Kettenbrüche

 Eine natürliche Frage ist, ob sich zu einer gegebenen Folge q0, …, qn positiver Zahlen zwei Zahlen a, b konstruieren lassen, die q0, …, qn als Quotientenfolge erzeugen, wenn der Euklidische Algorithmus durchgeführt wird. Wir schreiben hierzu die Rekursion des Algorithmus in der dividierten Form

a0a1  =  q0 + a2a1,  a1a2  =  q1 + a3a2,  …,  anan + 1  =  qn.

Dann gilt

ab  =  a0a1  =  q0 + a2a1  =  q0 + 1a1/a2  =  q0 + 1q1 + a3/a2  =  …

Diese Überlegung motiviert die folgende Definition:

Definition (Kettenbruch)

Der Kettenbruch [ q0, …, qn ]  ∈   wird für n ≥ 0 und q0, …, qn ≥ 1 rekursiv definiert durch

[ q0 ]  =  q0,  [ q0, , …, qn ]  =  q0  +  1[ q1, …, qn ]  für n ≥ 1.

 Die Kettenbruchnotation mit eckigen Klammern hat mit dem gleich bezeichneten kgV der Zahlen q0, …, qn nichts zu tun.

Beispiele

(1)

Kettenbrüche werden „von hinten nach vorne“ berechnet:

[ 3 ]  =  3,

[ 2, 3 ]  =  2 + 1/[ 3 ]  =  2 + 1/3  =  7/3,

[ 1, 2, 3 ]  =  1 + 1/[ 2, 3]  =  1 + 3/7  =  10/7.

(2)

Bereits die formal einfachsten Kettenbrüche, die nur aus Einsen bestehen, besitzen bemerkenswerte Eigenschaften. Wir berechnen:

[ 1 ]  =  1,

[ 1, 1 ]  =  1 + 1/1  =  2  =  2/1,

[ 1, 1, 1 ]  =  1 + 1/2  =  3/2,

[ 1, 1, 1, 1 ]  =  1 + 2/3  =  5/3,

[ 1, 1, 1, 1, 1 ]  =  1 + 3/5  =  8/5.

Ein induktiver Beweis zeigt, dass für alle n ≥ 1 gilt:

[ 1, …, 1 ]  =  fn/fn − 1  (mit n Einsen im Kettenbruch),

wobei f0, f1, f2, … = 1, 1, 2, 3, 5, 8, … die Folge der Fibonacci-Zahlen ist, d. h. f0 = f1 = 1 und fn = fn − 2 + fn − 1 für alle n ≥ 2.

 Wie angestrebt gilt (Beweis als Übung):

Satz (Kettenbrüche und Quotientenfolgen)

Seien a > b > 0 und q0, …, qn ≥ 1 mit qn ≠ 1 und a/b = [ q0, …, qn ]  ∈  . Dann ist q0, … qn die Quotientenfolge des Euklidischen Algorithmus angewendet auf a, b.

 Die Bedingung qn ≠ 1 lässt sich so einsehen: Der letzte Quotient qn im Euklidischen Algorithmus kann nicht gleich 1 sein, da sonst an = an + 1 gelten würde, im Widerspruch zu an + 1 < an. Die Identität [ q0, …, qn, 1 ] = [ q0, …, qn + 1 ] (Zweideutigkeit der Kettenbruchdarstellung) illustriert diesen Sonderfall.

Unendliche Kettenbrüche

 Der Euklidische Algorithmus lässt sich allgemein für beliebige reelle Größen x, y > 0 erklären. Wir stellen einige Ergebnisse dieser Verallgemeinerung vor und verweisen den Leser für eine ausführlichere Darstellung auf die Literatur.

 Sind x > y > 0 gegeben, so können wir wie bisher wiederholt die kleinere von der größeren Zahl abziehen; diese Reduktion lässt sich erneut in Form von Einzelschritten oder in Form einer wiederholten Division mit Rest notieren. Das Verfahren bricht genau dann nach endlich vielen Schritten ab, wenn der Quotient der beiden Größen rational ist, d. h. wenn x/y  ∈  . Andernfalls ergibt sich eine unendliche Quotientenfolge q0, q1, …, qn, …, die zur Definition

[ q0, q1, …, qn, … ]  =  limn  ∞ [ q0, …, qn ](unendlicher Kettenbruch)

Anlass gibt. Gilt x/y = [ q0, q1, q2, … ], so erzeugt der Euklidische Algorithmus für x, y die Quotientenfolge q0, q1, … Speziell gilt dies für x = [ q0, q1, … ] und y = 1.

 Jeder unendliche Kettenbruch ist eine irrationale Zahl und jede irrationale Zahl größer als 1 lässt sich eindeutig als unendlicher Kettenbruch darstellen. Das berühmteste Beispiel ist

[ 1, 1, 1, … ]  =  1+52.(goldener Schnitt)

Zum Beweis setzen wir xn = [ 1, …, 1 ] (n Einsen) für alle n ≥ 1 und

x  =  [ 1, 1, 1, … ].

Nach Definition eines Kettenbruchs gilt xn + 1 = 1 + 1/xn. Damit erhalten wir

x  =  limn xn  =  limn xn + 1  =  limn (1 + 1xn)  =  1  +  1x.

Hieraus folgt x2 = x + 1 und aus der Lösungsformel für quadratische Gleichungen und x > 0 ergibt sich, dass x der goldene Schnitt ist. Aus dem zweiten Beispiel oben erhalten wir, dass die Quotienten fn/fn − 1 der Fibonacci-Zahlen gegen den goldenen Schnitt konvergieren.

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Ein Rechteck, dessen Seitenlängen im Verhältnis des goldenen Schnitts stehen. Der Euklidische Algorithmus liefert die unendliche Quotientenfolge 1, 1, 1, …