Reihen
Mit Hilfe des Grenzwertbegriffs können wir die unendliche Summe
x0 + x1 + … + xn + …
von gewissen Folgen x0, x1, …, xn, … reeller Zahlen definieren.
Definition (unendliche Reihe, Partialsumme, Summe)
Sei 〈 xn | n ∈ ℕ 〉 eine Folge in ℝ. Für alle n ∈ ℕ setzen wir
yn = ∑i ≤ n xi.
Dann heißt yn die n-te Partialsumme der Folge 〈 xn | n ∈ ℕ 〉. Weiter heißt 〈 yn | n ∈ ℕ 〉 die durch 〈 xn | n ∈ ℕ 〉 gegebene unendliche Reihe.
Im Falle der Konvergenz von 〈 yn | n ∈ ℕ 〉 setzen wir
∑n ∈ ℕ xn = limn ∈ ℕ yn,
und nennen die reelle Zahl ∑n ∈ ℕ xn die Summe von 〈 xn | n ∈ ℕ 〉.
Es ist üblich, die Notation ∑n ∈ ℕ xn nicht nur für den Limes der Partialsummen yn zu verwenden, sondern zugleich auch für die betrachtete Reihe 〈 yn | n ∈ ℕ 〉 selbst. So kann man dann sagen: „Sei ∑n ∈ ℕ xn eine unendliche Reihe.“, was einfacher und suggestiver ist als „Sei 〈 ∑i ≤ n xi | n ∈ ℕ 〉 eine unendliche Reihe.“. Der Ausdruck „∑n ∈ ℕ xn“ bedeutet also immer die Folge der Partialsummen der Zahlen xn und im Fall der Konvergenz dieser Folge auch ihren Grenzwert.
Die Reihen ∑n ∈ ℕ (− 1)n = 1 − 1 + 1 − 1 + … und ∑n ∈ ℕ 1 = 1 + 1 + 1 + 1 + … sind beide divergent. Die Partialsummen der ersten Reihe pendeln zwischen 1 und 0 hin und her. Dagegen übertreffen die Partialsummen der zweiten Reihe schließlich jede reelle Zahl, und eine Sprechweise der „Konvergenz gegen unendlich“ drängt sich hier auf. Wir führen sie allgemein für Folgen ein:
Definition (uneigentliche Konvergenz oder bestimmte Divergenz von Folgen)
Eine Folge 〈 xn | n ∈ ℕ 〉 in ℝ heißt uneigentlich konvergent oder bestimmt divergent gegen ∞, in Zeichen limn ∈ ℕ xn = ∞, falls gilt:
∀k ∈ ℕ ∃n0 ∈ ℕ ∀n ≥ n0 xn ≥ k.
Analog ist limn ∈ ℕ xn = − ∞ definiert.
Gilt xn ≥ 0 für alle Summanden einer Reihe ∑n ∈ ℕ xn, so wachsen die Partialsummen monoton und die Reihe konvergiert genau dann, wenn die Partialsummen nach oben beschränkt sind. In diesem Fall gilt ∑n ∈ ℕ xn = supn ∈ ℕ ∑i ≤ n xi, andernfalls ist ∑n ∈ ℕ xn = ∞. Ein Beispiel hierzu ist die harmonische Reihe
∑n ∈ ℕ 1/(n + 1) = 1 + 1/2 + 1/3 + … + 1/n + …
Ein zeitloses Argument der Mathematik zeigt, dass diese Reihe bestimmt divergiert, d. h. es gilt ∑n ∈ ℕ 1/(n + 1) = ∞. Wir diskutieren dies in den Übungen.
Die Berechnung des Grenzwerts einer unendliche Reihe ist nur selten in einfacher Art und Weise möglich. Einen solchen Fall bilden die Reihen der Form ∑n ∈ ℕ xn, die so genannten (unendlichen) geometrischen Reihen. Ist |x| ≥ 1, so ist ∑n ∈ ℕ xn divergent. Ist dagegen |x| < 1, so gilt
∑n ∈ ℕ xn = 1/(1 − x). (Konvergenz der geometrischen Reihe für |x| < 1)
In den Übungen findet der Leser einen Hinweis auf den überraschend einfachen Beweis dieser Konvergenzaussage. Es gilt also zum Beispiel:
∑n ∈ ℕ (1/2)n | = 1 + 1/2 + 1/4 + 1/8 + … | = 1/(1 − 1/2) = 2, |
∑n ∈ ℕ (− 1/3)n | = 1 − 1/3 + 1/9 − 1/27 + … | = 1/(1 + 1/3) = 3/4. |
Die erste Reihe kann man sich durch eine Verteilung zweier Kuchen an unendlich viele Kunden durch wiederholte Halbierung anschaulich machen.
Wir geben schließlich noch einige Beispiele für konvergente unendliche Reihen an, die man mit weitergehenden Methoden berechnen kann. Durch die ihnen innewohnende Schönheit und Magie dürfen sie für sich stehen:
∑n ∈ ℕ (− 1)n/(n + 1) | = 1 − 1/2 + 1/3 − 1/4 + … = ln(2), |
∑n ∈ ℕ (− 1)n/(2n + 1) | = 1 − 1/3 + 1/5 − 1/7 + … = π/4, |
∑n ≥ 1 1/n2 | = 1 + 1/4 + 1/9 + 1/16 + … = π2/6. |
Die Berechnung der letzten Reihe gelang bereits Leonhard Euler. Ebenso kann man die Summen ∑n ≥ 1 1/nk für gerade k bestimmen. Dagegen entziehen sich die Summen für ungerade k einer konkreten Berechnung. Man weiß durch ein Ergebnis von Apéry (1979), dass ∑n ≥ 1 1/n3 = 1,202… irrational ist.