Integration in Polarkoordinaten

 Polarkoordinaten stellen eine weitere Möglichkeit dar, die Berechnung von mehrdimensionalen Integralen zu vereinfachen. Anstelle einen zweidimensionalen Definitionsbereich waagrecht oder senkrecht abzutasten, können wir ihn auch Kreis für Kreis oder Radius für Radius durchlaufen. Dies entspricht der Verwendung von Polarkoordinaten (r, φ) anstelle der kartesischen Koordinaten (x, y).

 Im Folgenden nehmen wir zur Vereinfachung an, dass der Definitionsbereich der zu integrierenden Funktion ein Vollkreis KR mit Mittelpunkt 0 und Radius R ist. Durch Nullfortsetzung der Funktion können wir einen solchen Definitionsbereich in ein Rechteck verwandeln, sodass der Begriff der Integrierbarkeit erklärt ist. In Analogie zur schnittweisen Integrierbarkeit setzen wir zudem die polare Integrierbarkeit voraus, d. h., die Existenz der Integrale aller Kreis- und Radialschnitte der Funktion. Diese technische Voraussetzung ist in allen einfachen Beispielen erfüllt.

 Es gilt nun der folgende Integrationssatz:

Satz (Integration in ebenen Polarkoordinaten)

Sei f : KR   eine polarintegrierbare Funktion. Dann gilt:

I(f)=  R00 f (r cos φ, r sin φ) r dφ dr
=  0 R0 f (r cos φ, r sin φ) r dr dφ.

 Anstelle ein Doppelintegral mit kartesischen Koordinaten x und y zu berechnen, können wir also mit gleichem Ergebnis ein Doppelintegral mit Polarkoordinaten r und φ bestimmen, wobei wir dem polar berechneten Integral den Korrekturfaktor r hinzufügen müssen. Er entspricht der Tatsache, dass der Umfang eines Kreises mit Radius r das r-Fache des Umfangs des Einheitskreises ist. Integrieren wir bei festem r über alle Winkel φ, so hat dieser Beitrag zum Integral das r-fache Gewicht.

Beispiel 1:  Kreisfläche

Sei R > 0, und sei f : KR   konstant gleich 1 auf KR. Dann ist das Integral I(f) die Fläche eines Kreises mit Radius R. Eine polare Berechnung des Integrals ergibt

I(f)  =  R0 0 1 r dφ dr  =  R0 2π r dr  =  πr2r=0r=R  =  R2π.

Beispiel 2:  Die Gaußsche Glockenkurve

Die Gaußsche Glockenkurve g :    ist definiert durch

g(x)  =  e−x2/2  für alle x  ∈  .

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Die Gaußsche Glockenkurve

Die Glockenkurve spielt in der Wahrscheinlichkeitstheorie eine fundamentale Rolle bei der Untersuchung normalverteilter Zufallsvariablen. Das uneigentliche Integral

γ  =  −∞ e−x2/2 dx

ist nicht leicht zu berechnen, da die Gaußsche Glockenkurve keine elementare Stammfunktion besitzt. Mit Hilfe einer auf unbestimmte Integrale erweiterten Integration in Polarkoordinaten gelingt die Berechnung des Quadrats von γ vergleichsweise leicht:

γ2 =  ( −∞e−x2/2 dx ) ( −∞e−y2/2 dy )  =  −∞ (−∞ e−x2/2 dx) e−y2/2 dy
=  −∞ −∞ e−x2/2 e−y2/2 dx dy  =  −∞−∞e−(x2 + y2)/2 dx dy
=  0 0 e−r2/2 r dφ dr  =  2π  lim ∞ R0 e−r2/2 r dr
=  2π  lim ∞ er2/2r=0r=R  =  2π · 1  =  2π.

Damit ist also γ = 2π.

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Die Schnitte der Funktion f : 2   mit

f(x, y)  =  exp(−(x2 + y2)/2)  =  g(x) g(y)

sind skalierte Glockenkurven.

Räumliche Polarkoordinaten

 Eine dreidimensionale Variante der ebenen Polarkoordinaten verwendet zur Beschreibung eines Punktes (x, y, z)  ∈  3 die Koordinaten r, θ, φ mit der folgenden Bedeutung:

(1)

Die Koordinate r ≥ 0 ist die Euklidische Länge von (x, y, z).

(2)

Die Koordinate θ  ∈  [ 0, π ] ist der Winkel, den (x, y, z) mit der positiven z-Achse einschließt.

(3)

Die Koordinate φ  ∈  [ 0, 2π [ ist der Winkel der Projektion (x, y, 0) von (x, y, z) auf die x‑y‑Ebene wie bei ebenen Polarkoordinaten.

 Den Winkel θ können wir als (mathematischen) Breitengrad und den Winkel φ als Längengrad eines Punktes auf der Oberfläche einer Kugel mit Radius r und Mittelpunkt 0 auffassen. Räumlichen Polarkoordinaten (r, θ, φ) entsprechen die kartesischen Koordinaten

(x, y, z)  =  r (sin θ cos φ, sin θ sin φ, cos θ).

Die Berechnung von r, θ, φ aus x, y, z erfolgt wie bei den ebenen Polarkoordinaten mit Hilfe der Euklidischen Norm und der Arkustangens-Funktion.

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Der Punkt P hat die räumlichen Polarkoordinaten (r, θ, φ)

 Das Integral einer auf einer Kugel KR ⊆ 3 mit Radius R und Mittelpunkt 0 definierten Funktion lässt sich mit räumlichen Polarkoordinaten wie folgt berechnen:

Satz (Integration in räumlichen Polarkoordinaten)

Sei f : KR   eine polarintegrierbare Funktion. Dann gilt

I(f)  =  R0 π0 0f(r sin θ cos φ, r sin θ sin φ, r cos θ) r2 sin θ dφ dθ dr.

Erneut sind auch andere Reihenfolgen der Integrale gleichwertig.

 Bei festem Radius r und festem Winkel θ durchläuft der durch die räumlichen Polarkoordinaten (r, θ, φ) spezifizierte Punkt des Raumes im Winkel φ den durch θ definierten Breitenkreis der Kugel Kr. Variiert nun θ von 0 bis π, so überstreichen diese Breitenkreise die gesamte Oberfläche von Kr. Variieren wir nun den Radius r von 0 bis R, so schöpfen wir die Vollkugel mit Radius R vollständig durch Kugeloberflächen aus. Der erste Korrekturfaktor r2 entspricht der Tatsache, dass die Oberfläche einer Kugel quadratisch in ihrem Radius wächst. Analog ist der zweite Korrekturfaktor sin(θ) darauf zurückzuführen, dass in die Umfänge der durch θ definierten Breitenkreise der Sinus des Winkels θ einfließt.

 Die Berechnung des Kugelvolumens ist nun besonders einfach:

Beispiel:  Berechnung der Kugelvolumens

Sei K ⊆ 3 die Vollkugel mit Mittelpunkt 0 und Radius R > 0. Dann gilt

V(K) =  R0π00 1 · r2 sin θ dφ dθ dr
=  R0π0 2π r2 sin θ dθ dr
=  2π R0r2 cosθ0π dr  =  R0 4 π r2 dr  =  43 R3 π.