Die Russell-Zermelo-Antinomie
Es stellt sich die Frage, ob wir die Komprehension immer durchführen können:
Existiert für jede Eigenschaft ℰ(a) die Menge A = { a | ℰ(a) }?
Die folgende berühmte Überlegung zeigt, dass die Antwort negativ ist:
Die Russell-Zermelo-Antinomie
Wir betrachten die folgende Eigenschaft:
ℰ(A) = „A ist eine Menge, die sich selbst nicht als Element enthält“.
Dann gibt es keine Menge R mit
R = { A | ℰ(A) } = { A | A ist eine Menge mit A ∉ A }.
Denn für jede Menge A gilt A ∈ R genau dann, wenn A ∉ A. Wir nehmen nun an, dass R eine Menge ist. Dann erhalten wir für A = R, dass R ∈ R genau dann gilt, wenn R ∉ R. Dieser Widerspruch zeigt, dass R keine Menge ist. Die Zusammenfassung aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten, ist aus rein logischen Gründen keine Menge.
Durch umgangssprachliche Beispiele können wir die merkwürdige Eigenschaft „A ∉ A“ illustrieren: Die Menge aller Vorstellungen ist selbst eine Vorstellung, sodass sie sich selbst als Element enthält. Das Gleiche gilt für die Allmenge, also die Menge aller Mengen. „Übliche“ Mengen wie die leere Menge, die Paarmenge { 1, 2 } oder die unendliche Menge der natürlichen Zahlen enthalten sich aber nicht selbst als Element. Damit darf die Eigenschaft „A ∉ A“ als Regelfall gelten. Unsere Überlegung zeigt, dass die Zusammenfassung aller regulären Mengen zu einem Ganzen im Sinne von Cantor nicht möglich ist. Sie wäre als Menge sowohl regulär als auch irregulär, was nicht sein kann. Bertrand Russell hat die Antinomie mit Hilfe eines Dorfbarbiers popularisiert: Dieser Barbier behauptet, genau den Bewohnern seines Dorfes die Haare zu schneiden, die sich die Haare nicht selbst schneiden. Ein solcher Barbier gerät bei der Frage, ob er sich selbst die Haare schneidet, in unauflösbare Widersprüche. Das Fazit lautet: Es kann keinen solchen Barbier geben. Er kann nicht leisten, was er verspricht.
Zum Glück tauchen derartige Probleme bei den Mengen, die im mathematischen Alltag gebraucht werden, nicht auf. Wir können die Komprehension
A = { a | ℰ(a) }
in aller Regel ohne Probleme durchführen, d. h. von einer Eigenschaft ℰ(a) ausgehend die Menge A = { a | ℰ(a) } bilden und mit A als Objekt so umgehen wie mit allen anderen Objekten der Mathematik. Speziell gilt dies für die Aussonderung: Die Bildung von Teilmengen der Form { a ∈ A | ℰ(a) } ist immer möglich. In der axiomatischen Mengenlehre wird dies durch ein eigenes Axiom garantiert.