Die Zermelo-Fraenkel-Axiomatik

 Die Mathematik hat auf die Paradoxie der Menge aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten − und auf weitere Paradoxien der naiven Mengenlehre −, mit einer letztendlich pragmatischen Antwort reagiert. Ernst Zermelo, ein Mitentdecker der Paradoxien, entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein leistungsfähiges und vergleichsweise einfaches Axiomensystem, das nach seiner Vervollständigung und logischen Perfektionierung weite Verbreitung fand und bis heute Maßstäbe setzt. Es verfolgt, neben der Beseitigung der Paradoxien, noch ein zweites Ziel, nämlich die weitgehende Wahrung der Freiheit der Mengenbildung. Die Leitidee der Axiomatik ist:

Manche Zusammenfassungen sind zu groß, um Mengen sein zu können.

Die Komprehension wird in der Axiomatik von Zermelo eingeschränkt, aber nicht verworfen. Da es (bis heute) nicht klar ist, wann eine Eigenschaft  bei der Komprehension { a | (a) } zu Widersprüchen führt, wird eine Liste von Eigenschaften zusammengestellt, die in der mathematischen Praxis gebraucht werden und aufgrund ihres „mathematischen Gehalts“ mutmaßlich oder hoffentlich widerspruchsfrei sind. Für diese Liste von Eigenschaften wird die Existenz der Komprehension axiomatisch postuliert. Zermelos erste Axiomatik von 1908 wurde von Abraham Fraenkel, Thoralf Skolem, John von Neumann und anderen durch weitere Axiome ergänzt und logisch (insbesondere im Hinblick auf den Eigenschaftsbegriff) präzisiert. Das Ergebnis ist ein System, das nicht nur unter Grundlagenforschern breite Akzeptanz gefunden hat. In über 100 Jahren Untersuchung wurde kein Widerspruch gefunden. Zudem konnte ein intuitives Bild des durch die Axiome implizit beschriebenen Mengenuniversums, das nun selbst keine Menge mehr ist, gezeichnet werden, wodurch das Vertrauen in die Widerspruchsfreiheit des Systems weiter gestärkt wurde.

 Das historisch gewachsene Axiomensystem wird heute üblicherweise kurz mit ZFC bezeichnet, für Zermelo-Fraenkel-Axiomatik mit Auswahlaxiom „C“ (für engl. Axiom of Choice). Einige Merkmale von ZFC sind:

(1)

Jedes Objekt der Theorie ist eine Menge. Zahlen, Relationen, Funktionen, geometrische Objekte und alles andere werden mit Hilfe der Axiome als Mengen definiert. Alle vertrauten Eigenschaften der Objekte sind nun beweisbar, etwa die Induktion für die natürlichen Zahlen.

(2)

Die Axiome können informal präsentiert werden. Zudem ist eine exakte syntaktische Formulierung innerhalb der Prädikatenlogik erster Stufe möglich, wodurch größtmögliche Genauigkeit erreicht wird.

(3)

Das System besitzt zwei Axiomschemata und besteht damit aus unendlich vielen Axiomen.

Damit können wir die Axiome von ZFC nun angeben.

Die Axiome des Systems ZFC

Axiom I:  Extensionalitätsaxiom

Zwei Mengen sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Elemente besitzen.

Axiom II:  Existenz der leeren Menge

Es gibt eine Menge, die kein Element enthält.

Axiom III:  Paarmengenaxiom

Zu je zwei Mengen a, b existiert eine Menge, die genau a und b als Elemente besitzt.

Axiom IV:  Aussonderungsschema

Zu jeder Eigenschaft  und jeder Menge a gibt es eine Menge, die genau die Elemente b von a enthält, auf die  zutrifft.

Axiom V:  Vereinigungsmengenaxiom

Zu jeder Menge a existiert eine Menge, deren Elemente genau die Elemente der Elemente von a sind.

Axiom VI:  Unendlichkeitsaxiom

Es existiert eine Menge a, die die leere Menge als Element enthält, und die mit jedem ihrer Elemente b auch b ∪ { b } als Element enthält.

Axiom VII:  Potenzmengenaxiom

Zu jeder Menge a existiert die Menge aller Teilmengen von a.

Axiom VIII:  Ersetzungsschema

Sei (a, b) eine Eigenschaft derart, dass für alle a genau ein b existiert mit (a, b). Dann existiert für jede Menge c die Menge, die entsteht, wenn jedes Element a von c durch das eindeutige b mit (a, b) ersetzt wird.

Axiom IX:  Fundierungsaxiom oder Regularitätsaxiom

Jede nichtleere Menge a besitzt ein Element b, das mit a kein Element gemeinsam hat.

Axiom X:  Auswahlaxiom

Ist a eine Menge, deren Elemente nichtleer und paarweise disjunkt sind, so existiert eine Menge b, die mit jedem Element von a genau ein Element gemeinsam hat.