Grenzwerte von Folgen
Der anschauliche Grenzwertbegriff
(1/2n)n ∈ ℕ strebt gegen 0, (2n)n ∈ ℕ strebt gegen ∞, ((−1)n)n ∈ ℕ strebt gegen nichts. Statt „strebt gegen“ sagen wir auch „konvergiert“ und den Wert des Strebens nennen wir auch den Limes oder Grenzwert der Folge. Gibt es keinen Grenzwert, so sagen wir, die Folge sei „divergent“.
Diese Anschauung wollen wir nun präzisieren. Ohne eine solche Präzisierung lassen sich keine Beweise führen. Eine rein anschauliche Beschreibung lässt Fragen offen und kann zu falschen Vorstellungen führen (etwa zeitlichen Interpretationen wie „unendlich lange“ oder Formulierungen wie „der Grenzwert wird nie erreicht“). Der Leser vergleiche hierzu auch die Übungen.
Unsere anschauliche Formulierung lässt sich nicht direkt in die Sprache der Mathematik übersetzen. Besser ist:
„Eine reelle Folge (xn)n ∈ ℕ konvergiert gegen eine reelle Zahl x, wenn sie von jedem noch so kleinen Intervall der Form ] x − ε, x + ε [ eingefangen wird.“
Noch genauer (ohne „einfangen“):
„Eine reelle Folge (xn)n ∈ ℕ konvergiert gegen eine reelle Zahl x, wenn für jedes noch so kleine Intervall der Form ] x − ε, x + ε [ gilt: Alle bis auf höchstens endlich viele Folgenglieder liegen in diesem Intervall.“
Nach diesen Vorbereitungen können wir eine präzise Definition angeben:
Definition (konvergent, Grenzwert, divergent)
Sei (xn)n ∈ ℕ eine Folge in ℝ. Dann heißt die Folge konvergent, falls es ein x ∈ ℝ gibt mit
(+) ∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 xn ∈ ] x − ε, x + ε [.(Konvergenzbedingung für x)
In diesem Fall heißt x Grenzwert oder Limes der Folge. Gibt es kein solches x, so heißt die Folge divergent.
Eine Folge kann nicht gegen zwei verschiedene x und x′ konvergieren. Denn ist ε = |x − x′|/2, so müssten fast alle Folgenglieder sowohl in ] x − ε, x + ε [ als auch in ] x′ − ε, x′ + ε [ liegen. Dies kann nicht sein, da die beiden Intervalle disjunkt sind (ihr Durchschnitt ist leer). Damit ist ein Grenzwert im Fall der Existenz eindeutig bestimmt.
Limesnotation
Ist (xn)n ∈ ℕ konvergent gegen x, so schreiben wir
x = limn ∈ ℕ xn, x = limn → ∞ xn oder kurz x = limn xn.
Visualisierung des Grenzwerts x einer reellen Folge (xn)n ∈ ℕ:
Für jedes ε > 0 liegen alle Folgenglieder ab einer Stelle n0 im ε-Streifen um x.
Die Stelle n0 hängt von ε ab: Je kleiner ε ist, desto größer muss in der Regel n0 gewählt werden.
Visualisierung der Divergenz einer Folge (xn)n ∈ ℕ:
Für jedes x ∈ ℝ gibt es ein ε > 0, sodass die Folge immer wieder aus dem ε-Streifen um x ausbricht: Für alle n0 gibt es ein n ≥ n0 mit xn ∉ ] x − ε, x + ε [.
Analog lässt sich die Visualisierung einer Folge durch Punkte auf einer Zahlengeraden verwenden, um die Konvergenz oder Divergenz zu illustrieren. An die Stelle der ε-Streifen treten ε-Intervalle.