Primzahlen

Definition (Primzahl, zusammengesetzte Zahl)

Ein p ≥ 2 heißt eine Primzahl oder eine unzerlegbare Zahl, wenn es keinen Teiler d von p gibt mit 1 < d < p. Andernfalls heißt p eine zusammengesetzte oder zerlegbare Zahl.

 Dass wir der 1 keinen Status als Primzahl einräumen, liegt unter anderem an der angestrebten Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung jeder Zahl n ≥ 2, die wir unten zeigen werden. So ist zum Beispiel 20 = 22 · 5. Wäre die 1 eine Primzahl, so hätten wir verschiedene Darstellungen, nämlich 20 = 1 · 22 · 5 = 12 · 22 · 5 = ….

 Die Reihe der Primzahlen kann man mit einem Siebverfahren ermitteln: Wir schreiben die natürlichen Zahlen n ≥ 2 der Reihe nach auf:

2,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  …,

und streichen, die 2 stehen lassend, alle Vielfachen der 2. Anschließend betrachten wir die erste Zahl 3, die diesen Prozess überlebt hat und streichen alle Vielfachen der 3, wobei die 3 selbst wieder unangetastet bleibt. So fortfahrend erhalten wir eine Liste der Primzahlen:

2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, …,

2, 3,  , 5,  , 7,  , 9,   , 11,   , 13,   , 15,   , 17,   , 19,   , 21,   , 23,   , 25, …,

2, 3,  , 5,  , 7,  ,  ,   , 11,   , 13,   ,   ,   , 17,   , 19,   ,   ,   , 23,   , 25, …,

2, 3,  , 5,  , 7,  ,  ,   , 11,   , 13,   ,   ,   , 17,   , 19,   ,   ,   , 23,   ,   , …,

usw. (Sieb des Eratosthenes)

 Eine Durchführung dieser Methode per Hand oder mit Hilfe eines Computers ergibt folgende Liste der 168 Primzahlen, die kleiner als 1000 sind:

  2,   3,   5,   7,  11,  13,  17,  19,  23,  29,  31,  37,  41,  43,  47,  53,  59,  61,  67,  71,  73,  79,  83,  89,  97, 101, 103, 107, 109, 113, 127, 131, 137, 139, 149, 151, 157, 163, 167, 173, 179, 181, 191, 193, 197, 199, 211, 223, 227, 229, 233, 239, 241, 251, 257, 263, 269, 271, 277, 281, 283, 293, 307, 311, 313, 317, 331, 337, 347, 349, 353, 359, 367, 373, 379, 383, 389, 397, 401, 409, 419, 421, 431, 433, 439, 443, 449, 457, 461, 463, 467, 479, 487, 491, 499, 503, 509, 521, 523, 541, 547, 557, 563, 569, 571, 577, 587, 593, 599, 601, 607, 613, 617, 619, 631, 641, 643, 647, 653, 659, 661, 673, 677, 683, 691, 701, 709, 719, 727, 733, 739, 743, 751, 757, 761, 769, 773, 787, 797, 809, 811, 821, 823, 827, 829, 839, 853, 857, 859, 863, 877, 881, 883, 887, 907, 911, 919, 929, 937, 941, 947, 953, 967, 971, 977, 983, 991, 997.

Im Intervall von n = 107 = 10000000 bis n + 1000 befinden sich dagegen nur noch 61 Primzahlen, nämlich

n +  19,  n +  79,  n + 103,  n + 121,  n + 139,  n + 141,  n + 169,  n + 189,  n + 223,  n + 229,  n + 247,  n + 253,  n + 261,  n + 271,  n + 303,  n + 339,  n + 349,  n + 357,  n + 363,  n + 379,  n + 439,  n + 451,  n + 453,  n + 457,  n + 481,  n + 511,  n + 537,  n + 583,  n + 591,  n + 609,  n + 643,  n + 651,  n + 657,  n + 667,  n + 687,  n + 691,  n + 721,  n + 723,  n + 733,  n + 741,  n + 747,  n + 759,  n + 763,  n + 769,  n + 789,  n + 799,  n + 813,  n + 819,  n + 831,  n + 849,  n + 867,  n + 871,  n + 873,  n + 877,  n + 891,  n + 931,  n + 943,  n + 961,  n + 967,  n + 987,  n + 993

 Viele Fragen aus der zauberhaften Welt der Primzahlen konnten bereits von den alten Griechen mit bestechenden Argumenten beantwortet werden, andere sind bis heute offen geblieben. Alles scheint greifbar zu sein, und doch haben wir stets den Eindruck, dass uns das rechte Verständnis der Dinge noch abgeht. Diese Liebesheirat von Einfachheit und Tiefsinn fasziniert Menschen mit mathematischen Neigungen seit Jahrtausenden und spricht sowohl den Forschergeist an als auch das Streben nach Schönheit und Harmonie.

 Wir wollen einige Fragen etwas näher betrachten. Zunächst führt der doch recht radikale Ausdünnungsprozess der Siebmethode zu der Frage:

1)  Gibt es beliebig große Primzahlen?

 Die Antwort ist „ja“, und ein entsprechender Beweis findet sich schon bei Euklid. Ebenso ist aber, wie wir zeigen werden, auch die folgende umgekehrte Frage zu bejahen:

2)  Gibt es für jedes k ≥ 1 ein n ≥ 1 derart, dass alle Zahlen n, n + 1, n + 2, …, n + k zusammengesetzt sind?

Die gepaart auftretenden Primzahlen 3 und 5, 5 und 7, 11 und 13, 17 und 19, …, 857 und 859, 881 und 883, …, führen zu der Frage:

3)  Gibt es beliebig große Primzahlzwillinge, d. h. Primzahlen p derart, dass auch p + 2 eine Primzahl ist?

Dieses Problem ist bis zum heutigen Tage offen.

 Eine geistreiche Beobachtung ist die folgende:

4  =  2 + 2,  6  =  3 + 3,  8  =  3 + 5,  10  =  3 + 7  =  5 + 5,  12  =  5 + 7, 

14  =  3 + 11  =  7 + 7,  …

Wir fragen also allgemein:

4)  Ist jede gerade Zahl n > 2 die Summe zweier Primzahlen?

Diese sog. Goldbachsche Vermutung ist ebenfalls noch unbewiesen. Sie wurde mit Hilfe von Computern für sehr viele Zahlen bestätigt.

 Schließlich blicken wir auf den Ausdünnungsprozess als Ganzes und fragen:

5)  Was lässt sich über die Verteilung der Primzahlen sagen? Wie viele Primzahlen kleinergleich n gibt es bei vorgegebenem n ungefähr?

 Die Verteilung der Primzahlen beschreibt ein bemerkenswertes Resultat, das Gauß 1793 anhand des Studiums von Primzahltabellen vermutet hat, das aber erst 1896 von Hadamard und Vallée Poussin bewiesen werden konnte. Sei hierzu π(n) die Anzahl der Primzahlen, die kleinergleich n sind. Dann gilt, mit dem Logarithmus ln zur Basis e:

π(n)  ∼  n/ln(n) (Primzahlsatz)

 Das Symbol ∼ wird hier als „asymptotisch gleich“ gelesen. Die genaue Bedeutung eines Ausdrucks „A(n) ∼ B(n)“ ist, dass der Wert von A(n)/B(n) mit wachsendem n gegen 1 strebt. Nach dem Primzahlsatz würden wir also abschätzen, dass es in etwa π′(n) = n/ln(n) viele Primzahlen kleinergleich n gibt. Eine Tabelle zeigt, wie gut die Abschätzung für die ersten Zehnerpotenzen ist:

n  

π(n)

n/ln(n)

π(n) ln(n)/n

10 

       4

       4,34

0,9210  

102

      25

      21,71

1,1513  

103

     168

     144,76

1,1605  

104

    1229

    1085,74

1,1320  

105

    9592

    8685,89

1,1043  

106

   78498

   72382,41

1,0845  

107

  664579

  620420,69

1,0712  

108

 5761455

 5428681,02

1,0613  

Nach dem Primzahlsatz konvergieren die Werte in der rechten Spalte gegen 1.

 Der Primzahlsatz ist ein Beispiel dafür, dass zur Untersuchung der natürlichen Zahlen weitergehende Zahlbereiche und zugehörige Funktionen eingesetzt werden können, wie hier die reelle Logarithmusfunktion. Erstaunlicherweise sind es sogar die komplexen Zahlen, die besonders gut geeignet sind, Licht auf die natürlichen Zahlen zu werfen.

 Wir wenden uns nun der ersten oben aufgeworfenen Frage der Unendlichkeit der Primzahlen zu. Es ist keineswegs klar, dass nicht nach endlich vielen Schritten alle natürlichen Zahlen, die größer als ein gewisses p sind, durch das Sieb des Eratosthenes fallen. Dann gäbe es eine größte Primzahl. Dass dies nicht der Fall ist, besagt der folgende klassische Satz.

Satz (Satz von Euklid)

Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Beweis

Sei m ≥ 1, und seien p1, …, pm beliebige Primzahlen. Wir setzen:

n  =  p1 · … · pm  +  1.

Für alle 1 ≤ i ≤ m gilt pi|n − 1, also ist pi kein Teiler von n. Sei nun p* prim mit p*|n (etwa p* = „der kleinste Teiler von n größergleich 2“). Dann gilt p* ≠ pi für alle 1 ≤ i ≤ n. Also gibt es keine endliche Liste aller Primzahlen.

 Die Zahl n des Beweises selbst ist nicht notwendig eine Primzahl. Ist die 2 nicht unter den Zahlen pi, so ist das Produkt aller pi ungerade und damit n selbst gerade, also durch 2 teilbar. Ein anderes Beispiel ist

n  =  2 · 5 · 11 + 1  =  111  =  3 · 37.

Interessanter sind hier die Produkte der ersten n Primzahlen:

Definition (Euklidische Zahlen)

Sei n ≥ 1, und seien p1 < p2 < … < pn die ersten n Primzahlen. Wir setzen

en(n)  =  p1 · … · pn + 1,

und nennen en(n) die n-te Euklidische Zahl.

 Hier steht „en“ für Euclidean number. Es gilt also

en(1)  =  2 + 1  =  3,  en(2)  =  2 · 3 + 1  =  7,  en(3)  =  2 · 3 · 5 + 1  =  31,

en(4)  =  2 · 3 · 5 · 7 + 1  =  211,  en(5)  =  2 · 3 · 5 · 7 · 11 + 1  =  2311.

Die ersten 5 Euklidischen Zahlen sind also Primzahlen. Doch die sich an dieser Stelle aufdrängende Vermutung, dass alle Euklidischen Zahlen prim sind, ist falsch. Computerberechnungen haben ergeben, dass en(11) und en(75) Primzahlen sind, während alle Euklidischen Zahlen en(k) mit 6 ≤ k ≤ 74, k ≠ 11, zusammengesetzt sind. Speziell sieht en(6) = 30031 auf den ersten Blick vielleicht wie eine Primzahl aus, es gilt aber 30031 = 59 · 509.

 Es ist zudem ein offenes Problem, ob unendlich viele Euklidische Zahlen prim sind, und der Leser sieht, dass selbst ein Jahrtausende altes und äußerst kurzes Argument Fragen aufwerfen kann, die die Mathematiker mit all ihren ausgereiften Methoden bislang nicht beantworten konnten. Gerade aus der Sicht des Anfängers sieht der Primzahlsatz wie eine uneinnehmbare Burg aus, während die Frage nach den Euklidischen Zahlen einfach wirkt und nach einer einfachen Lösung ruft. Ein geistreiches kurzes Argument würde nicht überraschen. Es scheint aber kein solches Argument zu geben, und wir gelangen zu der Erkenntnis, dass der Schwierigkeitsgrad mathematischer Fragen schwer einzuschätzen und zu messen ist.

 Diese Betrachtungen zeigen auch, dass Vermutungen, die durch eine Reihe von Beispielen belegt werden, keinen Beweis ersetzen können. Es ist „Zufall“, dass die ersten fünf Euklidischen Zahlen prim sind. Ebenso könnte es „Zufall“ sein, dass sich alle bislang untersuchten geraden Zahlen größer als 2 als Summe zweier Primzahlen schreiben ließen. Die zugehörige Goldbachsche Vermutung bleibt offen. Ob wahr oder falsch: In jedem Falle können experimentelle Überlegungen und Berechnungen zu interessanten mathematischen Vermutungen und neuen Einsichten führen und abgesehen von ihrem spielerischen Wert scheint dies gerade ihre Funktion in der Mathematik zu sein.