Suprema und Infima

 Unsere Überlegungen zeigen, dass die rationalen Zahlen kein gutes Modell für ein Linearkontinuum bilden: Sie lassen wichtige Größen aus. Die Quadratwurzel aus 2 ist nach dem Satz des Pythagoras die Länge der Diagonalen des Einheitsquadrats, die Zahl π ist die Hälfte des Umfangs eines Einheitskreises. Diese und viele weitere Größen liegen nicht in . Die Funktion f :    mit

f (q)  =  q2 − 2  für alle q  ∈ 

besitzt keine Nullstelle in , obwohl sie stetig ist und sowohl negative als auch positive Werte annimmt. Wir müssen also unsere Axiome erweitern, um die in  „fehlenden“ Zahlen sicherzustellen. Überraschenderweise ist dies durch ein einziges Axiom möglich. Wir definieren hierzu:

Definition (obere und untere Schranke)

Sei K ein angeordneter Körper, und seien X ⊆ K, s  ∈  K.

(1)

s heißt obere Schranke von X, in Zeichen X ≤ s, falls x ≤ s für alle x  ∈  X.

(2)

X heißt nach oben beschränkt, falls eine obere Schranke von X existiert.

(3)

s heißt Supremum von X, in Zeichen s = sup(X), falls s eine obere Schranke von X ist und für jede obere Schranke s′ von X gilt, dass s ≤ s′.

Analog sind die Begriffe untere Schranke, nach unten beschränkt und Infimum (größte untere Schranke) definiert.

 Wir betrachten einige Beispiele in . Dabei verwenden wir die Intervalle

[ a, b ]  =  { c | a ≤ c ≤ b },  [ a, b [  =  { c | a ≤ c < b },

] a, b ]  =  { c | a < c ≤ b },  ] a, b [  =  { c | a < c < b },

die sich für jede Ordnung definieren lassen.

Beispiele in den rationalen Zahlen

(1)

Die Zahl 2 ist eine obere Schranke des Intervalls [ 0, 1 ]. Die Menge  ist nach oben unbeschränkt und nach unten beschränkt (etwa durch 0).

(2)

Für X = [ 0, 1 ], [ 0, 1 [ , ] 0, 1 ], ] 0, 1 [ gilt jeweils inf (X) = 0, sup(X) = 1. Ein Supremum oder Infimum kann der Menge angehören oder nicht.

(3)

Für X = [ 0, 1 ] ∪ { 2 } gilt inf (X) = 0, sup(X) = 2.

(4)

Für X = { 1/n | n  ∈  * } gilt inf (X) = 0, sup(X) = 1.

(5)

Für X = { q ≥ 0 | q2 ≤ 2 } ⊆  gilt inf (X) = 0 und X ≤ 2. X besitzt aufgrund der Irrationalität der Wurzel aus 2 kein Supremum in .

Anschauliche Bildung eines Supremums und Infimums

Wir betrachten eine beschränkte nichtleere Menge X in einem angeordneten Körper K. Weitere seien s eine obere und t eine untere Schranke von X.

hm1-AbbIDsupremum_infimum_1
Irrationalität der Wurzel aus 2

Die Irrationalität der Quadratwurzel aus 2 führt zu einer Lücke in  (dem Fehlen eines Supremums):

hm1-AbbIDsupremum_sqrt2_1

Die Menge X = { q  ∈   | q2 < 2 } hat kein Supremum und kein Infimum in . Die Funktion f :    mit f (q) = q2 − 2 hat keine Nullstellen.