Kurven
Mit Hilfe der Komponenten einer Funktion f : P → ℝm können wir in sehr einfacher Weise den Stetigkeitsbegriff einführen:
Definition (Stetigkeit für vektorwertige Funktionen)
Seien f : P → ℝm und p ∈ P. Dann heißt f stetig an der Stelle p, wenn alle Komponenten f1, …, fn : P → ℝ stetig an der Stelle p sind. Ist die Funktion f stetig für alle p ∈ P, so heißt f stetig.
Beispiele
Die Funktionen aus den Beispielen (1) und (2) oben sind stetig. Die Funktion aus Beispiel (3) ist genau dann stetig, wenn die zugrunde gelegte reelle Funktion g : P → ℝ stetig ist.
Definition (Kurve, Parameter, Bahn, Spur)
Eine Kurve im ℝm ist eine stetige Funktion der Form f : [ a, b ] → ℝm mit einem reellen Intervall [ a, b ]. Jedes t ∈ [ a, b ] heißt ein Parameter von f. Wir setzen
spur(f) = f [ [a, b ] ] = { f (t) | t ∈ [ a, b ] },
und nennen spur(f) die Bahn oder Spur von f. Der Punkt f (a) heißt der Startpunkt und der Punkt f (b) der Endpunkt von f. Gilt f (a) = f (b), so heißt die Kurve geschlossen. Andernfalls heißt sie offen.
Eine Kurve ist also eine stetige Funktion f : P → ℝm, deren Definitionsbereich P ein abgeschlossenes und beschränktes reelles Intervall [ a, b ] ist. Für Kurven verwenden wir bevorzugt die traditionelle zeitliche Variable t anstelle von x.
Dynamische Interpretation einer Kurve
Eine Kurve f : [ a, b ] → ℝm fassen wir als die Bewegung eines Punktes (eines Teilchens, des Schwerpunkt eines Körpers) auf, der sich in der Zeit t ∈ [ a, b ] im Raum ℝm bewegt. Für jeden Parameter t ∈ [ a, b ] ist f (t) der Ort des Punktes zur Zeit t. Die Menge spur(f) ist die Bewegungslinie (Flugbahn) des Punktes.
Beispiele
(1) | Die geschlossene Kurve f : [ 0, 2π ] → ℝ2 mit f (t) = (cos t, sin t) beschreibt die Bewegung eines Punktes, der den Einheitskreis K1 gleichmäßig gegen den Uhrzeigersinn durchläuft. Start- und Endpunkt ist (1, 0). |
(2) | Die geschlossene Kurve g : [ 0, 4π ] → ℝ2 mit g(t) = (sin t, cos t) beschreibt den zweimaligen Durchlauf des Einheitskreises im Uhrzeigersinn mit Start und Ende in (0, 1). Es gilt g ≠ f, aber spur(g) = spur(f) = K1. |
Dargestellt ist die geschlossene Kurve f : [ 0, 2π ] → ℝ2 mit
f (t) = (cos t, sin t) für alle t ∈ [ 0, 2π],
also der einfache Durchlauf des Einheitskreises gegen den Uhrzeigersinn.
Der Einheitskreis ist die Spur der Kurve. Weiter sind die Funktionswerte f (tk) der Parameter tk = k (b − a)/12 = k π/6 für k = 0, …, 11 eingezeichnet (mit a = 0 und b = 2π). Sie zeigen, wo sich ein Punkt, der sich gemäß f (t) bewegt, zur Zeit tk befindet. Die Farben und Unterteilung der Punkte verwenden wir auch im Folgenden.
Die Komponentenfunktionen f1 (blau) und f2 (gelb) der Kurve f sind der auf das Intervall [ 0, 2π ] beschränkte Kosinus- bzw- Sinus. Sind beide Komponenten positiv, so liegt f (t) im ersten Quadranten. Analoges gilt für die anderen Vorzeichenkombinationen.
Die geschlossene Kurve f : [ 0, 2π ] → ℝ2 mit
f (t) = (cos(2t), sin t) für alle t ∈ [ 0, 2π].
Die Spur ist ein Abschnitt der durch die Gleichung x = 1 − 2y2 beschriebenen Parabel
(da cos(2t) = cos2(t) − sin2(t) = 1 − 2sin2(t) nach der Kosinus-Verdopplungsformel).
Die Kurve beginnt zur Zeit t0 = 0 bei (1, 0), durchläuft den oberen Ast, kehrt zur Zeit t3 = 3 π/6 = π/2 bei f (t3) = (−1, 1) um, durchläuft die gesamte Spur, bis sie zur Zeit t9 = 9 π/6 = 3 π/2 bei f (t9) = (−1, −1) erneut umkehrt und zu (1, 0) zurückläuft.
Die Komponentenfunktionen cos(2t) (blau) und sin(t) von f. An den Umkehrzeiten t3 = π/2 und t9 = 3 π/2 haben beide Funktionen lokale Extrema.
f (t) = (cos(2t + π/20), sin t) für alle t ∈ [ 0, 2π]
Die kleine Phasenverschiebung in der ersten Komponente bewirkt die Auffächerung.
f (t) = (cos(t + π/4), sin t) für alle t ∈ [ 0, 2π]
Für den Kreis führt eine Phasenverschiebung zu einer Ellipse als Spur.
f (t) = (cos(3t), sin t) für alle t ∈ [ 0, 2π]
f (t) = (cos(7t), sin(5t)) für alle t ∈ [ 0, 2π]