Richtungsableitung und partielle Differenzierbarkeit

 Sei w  ∈  n ein normierter Vektor. Wir fassen w als Richtungsvektor auf und fragen, für einen gegebenen Punkt p  ∈  P, nach der Steigung von f : P   an der Stelle p in Richtung w. Ist n = 2 und f visualisiert als 3-D-Plot, so ist dies die Steigung der durch f erzeugten Höhenlandschaft, die wir sehen, wenn wir von f (p) aus in Richtung w blicken. Allgemein definieren wir:

Definition (Richtungsableitung)

Sei f : P  . Weiter sei w  ∈  n mit ∥ w ∥ = 1. Für jedes p  ∈  P heißt, im Fall der Existenz, die reelle Zahl

wf (p)  =  lim 0 f (p + hw) − f (p)h

die Ableitung von f an der Stelle p in Richtung w. Existiert ∂wf (p), so heißt f an der Stelle p in Richtung w differenzierbar.

 Der Leser vergleiche die h-Formulierung des Differentialquotienten für reelle Funktionen. Aufgrund der Normierheit von w ist ∥ (p + hw) − p ∥ = h.

 Besonders ausgezeichnete Richtungen werden durch die Koordinatenachsen definiert. Für ein gegebenes n ≥ 1 seien wieder

e1  =  (1, 0, …, 0),  …,  en  =  (0, …, 0, 1).

die kanonischen Basisvektoren des n. Die Richtungsableitungen bzgl. dieser Vektoren haben einen eigenen Namen und eigene Bezeichnungen:

Definition (Ableitung in Achsenrichtung, partielle Differenzierbarkeit)

Sei f : P  . Für jedes p  ∈  P und j = 1, …, n heißt, im Fall der Existenz,

jf (p)  =  ∂ejf (p)  =  lim 0 f (p + hej) − f (p)h

die j-te partielle Ableitung von f an der Stelle p. Existieren alle Ableitungen ∂1f (p), …, ∂nf (p), so heißt f partiell differenzierbar an der Stelle p.

Ist f an allen Stellen p  ∈  P partiell differenzierbar, so heißt f partiell differenzierbar. Sind zudem alle Ableitungsfunktionen ∂jf : P   stetig, so heißt f stetig partiell differenzierbar oder kurz stetig differenzierbar.

 Oft ist es nützlich, eine partielle Ableitung nicht durch eine Koordinate, sondern durch eine Variable anzugeben:

Notation

Ist f (x) = f(x1, …, xn) so schreiben wir auch

xj f (x),  ∂f (x)∂xj  oder  ∂xj f (x)  anstelle von  ∂j f (x).

 Ist f (x) = f(x1, …, xn) durch einen Term definiert, so können wir f partiell nach einer Variable xj ableiten, indem wir alle anderen Variablen wie Konstanten behandeln und die üblichen eindimensionalen Ableitungsregeln auf die betrachtete Variable anwenden.

Beispiele

(1)

Sei f : 2   mit

f(x, y)  =  y e2x  für alle (x, y)  ∈  2.

Dann gilt für alle (x, y)  ∈  2:

1f(x, y)  =  ∂xf(x, y)  =  ∂x (y e2x)  =  2 y e2x,

2f(x, y)  =  ∂yf(x, y)  =  ∂y (y e2x)  =  e2x.

(2)

Sei P = { (x, y, z)  ∈  3 | z > 0 }, und sei f : P   mit

f(x, y, z)  =  x  +  2x y  +  xz   für alle (x, y, z)  ∈  P.

Dann gilt für alle (x, y, z)  ∈  3 mit z > 0:

xf(x, y, z)  =  1 + 2y + 1z,  ∂yf(x, y, z)  =  2x,  ∂zf(x, y, z)  =  −xz2.

(3)

Sei n ≥ 1 und f : n   definiert durch

f (x)  =  ∥ x ∥2  =  x12  +  …  +  xn2  für alle x = (x1, …, xn)  ∈  n.

Dann gilt für alle 1 ≤ j ≤ n und alle x  ∈  n

jf (x)  =  ∂xj f (x)  =  ∂xj(x12  +  …  +  xn2)  =  2xj.

 Wie im eindimensionalen Fall können wir auch die mehrfache Differenzierbarkeit von f : P   betrachten. Es gilt der wichtige Vertauschungssatz:

Satz (Satz von Schwarz)

Sei f : P   zweimal stetig differenzierbar. Dann gilt ∂ij f = ∂ji f für alle i, j  ∈  { 1, …, n }.

 Der Leser überzeuge sich anhand der obigen Beispiele, dass die zweifachen partiellen Ableitungen nach x, y bzw. z immer die gleiche Funktion ergeben, egal, in welcher Reihenfolge sie durchgeführt werden. Für Beispiel 1 ist etwa

x ∂yf(x, y)  =  2e2x  =  ∂y ∂xf(x, y)  für alle (x, y)  ∈  2.