den Nullpunkt das Kreuzprodukt respektiert, d. h. dass f(u × v) = f (u) × f (v) für alle u, v ∈ ℝ3 gilt. Um dies streng zu beweisen, müssten wir Rotationen genauer untersuchen. Die Aussage ist aber plausibel, da eine Rotation eine stetige Abbildung ist und wir das Kreuzprodukt bereits bis auf ein Vorzeichen in Länge und Richtung festgelegt haben. Und dieses Vorzeichen kann bei einer stetigen Abbildung nicht wechseln.
Satz (Richtung des Kreuzprodukts)
Seien v, w ∈ ℝ3 linear unabhängig, und sei u = v × w. Dann ist (v, w, u) ein Rechtssystem.
Beweis
Sei a1 = ∥v∥. Sei f : ℝ3 → ℝ3 eine Rotation um den Nullpunkt, die v auf a = (a1, 0, 0) und w auf einen Vektor b der x-y-Ebene abbildet, sodass
f (w) = b = (b1, b2, 0).
Weiter sei c = f (u). Dann gilt
c = f(v × w) = f (v) × f (w) = × = ,
sodass c3 = a1b2. Wegen a1 > 0 ist sgn(c3) = sgn(b2).
Aus dieser Argumentation ergibt sich noch einmal, dass die Länge von v × w die Fläche des von v und w aufgespannten Parallelogramms ist. Denn diese Fläche bleibt bei Rotationen unverändert, und die Fläche des von a und b aufgespannten Parallelogramms ist
|a1b2| = ∥ c ∥ = ∥ f (u) ∥ = ∥ v × w ∥.