Häufungspunkte
Nachdem wir definiert haben, wann eine Folge sich einem Punkt annähert, wollen wir nun noch präzisieren, was es bedeutet, dass sich eine Menge von reellen Zahlen um einen Punkt herum verdichtet. Hierzu brauchen wir einige Notationen und Begriffe. Für alle x, y ∈ ℝ definieren wir:
] x, y [ = { z ∈ ℝ | x < z < y }, (offenes Intervall)
[ x, y ] = { z ∈ ℝ | x ≤ z ≤ y }. (abgeschlossenes Intervall)
Analog sind die halb offenen Intervalle [ x, y [ und ] y, x ] definiert, und weiter definieren wir auch noch die unbeschränkten Intervalle ] ∞, y [ = { z ∈ ℝ | z < y }, [ x, ∞ [ = { z ∈ ℝ | x ≤ z }, ] − ∞, ∞ [ = ℝ, usw.
Ebenso einfach wie wichtig sind die folgenden Umgebungen eines Punktes:
Definition (ε-Umgebung)
Für alle x ∈ ℝ und alle ε > 0 heißt die Menge Uε(x) = ] x − ε, x + ε [ die (offene) ε-Umgebung von x.
Damit können wir nun definieren:
Definition (Häufungspunkt)
Sei X ⊆ ℝ. Ein x ∈ ℝ heißt ein Häufungspunkt von X, falls gilt:
Für alle ε > 0 ist (Uε(x) − { x }) ∩ X ≠ ∅.
Ist x ein Häufungspunkt von X, so ist Uε(x) ∩ X unendlich für alle ε > 0 (!).
Ein Häufungspunkt x von X kann der Menge X angehören oder nicht. Eine abzählbare Menge kann überabzählbar viele Häufungspunkte haben. So ist z. B. jede reelle Zahl ein Häufungspunkt von ℚ.
Die Vollständigkeit von ℝ führt nun zu folgendem fundamentalen Existenzsatz über Häufungspunkte:
Satz (Satz von Bolzano-Weierstraß)
Sei X ⊆ ℝ unendlich und beschränkt. Dann existiert ein Häufungspunkt von X.
Beweis
Wir setzen
Y = { x ∈ ℝ | X ∩ ] − ∞, x ] ist endlich }.
Dann gilt inf (X) ∈ Y (da X beschränkt) und sup(X) ∉ Y (da X unendlich). Also ist Y ≠ ∅ und nach oben beschränkt, und damit existiert x* = sup(Y).
Weiter gilt Y = ] − ∞, x* [ oder Y = ] − ∞, x* ] nach Definition von Y.
1. Fall: Es gilt x* ∉ Y.
Dann ist ] − ∞, x* ] ∩ X = (] − ∞, x* − ε ] ∩ X) ∪ (] x* − ε, x* ] ∩ X) unendlich für alle ε > 0. Wegen x* − ε ∈ Y ist dann aber ] x* − ε, x* ] ∩ X unendlich für alle ε > 0. Also ist x* ein Häufungspunkt von X.
2. Fall: Es gilt x* ∈ Y.
Dann ist ] x*, x* + ε ] ∩ X unendlich für alle ε > 0, da sonst x* + ε ∈ Y für ein ε > 0 wäre, im Widerspruch zu x* = sup(Y). Also ist auch in diesem Fall x* ein Häufungspunkt von X.
Aus diesem Satz folgt, dass wir aus einer beschränkten Folge in ℝ eine konvergente Teilfolge „extrahieren“ oder „ausheben“ können. Dabei nennen wir eine Folge 〈 yn | n ∈ ℕ 〉 eine Teilfolge von 〈 xn | n ∈ ℕ 〉, falls eine streng monoton wachsende Funktion g : ℕ → ℕ existiert mit yn = xg(n). Die Folge 〈 yn | n ∈ ℕ 〉 heißt dann die durch g bestimmte Teilfolge von 〈 xn | n ∈ ℕ 〉. So bestimmt zum Beispiel die Funktion g mit g(n) = 2n die Teilfolge 〈 x2n | n ∈ ℕ 〉.
Der Satz von Bolzano-Weierstraß liefert nun:
Korollar (Existenz von konvergenten Teilfolgen)
Jede beschränkte Folge 〈 xn | n ∈ ℕ 〉 reeller Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge.
Beweis
Ist X = { xn | n ∈ ℕ } endlich, so gibt es ein c ∈ ℝ mit xn = c für unendlich viele n ∈ ℕ. Offenbar ist dann die konstante Folge 〈 c | n ∈ ℕ 〉 eine konvergente Teilfolge von 〈 xn | n ∈ ℕ 〉.
Sei also X unendlich. Nach Voraussetzung ist X beschränkt, und nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß existiert also ein Häufungspunkt x* von X.
Wir definieren nun rekursiv
g(0) = „das kleinste k mit |x* − xk| < 1“,
g(n) = „das kleinste k > g(n − 1) mit |x* − xk| < 1/2n“ für alle n ≥ 1.
Ein solches k existiert, da U1/2n(x*) ∩ X unendlich ist für alle n ∈ ℕ.
Nach Konstruktion ist g : ℕ → ℕ streng monoton steigend und es gilt
limn ∈ ℕ xg(n) = x*,
denn ist ε > 0 und 1/2n0 ≤ ε, so ist |x* − xg(n)| < 1/2n ≤ ε für alle n ≥ n0.
Intervallschachtelungen
Folgendes Prinzip ist vielfach nützlich:
Satz (Intervallschachtelung)
Seien In = [ an, bn ], an ≤ bn, beschränkte Intervalle mit In + 1 ⊆ In für alle n ∈ ℕ.
Dann gilt ⋂ In ≠ ∅.
Beweis
Wegen an ≤ b0 und bn ≥ a0 für alle n ∈ ℕ existieren
a = sup({ an | n ∈ ℕ }) und b = inf ({ bn | n ∈ ℕ }).
Dann gilt a ≤ b und ⋂n ∈ ℕ In = [ a, b ] ≠ ∅.
Zur Illustration zeigen wir den Satz von Bolzano-Weierstraß mit Hilfe einer Intervallschachtelung.
Zweiter Beweis des Satzes von Bolzano-Weierstraß
Sei also X eine unendliche Teilmenge des beschränkten Intervalls [ a, b ].
Durch iterierte Intervallhalbierung definieren wir rekursiv Intervalle I0 = [ a, b ] ⊇ I1 ⊇ I2 ⊇ … ⊇ In ⊇ …, sodass gilt:
In ∩ X ist unendlich für alle n.
(Da In ∩ X nach I. V. unendlich ist, muss die linke oder die rechte Hälfte von In unendlich viele Elemente von X enthalten.)
Sei x* das eindeutige Element von ⋂n ∈ ℕ In. Dann ist x* ein Häufungspunkt von X, denn für alle ε > 0 ist In ⊆ Uε(x*) für alle n mit (b − a)/2n < ε.