Relationen
Als Relationen zwischen Objekten a, b haben wir etwa kennengelernt: a = b, a ∈ b, a ⊆ b. Die Relationen selbst sind hier =, ∈ , ⊆. Eine (zweistellige) Relation ist allgemein eine „bestimmte Beziehung“ zwischen zwei Mengen, oder ein „bestimmter Begriff“, der festlegt, wann zwei Objekte in Relation bzgl. dieses Begriffs stehen. Was ist nun genau eine „bestimmte Beziehung“ oder ein „bestimmter Begriff“? Es zeigt sich, dass wir uns hierüber nicht den Kopf zerbrechen müssen; wir würden auch nur Vagheiten aneinanderreihen. Wir definieren einfach: Eine Relation ist eine Menge von geordneten Paaren. In dieser Weise wurden Relationen von Charles Peirce, Ernst Schröder und Giuseppe Peano in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts definiert, wobei dabei der Begriff des geordneten Paares undefiniert blieb.
Diese „Definition mit dem Paukenschlag“ ist das Paradebeispiel für das extensionale Denken der Mengenlehre. Ein Begriff wird mit seinem Umfang identifiziert. Jede Menge von geordneten Paaren R liefert eine Relation, genannt R, die, in wichtigen Fällen wie ⊆, mit einem kontextunabhängigen Namen versehen wird; und zwei Objekte a, b stehen in der Relation R zueinander genau dann, wenn (a, b) ∈ R gilt.
Die Geschichte des Funktionsbegriffs zeigt, wie schwer sich die Mathematik mit diesem Denken lange Zeit getan hat.
Definition (Relation)
Eine Menge R heißt Relation, falls jedes x ∈ R ein geordnetes Paar ist.
Ist A eine Menge und gilt R ⊆ A × A, so heißt R eine Relation auf A.
Sind a, b Objekte und gilt (a, b) ∈ R, so schreiben wir hierfür auch a R b.
Für jede Relation R kann man eine natürliche Menge A finden, sodass R eine Relation auf A ist. Hierzu eine Definition.
Definition (Definitionsbereich und Wertebereich)
Sei R eine Relation. Wir setzen:
dom(R) | = { a | es existiert ein b mit (a, b) ∈ R } , |
rng(R) | = { b | es existiert ein a mit (a, b) ∈ R }. |
dom(R) heißt der Definitionsbereich von R [dom für engl. domain],
rng(R) heißt der Wertebereich von R [rng für engl. range].
Zum Beispiel ist dom(A × B) = A, rng(A × B) = B. Jede Relation R ist offenbar eine Relation auf dom(R) ∪ rng(R).
Die Ordnungsbeziehungen „kleiner“ und „kleinergleich“ auf den Zahlmengen ℕ, ℤ, ℚ und ℝ fassen wir ebenfalls als Relationen auf:
< ℕ = { (n, m) ∈ ℕ × ℕ | n ist kleiner als m } ,
≤ ℚ = { (p, q) ∈ ℚ × ℚ | p ist kleiner als q oder p ist gleich q } , usw.
Eine Relation wie „<ℕ“ als ein Objekt zu betrachten, mit dem man weiter operieren kann − etwa lässt sich ℘(<ℕ) bilden − ist sicher gewöhnungsbedürftig und zunächst irritierend. Wir haben aber dadurch neben größerer Präzision eine Freiheit der Beschreibung und Manipulation gewonnen, die man schnell lieb gewinnt. Zum Beispiel haben wir folgende Gleichung:
≤ ℝ = <ℝ ∪ { (x, x) | x ∈ ℝ }.
Für die Kleiner-Relationen auf den Zahlen gilt
<ℕ ⊆ <ℤ ⊆ <ℚ ⊆ <ℝ,
und wir unterdrücken deswegen häufig den Index an den Relationen. Beispielsweise gilt dann (3, 4) ∈ <, wobei wir hierfür natürlich zumeist 3 < 4 schreiben werden. Analoges gilt für ≤.
Einige häufig gebrauchte Eigenschaften von Relationen sind:
Definition (reflexiv, symmetrisch, transitiv)
Sei R eine Relation auf A.
(i) | R heißt reflexiv, falls für alle x ∈ A gilt x R x. |
(ii) | R heißt symmetrisch, falls für alle x, y ∈ A gilt: x R y folgt y R x. |
(iii) | R heißt transitiv, falls für alle x, y, z ∈ A gilt: x R y und y R z folgt x R z. |
Das Trio „reflexiv, symmetrisch, transitiv“ taucht häufiger auf:
Definition (Äquivalenzrelation)
Sei R eine Relation auf A. R heißt eine Äquivalenzrelation auf A, falls R reflexiv, symmetrisch und transitiv ist.
Für jedes x ∈ A ist dann die Äquivalenzklasse von x bzgl. der Äquivalenzrelation R, in Zeichen x/R [x modulo R], definiert durch:
x/R = { y ∈ A | x R y }.
Weiter ist A/R [A modulo R] definiert durch A/R = { x/R | x ∈ A }.
Ist y ∈ x/R, so heißt y ein Repräsentant der Äquivalenzklasse x/R.
B ⊆ A heißt ein vollständiges Repräsentantensystem für R, falls für jede Äquivalenzklasse x/R genau ein y ∈ B existiert mit y ∈ x/R.
Intuitiv bedeutet x R y für eine Äquivalenzrelation R: x und y sind gleich im Sinne von R. Die bevorzugten Zeichen für Äquivalenzrelationen sind deshalb z. B. ≡ , ∼, ≈, … , die an das Gleichheitssymbol erinnern. Äquivalenzrelationen R auf A sehen die Elemente x von A nur unscharf, wenn nicht x/R = { x } gilt. Die Identität { (x, x) | x ∈ A } auf A ist der Adler unter den Äquivalenzrelationen auf A, R = A × A das blinde Huhn.
Beispiele
Ein Beispiel aus der elementaren Zahlentheorie: Für ein festes m ∈ ℕ, m ≥ 1, sei die Relation ≡ m auf ℕ definiert durch:
≡ m = { (a, b) ∈ ℕ × ℕ | a und b haben den gleichen Rest bei Division mit m }.
Dann ist ≡ m eine Äquivalenzrelation auf ℕ. Für m = 3 gilt z. B. 2 ≡ 3 5, und es gibt genau drei Äquivalenzklassen:
0/≡ 3 = 3/≡ 3 = 6/≡ 3 = … = { 0, 3, 6, 9, … } = { k · 3 | k ∈ ℕ } ,
1/≡ 3 = 4/≡ 3 = 7/≡ 3 = … = { 1, 4, 7, 10, … } = { k · 3 + 1 | k ∈ ℕ } ,
2/≡ 3 = 5/≡ 3 = 8/≡ 3 = … = { 2, 5, 8, 11, … } = { k · 3 + 2 | k ∈ ℕ }.
Die Mengen { 0, 1, 2 } und { 0, 1, 5 } sind Beispiele für vollständige Repräsentantensysteme von ≡ 3.
Ein Beispiel aus der Analysis: Für x, y ∈ ℝ setzen wir
x ∼ y falls |x − y| ∈ ℚ.
Dann ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf ℝ. Die Äquivalenzklassen dieser Relation haben die Form x/∼ = x + ℚ = { x + q | q ∈ ℚ }. In der Analysis sind vollständige Repräsentantensysteme für diese Relation berüchtigt: Sie liefern Beispiele für Teilmengen von ℝ, denen sich keine vernünftige Länge zuordnen lässt (im Fach-Jargon: sie sind nicht Lebesgue-messbar, wie Giuseppe Vitali (1875 − 1932) im Jahre 1905 gezeigt hat, vgl. hierzu auch Abschnitt 2, Kapitel 9).
Übung
Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf A. Zeigen Sie:
(i) | Für alle x, y ∈ A gilt: x ∼ y gdw x/∼ = y/∼. |
(ii) | Für alle x, y ∈ A gilt: x/∼ = y/∼ oder x/∼ ∩ y/∼ = ∅. |
(iii) | Es gilt ⋃ A/∼ = A. |
Die Äquivalenzklassen bilden also eine Zerlegung von A. Umgekehrt entstehen alle Äquivalenzrelationen aus Zerlegungen von A:
Übung
Sei A eine Menge. Weiter sei 𝒫 ⊆ ℘(A) eine Zerlegung von A, d. h. es gelte:
(i) | ∅ ∉ 𝒫, |
(ii) | ⋃ 𝒫 = A, |
(iii) | P ∩ Q = ∅ für alle P, Q ∈ 𝒫 mit P ≠ Q. |
Für a, b ∈ A sei
a ∼ b falls ein P ∈ 𝒫 existiert mit a, b ∈ P.
Dann gilt:
∼ ist eine Äquivalenzrelation auf A, und es gilt A/∼ = 𝒫.
Fassen wir eine Menge A als „Welt“ auf, so ist also eine Äquivalenzrelation auf A nichts anderes als eine Aufteilung der Menge A in bestimmte „Regionen“ oder „Länder“. Und zwei Elemente von A sind äquivalent dann und nur dann, wenn sie in der gleichen Region liegen.
Ist A nichtleer, so hat jede Äquivalenzklasse mindestens ein Element. Andererseits induziert die Zerlegung 𝒫 = { { a } | a ∈ A } eine Äquivalenzrelation ∼, für die jede Äquivalenzklasse einelementig ist: Es gilt a/∼ = { a } für alle a ∈ A.
Zerlegung von A in 8 Teile oder Äquivalenzrelation auf A mit 8 Äquivalenzklassen