Die Homomorphiesätze

 Wir notieren die Gruppenoperationen im Folgenden multiplikativ. Dabei setzen wir die betrachteten Gruppen nicht als Abelsch voraus.

 Sei φ : G  G′ ein Gruppen-Homomorphismus. Da N = Kern(φ) ein Normalteiler von G ist, können wir die Faktorgruppe

G/N  =  { a N | a  ∈  G },   aN bN  =  abN  für alle a, b  ∈  G

bilden. Die Verhältnisse zwischen den drei Gruppen G, G′, G/N werden durch die sog. Homomorphiesätzen der Gruppentheorie beschrieben. Wir definieren hierzu:

Definition (natürliche Projektion)

Sei G eine Gruppe, und sei N ein Normalteiler von G. Dann heißt die Abbildung π : G  G/N mit

π(a)  =  aN  für alle a  ∈  G

die natürliche Projektion von G auf G/N.

Die Projektion ist ein Epimorphismus von G in die Faktorgruppe G/N: Es gilt

π(ab)  =  abN  =  aN bN  =  π(a) π(b)  für alle a, b  ∈  G,

sodass π ein Gruppen-Homomorphismus ist. Weiter ist π ist surjektiv, da jedes Element von G/N von der Form aN = π(a) ist. Der Kern der Projektion π ist der Normalteiler N. Damit ist insgesamt gezeigt:

Satz (Normalteiler und Kerne)

Genau die Normalteiler sind die Kerne von Gruppen-Homomorphismen.

 Nach diesen Vorbereitungen können wir uns den Homomorphiesätzen zuwenden. Diese grundlegenden Sätze gehen auf Richard Dedekind und Emmy Noether zurück. Wir beginnen mit dem Spezialfall eines Epimorphismus.

Satz (Homomorphiesatz für Epimorphismen, Isomorphiesatz)

Sei φ : G  G′ ein Gruppen-Epimorphismus, und sei N = Kern(φ). Dann ist die Faktorgruppe G/N isomorph zu G′. Genauer ist die Abbildung ψ : G/N  G′ mit

ψ(aN)  =  φ(a)  für alle aN  ∈  G/N

wohldefiniert und ein Isomorphismus zwischen G/N und G′. Weiter gilt

φ  =  ψ  ∘  π

für die natürliche Projektion π : G  G/N.

Beweis

ψ ist wohldefiniert und injektiv:

Seien a, b  ∈  G. Dann gilt:

aN  =  bN genau dann, wenn  φ−1[ { φ(a) } ]  =  φ−1[ { φ(b) } ]
genau dann, wenn  φ(a)  =  φ(b)
genau dann, wenn  ψ(aN)  =  ψ(bN).

Die Implikation von links nach rechts zeigt, dass ψ wohldefiniert ist, und die Implikation von rechts nach links zeigt, dass ψ injektiv ist.

ψ ist surjektiv:

Sei b  ∈  G′. Da φ ein Epimorphismus ist, gibt es ein a  ∈  G mit φ(a) = b. Dann gilt aber ψ(aN) = φ(a) = b.

ψ ist ein Homomorphismus:

Seien a, b  ∈  G. Dann gilt

ψ(aN bN)  =  ψ(abN)  =  φ(ab)  =  φ(a) φ(b)  =  ψ(aN) ψ(bN).

zum Zusatz:

Sei a  ∈  G. Dann gilt

(ψ ∘ π)(a)  =  ψ(π(a))  =  ψ(aN)  =  φ(a).

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Kommutatives Diagramm zum Homomorphiesatz:

Es gilt φ = ψ ∘ π mit π(a) = aN und ψ(aN) = φ(a)

 Zur Interpretation des Satzes stelle sich der Leser eine Gruppe G und alle Normalteiler dieser Gruppe vor. Andere Gruppen sind zunächst nicht beteiligt. Für jeden Normalteiler N von G bilden wir die Faktorgruppe G/N. Alle diese Gruppen sammeln wir nun in einer Menge 𝒢 auf. Der Homomorphiesatz besagt, dass 𝒢 bis auf Isomorphie jede Gruppe enthält, die wir mit Hilfe eines Epimorphismus von G aus erreichen können: Jedes Abbild von G unter einem Homomorphismus besitzt ein isomorphes Spiegelbild in 𝒢.

 Um eine anschauliche Vorstellung zu unterstützen, können wir uns φ(a) als „Farbe von a“ vorstellen. Die „Farben“ sind sehr abstrakt, da sie Elemente einer beliebigen Gruppe G′ sind (unseres Farbkastens). Für alle a  ∈  G ist aN die Menge aller Elemente von G mit derselben Farbe φ(a). Speziell ist N die Menge aller Elemente, die „farblos“ (neutrales Element von G′) eingefärbt werden. Die Projektion π ordnet jedem Element a  ∈  G seine Farbklasse aN zu. Die Menge der Farbklassen G/N entspricht genau dem Farbkasten G′: Der Isomorphismus ψ beschreibt die Identifizierung von Farbklassen mit ihren Farben. Diese Anschauung greift natürlich zu kurz, da sie eigentlich nur über Funktionen spricht und nicht über strukturerhaltende Abbildungen.

 Wir betrachten nun Verallgemeinerungen. Ist φ : G  G′ ein beliebiger Gruppen-Homomorphismus (also nicht mehr notwendig surjektiv), so ist

φ : G  Bild(φ)

ein Epimorphismus, sodass wir nach dem Satz immer noch die Zerlegung

(+)  φ  =  ψ ∘ π

erhalten. Die Abbildung ψ können wir hier als Isomorphismus zwischen den Gruppen G/N und Bild(φ) oder als Monomorphismus zwischen den Gruppen G/N und G′ auffassen, wobei wieder N = Kern(φ).

 Eine weitere Verallgemeinerung erhalten wir, wenn wir statt N = Kern(φ) einen beliebigen Normalteiler N ⊆ Kern(φ) für die Faktorisierung zulassen. Die induzierte Äquivalenzrelation ∼N ist in der Regel feiner als ∼Kern(φ), sodass die Faktorgruppe G/N mehr Elemente als G/Kern(φ) besitzt. Im Extremfall des trivialen Normalteilers N = { e } ist die Faktorgruppe isomorph zu G. Der allgemeine Homomorphiesatz besagt, dass in dieser Situation immer noch eine Zerlegung des Homomorphismus φ der Form φ = ψ ∘ φ möglich ist:

Satz (allgemeiner Homomorphiesatz)

Sei φ : G  G′ ein Gruppen-Homomorphismus, und sei N ⊆ Kern(φ) ein Normalteiler von G. Weiter sei π : G  G/N die natürliche Projektion. Dann existiert genau ein Gruppen-Homomorphismus ψ : G/N  G′ mit

φ  =  ψ ∘ π.

Beweis

Wir definieren wieder ψ : G/N  G′ durch

ψ(aN)  =  φ(a)   für alle a  ∈  G.

Wie im Isomorphiesatz können wir zeigen, dass ψ ein wohldefinierter Homomorphismus zwischen G/N und G′ ist und dass φ = ψ ∘ π gilt. Zum Beweis der Eindeutigkeit nehmen wir an, es gilt φ = χ ∘ π für einen Homomorphismus χ : G/N  G′. Dann gilt

χ(aN)  =  χ(π(a))  =  φ(a)  =  ψ(aN)  für alle a  ∈  G.

Folglich ist χ = ψ.

Beispiele

(1)

Sei m ≥ 1, und sei φ : (, +, 0)  (m, +, [ 0 ]) definiert durch

φ(a)  =  [ a ]  für alle a  ∈  .

Dann ist φ ein Gruppen-Epimorphismus mit Kern(φ) = m. Damit ist /m ≅ m. Wir haben oben schon gesehen, dass hier sogar Gleichheit statt Isomorphie gilt.

(2)

Seien m, d, k ≥ 1 mit m = d k. Wir definieren φ : m  k durch

φ([ a ]m)  =  [ a ]k  für alle 0 ≤ a < m.

Dann ist φ ein Epimorphismus mit

Kern(φ)  =  〈 [ k ]m 〉  =  { [ 0 ]m, [ k ]m, [ 2k ]m, …, [ (d − 1)k ]m }.

Es gilt |Kern(φ)| = d und m/〈 [ k ]m 〉 ≅ k.

(3)

Seien m1, m2 teilerfremd, m = m1 m2 und φ :   m1 × m2 definiert durch φ(a) = ([ a ]m1, [ a ]m2). Wegen (m1, m2) = 1 ist φ ein Epimorphismus mit Kern(φ) = m. Also ist m = /m ≅ m1 × m2 nach dem Isomorphiesatz.

(4)

Sei K1 ⊆ 2 der Einheitskreis. Sei φ : (, +, 0)  (K1, ·, 1) mit

φ(x)  =  exp(i2πx)  für alle x  ∈  .

Dann ist φ ein Epimorphismus mit Kern(φ) = , sodass / ≅ K1.

(5)

Sei φ : (*, ·, 1)  (+, ·, 1) mit φ(x) = |x|. Dann ist φ ein Epimorphismus mit Kern(φ) = { 1, −1 }. Folglich ist */{ 1, −1} ≅ +. Die Faktorgruppe besteht aus Paaren { x, −x } und der Isomorphismus ψ mit φ = ψ ∘ π bildet jedes solche Paar auf |x| = |−x| ab.

(6)

Wir definieren φ : (*, · , 1)  (*, ·, 1) durch φ(z) = |z| für alle z  ∈  *. Dann ist φ ein Epimorphismus mit Kern(φ) = K1, sodass */K1 ≅ *. Die Faktorgruppe */K1 besteht aus Kreisen der Ebene und der Isomorphismus ψ mit φ = ψ ∘ π ordnet jedem Kreis seinen Radius zu.

(7)

Sei m ≥ 1, und sei GLn() die Gruppe der reellen invertierbaren (n × n)-Matrizen. Wir definieren φ : GLn( * durch

φ(A)  =  det(A)   für alle A  ∈  GLn().

Nach dem Determinanten-Multiplikationssatz ist φ ein Homomorphismus. Weiter ist φ surjektiv und es gilt

Kern(φ)  =  SLn()  =  { A  ∈  GLn() | det(A) = 1 }.

Damit ist GLn()/SLn() ≅ *. Die Faktorgruppe besteht aus Matrizenmengen mit übereinstimmender Determinante. Die Diagonalmatrizen D mit D(1, 1) = x ≠ 0 und D(i, i) = 1 für i > 1 bilden ein vollständiges Repräsentantensystem.