Geordnete Paare

 Für sich nützlich und für den Funktionsbegriff unentbehrlich ist der Begriff des geordneten Paares P zweier Objekte a und b, in Zeichen P = (a, b). Man könnte geordnete Paare als Grundbegriff betrachten, aber wir wollen sie hier auf den Mengenbegriff zurückführen, nicht zuletzt als Beispiel für eine mengentheoretische Interpretation eines mathematischen Konstrukts.

 Für Mengen gilt immer { a, b } = { b, a } nach dem Gleichheitskriterium. Bei dem geordneten Paar von a und b soll dagegen die Reihenfolge der Elemente eine Rolle spielen. Entscheidend ist offenbar die Bedingung:

(#) (a, b) = (c, d)gdw  a = c und b = d.

 Dies ist die einzige Eigenschaft, die wir von einem geordneten Paar erwarten, und wir können irgendeine Definition nehmen, die sie erfüllt. Bequem − und allgemein üblich geworden − ist die folgende Definition von Kazimierz Kuratowski (1896 − 1980) aus dem Jahr 1921:

Definition (geordnetes Paar; Kazimierz Kuratowski)

Seien a, b Objekte. Dann ist das geordnete Paar von a und b, in Zeichen (a, b), definiert durch:

(a, b)  =  { { a }, { a, b } }.

mengenlehre1-AbbID7

(a, b)

Übung

Man zeige (#), d. h. für alle Objekte a, b, c, d gilt:

(a, b) = (c, d)gdw  a = c  und b = d.

 Das geordnete Paar (a, b) hat zwei Elemente für a ≠ b, und nur ein Element für a = b, nämlich { a }, denn es gilt (a, a) = { { a }, { a, a } } = { { a } }.

Hausdorff (1914):

„Aus zwei verschiedenen Elementen a, b können wir die Menge oder das Paar { a, b } = { b, a } zusammensetzen; beide Elemente treten darin symmetrisch, gleichberechtigt auf. Wir können sie aber auch zu einer unsymmetrischen, das eine Element vor dem anderen bevorzugenden Verbindung zusammenfassen: wir können das geordnete Paar

p = (a, b)

bilden, das von dem umgekehrt geordneten

p* = (b, a)

unterschieden werden soll. Falls die beiden Elemente gleich sind, können wir sie einerseits zur Menge { a }, andererseits zu dem geordneten Paar (a, a) zusammenfassen, das in diesem Fall mit seiner Umkehrung identisch ist. Zwei geordnete Paare p = (a, b) und p′ = (a′, b′) gelten dann und nur dann als gleich, wenn a = a′ und b = b′ [ist].

 Die Doppelindizes (i, k) an den Elementen einer Determinante, die rechtwinkligen Koordinaten (x, y) von Punkten der Ebene sind geordnete Zahlenpaare. Dieser Begriff ist also in der Mathematik fundamental, und die Psychologie würde hinzufügen, dass geordnete, unsymmetrische, selektive Verknüpfung zweier Dinge sogar ursprünglicher ist als ungeordnete, symmetrische, kollektive. Denken, Sprechen, Lesen und Schreiben sind an zeitliche Reihenfolge gebunden, die sich uns aufzwingt, bevor wir von ihr absehen können. Das Wort ist früher da als die Menge seiner Buchstaben, das geordnete Paar (a, b) früher als das Paar { a, b }.

 Übrigens lässt sich, wenn man will, der Begriff des geordneten Paares auf den Mengenbegriff zurückführen. Sind 1, 2 zwei voneinander wie von a und b verschiedene Elemente, so hat das Paar von Paaren

{ { a, 1 } , { b, 2 } }

genau die formalen Eigenschaften des geordneten Paares (a, b), nämlich die Unvertauschbarkeit von a und b im Falle der Verschiedenheit beider Elemente … “

 Die von Hausdorff unter „übrigens“ erwähnte Paardefinition hat bei aller Natürlichkeit den Nachteil, dass sie zusätzliche Objekte mit ins Spiel bringt. Für das Paar (1, 2) selbst brauchen wir zudem neue Platzindikatoren 1′, 2′. Dieser Indikatorenwechsel in Hausdorffs Definition ist im Prinzip nicht notwendig:

Übung (aus der Juristenabteilung der Mengenlehre)

Seien i, j zwei verschiedene Objekte. Dann gilt (#) für die Paardefinition:

(a, b)  =  { { a, i }, { b, j } }  mit beliebigen Objekten a, b.

 Die Raffinesse der Kuratowski-Definition ist aber, dass in ihr lediglich die beiden Objekte a, b auftauchen, deren Paar gebildet werden soll, und keine Indikatoren. Nicht alle mengentheoretischen Interpretationen mathematischer Konstrukte sind gleich gut.

Kuratowski (1921):

„Nous terminons cette note par une remarque suivante sur la notion de paire ordonnée.

 Soit A un ensemble composé de deux éléments a et b.

 Il n’existe que deux classe, qui établissent un ordre dans A, à savoir:

{ { a, b }, { a } }  et  { { a, b }, { b } }.

 Il semble bien naturel d’admettre la définition suivante:

 Définition V.  La classe { { a, b }, { a } } est une ‚paire ordonée dont a est le premier élément et b est le second‘.

 La notion de paire ordonée est, comme on sait une des plus importantes dans la théorie des ensembles et il est bien utile d’avoir pour elle une définition suffisamment simple. En admettre celle que nous venons de proposer est une conséquence immédiate de l’emploi de la théorie de l’ordre qui a été discutée ici.“

 Kuratowski notiert im Original Mengen mit runden Klammern anstatt mit geschweiften. Da wir wiederum runde Klammern für Paare verwenden, wurde die Notation im Zitat stillschweigend modernisiert.

 Mit Hilfe des geordneten Paares können wir nun eine Multiplikation für Mengen definieren:

Definition (Kreuzprodukt oder kartesisches Produkt)

Seien A, B Mengen. Dann ist das Kreuzprodukt von A und B, in Zeichen A × B [ A kreuz B ], definiert durch:

A × B  =  { (a, b) | a  ∈  A, b  ∈  B }.

mengenlehre1-AbbID8

Für A × A schreiben wir kurz auch A2.

Übung

Seien n, m  ∈  , und seien

A = { 0, 1, …, n − 1 },

B = { 0, 1, …, m − 1 }.

(In dieser Schreibweise ist A = ∅ gdw n = 0 und analog B = ∅ gdw m = 0.)

Wieviele Elemente hat A × B ? Wann ist A × B = ∅ ?

 Allgemeiner kann man n-Tupel (a1, …, an) aus Objekten sowie A1 × … × An aus Mengen definieren für n  ∈  , n > 2. Man setzt hierzu:

(a1, …, an) =  (…((a1, a2), a3), …, an − 1), an),
A1 × … × An =  { (a1, …, an) | ai  ∈  Ai für alle 1 ≤ i ≤ n }.

Weiter sei An = A1 × … × An, wobei alle Ai = A sind. Es ist zumeist gefahrlos, Ak mit An × Am zu identifizieren für alle n, m, k   ∈   − { 0 } mit n + m = k, obwohl die Elemente von 2 × 2 etwa von der Form ((x1, x2), (x3, x4)), die von 4 dagegen von der Form (x1, x2, x3, x4) sind.

 Nach Definition gilt für n-Tupel, n ≥ 3: (a1, …, an) = ((a1, …, an − 1), an). Solche n-Tupel sind also bestimmte geordnete Paare.

Übung

Zeigen Sie, dass eine Definition des Tripels

(a, b, c)  =  { { a }, { a, b }, { a, b, c } }

ein Analogon zu (#) nicht erfüllen würde, d. h. aus (a, b, c) = (d, e, f) folgt hier nicht a = d, b = e, c = f.

 Dagegen gilt ein Analogon zu (#) für die obige Definition des Tripels als zweifach geschachteltes Paar, (a, b, c) = ((a, b), c), und weiter gilt ein Analogon allgemein für n-Tupel, n ≥ 2:

(#n) (a1, …, an) = (b1, …, bn)gdw  ai = bi für alle 1 ≤ i ≤ n.