Anhang: Eine stetige Surjektion von [ 0, 1 ] nach [ 0, 1 ] × [ 0, 1 ]
Sei I = [ 0, 1 ] = { x ∈ ℝ | 0 ≤ x ≤ 1 } das reelle Einheitsintervall. Wir skizzieren hier für mit der Analysis ein wenig vertraute Leser die Konstruktion einer stetigen surjektiven Funktion f : I → I × I (Details als Übung). Die erste derartige Funktion wurde von Giuseppe Peano 1890 gefunden. Die folgende Konstruktion geht auf David Hilbert (1891) zurück.
Zur Definition von f zerteilen wir zunächst iteriert I und I × I in je vier abgeschlossene Teilintervalle bzw. Teilquadrate, wobei wir die im n-ten Schritt entstandenen 4n Teile einander bijektiv zuordnen. Die folgende Skizze zeigt die ersten drei Zerlegungen und die entsprechenden Zuordnungen:
Sei x ∈ I und n ∈ ℕ. Dann gibt es ein oder zwei Teilintervalle der n-ten Zerlegung von I (in 4n Teile), in denen x liegt. (Zwei solche Intervalle existieren genau dann, wenn x = m/4n für ein 0 < m < 4n gilt). Sei k(x, n) die kleinste Nummer eines x enthaltenden Teilintervalls, d. h.
k(x, n) = min { m ≥ 1 | x ∈ [ (m − 1)/4n, m/4n ] } ,
und sei Q(k(x, n)) das zugeordnete Teilquadrat von I × I (incl. Rand).
Wir setzen für x ∈ I
f (x) = ⋂n ∈ ℕ Q(k(x, n))
Dann gilt:
(i) | f : I → I × I ist surjektiv, |
(ii) | f ist stetig, |
(iii) | f ist nicht injektiv. [z. B. f (1/6) = f (1/2) = (1/2, 1/2) ; geometrische Reihen sind hier nützlich.] |
Georg Cantor über die Gleichung |ℝ2| = |ℝ|, Brief an Dedekind vom 25. 6. 1877
„ … Seit mehreren Jahren habe ich mit Interesse die Bemühungen verfolgt, denen man sich im Anschluß an Gauß, Riemann, Helmholtz und andern zur Klarstellung aller derjenigen Fragen hingegeben hat, welche die ersten Voraussetzungen der Geometrie betreffen. Dabei fiel mir auf, dass alle in dieses Feld schlagenden Untersuchungen ihrerseits von einer unbewiesenen Voraussetzung ausgehen, die mir nicht als selbstverständlich, vielmehr einer Begründung bedürftig erschienen ist. Ich meine die Voraussetzung, dass eine ρ-fach ausgedehnte stetige Mannigfaltigkeit zur Bestimmung ihrer Elemente ρ voneinander unabhängiger reeller Koordinaten bedarf; dass diese Zahl der Koordinaten für eine und dieselbe Mannigfaltigkeit weder vergrößert noch verkleinert werden könne.
Diese Voraussetzung war auch bei mir zu einer Ansichtssache geworden, ich war von ihrer Richtigkeit fast überzeugt; mein Standpunkt unterschied sich nur von allen anderen dadurch, dass ich jene Voraussetzung als einen Satz ansah, der eines Beweises in hohem Grade bedurfte und ich spitzte meinen Standpunkt zu einer Frage zu, die ich einigen Fachgenossen, im Besonderen auch bei Gelegenheit des Gaußjubiläums in Göttingen vorgelegt habe, nämlich zu folgender Frage: ‚Läßt sich ein stetiges Gebilde von ρ Dimensionen, wo ρ > 1, auf ein stetiges Gebilde von einer Dimension eindeutig beziehen, so dass jedem Punkte des einen ein und nur ein Punkt des anderen entspricht?‘
Die meisten, welchen ich diese Frage vorgelegt, wunderten sich sehr darüber, dass ich sie habe stellen können, da es sich ja von selbst verstünde, dass zur Bestimmung eines Punktes in einer Ausgedehntheit von ρ Dimensionen immer ρ unabhängige Koordinaten gebraucht werden. Wer jedoch in den Sinn der Frage eindrang musste bekennen, dass es mindestens eines Beweises bedürfe, warum sie mit dem ‚selbstverständlichen‘ nein zu beantworten sei. Wie gesagt gehörte ich selbst zu denen, welche es für das Wahrscheinlichste hielten, dass jene Frage mit einem Nein zu beantworten sei, − bis ich vor ganz kurzer Zeit durch ziemlich verwickelte Gedankenreihen zu der Überzeugung gelangte, dass jene Frage ohne alle Einschränkung zu bejahen ist. Bald darauf fand ich den Beweis, welchen Sie heute vor sich sehen.
Da sieht man, welch’ wunderbare Kraft in den gewöhnlichen reellen rationalen und irrationalen Zahlen doch liegt, dass man durch sie im Stande ist die Elemente einer ρ-fach ausgedehnten stetigen Mannigfaltigkeit eindeutig mit einer einzigen Koordinate zu bestimmen; ja ich will nur gleich hinzufügen, dass ihre Kraft noch weiter geht, indem, wie Ihnen nicht entgehen wird, mein Beweis sich ohne besondere Vergrößerung der Schwierigkeiten auf Mannigfaltigkeiten mit einer unendlich großen Dimensionszahl ausdehnen lässt, vorausgesetzt, dass ihre unendlich vielen Dimensionen die Form einer einfach unendlichen Reihe bilden.
Nun scheint es mir, dass alle philosophischen oder mathematischen Deduktionen, welche von jener irrtümlichen Voraussetzung Gebrauch machen, unzulässig sind. Vielmehr wird der Unterschied, welcher zwischen Gebilden von verschiedener Dimensionszahl liegt, in ganz anderen Momenten gesucht werden müssen, als in der für charakteristisch gehaltenen Zahl der unabhängigen Koordinaten … “
(Georg Cantor, Briefe (1991))