Häufungspunkte

 Cantor hat zum ersten Mal über die natürlichen Zahlen hinausgezählt, als er Ableitungen von Teilmengen von  studierte. Diese Ableitungen streifen alle verlorenen Schafe von Punktmengen ab. Für die mathematische Definition brauchen wir eine Reihe von einfachen Begriffen.

Definition (reelle Intervalle)

Ein I ⊆  heißt ein (reelles) Intervall, falls für alle a, b  ∈  I gilt:

Ist c  ∈   mit a < c < b, so ist c  ∈  I.

Ein nichtleeres Intervall I heißt:

(i)

nach links (rechts) geschlossen, falls inf (I)  ∈  I (sup(I)  ∈  I),

(ii)

nach links (rechts) offen, falls inf (I) (sup(I)) nicht existiert oder inf (I)  ∉  I (sup(I)  ∉  I),

(iii)

offen (geschlossen), falls I nach links und rechts offen (geschlossen) ist.

Das Intervall I = ∅ betrachten wir als ein Intervall jedes Typs.

Für a, b  ∈   setzen wir:

] a, b [ =  { x  ∈   | a < x < b } ,  [ a, b ] =  { x  ∈   | a ≤ x ≤ b } ,
[ a, b [ =  { x  ∈   | a ≤ x < b } ,  ] a, b ] =  { x  ∈   | a < x ≤ b }.

 Jedes beschränkte Intervall können wir in dieser Form schreiben. Für unbeschränkte Intervalle verwenden wir die Darstellungen ] −∞, a ],  ] −∞, a [,  [ a, +∞ [,  ] a, +∞ [,  ] −∞, +∞ [. Für b ≤ a ist ] a, b [ = ∅, und für alle a  ∈   ist [ a, a ] = { a }.

 Beschränkte offene Intervalle sind darüber hinaus durch ihren Mittelpunkt und ihre Ausdehnung festgelegt. Diese Form wird häufig gebraucht, und es ist nützlich, einen Begriff für sie zur Verfügung zu stellen.

Definition (ε-Umgebung)

Sei ε  ∈  , ε > 0. Für a  ∈   setzen wir:

Uε(a)  =  ] a − ε, a + ε [.

Uε(a) heißt die (offene) ε-Umgebung [epsilon-Umgebung] von a.

Übung

Seien a, b, ε1, ε2  ∈  , ε1,  ε2 > 0. Sei U = Uε1(a) ∩ Uε2(b). Dann ist U leer oder eine ε-Umgebung eines Punktes.

 Damit können wir nun Häufungspunkte von Teilmengen von  definieren:

Definition (Häufungspunkt und isolierter Punkt)

Sei P ⊆ .

(i)

a  ∈   heißt Häufungspunkt von P, falls jede ε-Umgebung von a Punkte aus P − { a } enthält, d. h. falls gilt:

Für alle ε > 0 ist Uε(a) ∩ (P − { a }) ≠ ∅.

(ii)

a  ∈  P heißt isolierter Punkt von P, falls a kein Häufungspunkt von P ist.

 Häufungspunkte von P müssen also nicht Elemente von P sein, während „a ist isolierter Punkt von P“ impliziert, dass a  ∈  P gilt.

 Cantor hat in seiner Arbeit „Über die Ausdehnung eines Satzes aus der Theorie der trigonometrischen Reihen“ von 1872 die folgende Definition gegeben:

Cantor (1872):

„Unter einem Grenzpunkt [Häufungspunkt] einer Punktmenge P verstehe ich einen Punkt der Geraden von solcher Lage, dass in jeder Umgebung desselben unendlich viele Punkte aus P sich befinden, wobei es vorkommen kann, dass er außerdem selbst zur Menge gehört. Unter Umgebung eines Punktes sei aber hier ein jedes Intervall verstanden, welches den Punkt in seinem Inneren hat.“

Übung

Zeigen Sie die Äquivalenz der Cantorschen Definition eines Grenzpunktes von P mit obiger Definition eines Häufungspunktes von P.

 Isolierte Punkte einer Menge können nicht durch andere Elemente der Menge beliebig gut approximiert werden. Wir können einen isolierten Punkt in ein Intervall einschließen, das disjunkt vom Rest der Menge ist.

 Seien P = { 1/n | n  ∈  , n > 0 } , Q = P ∪ { 0 }. Für jedes n  ∈  , n ≠ 0, ist dann 1/n ein isolierter Punkt von P und Q, und 0 ist jeweils der einzige Häufungspunkt der beiden Mengen.

Übung

Sei P ⊆  beschränkt und nichtleer. Zeigen Sie:

Ist sup(P)  ∉  P, so ist sup(P) ein Häufungspunkt von P.

Analog ist inf (P) ein Häufungspunkt von P, falls inf (P)  ∉  P.

 Ein wichtiger Existenzsatz über Häufungspunkte ist der Satz von Bolzano-Weierstraß.

Satz (Satz von Bolzano-Weierstraß)

Sei P eine unendliche beschränkte Teilmenge von . Dann existiert ein Häufungspunkt von P.

Beweis

Wir definieren rekursiv c0 ≤ c1 ≤ c2 ≤ … durch:

c0 =  inf (P),
cn + 1 =  inf (P − [ c0, cn ])  für n  ∈  .

Wegen P unendlich ist cn definiert für alle n  ∈  . Ist cn = cn + 1 für ein n, so ist cn ein Häufungspunkt von P (! ), vgl. Übung oben.

mengenlehre1-AbbID43a

1. Fall

mengenlehre1-AbbID43b

2. Fall

Andernfalls ist c0 < c1 < c2 < … und weiter

C  =  { cn | n  ∈   } ⊆ P (!).

Wegen C ⊆ P und P beschränkt existiert x = sup(C), und x ist ein Häufungspunkt von P.

Einige Beispiele zur im Beweis konstruierten Folge c0, c1, … sind: Ist P = [ 0, 1 ] oder P = ] 0, 1 ], so ist cn = 0 für alle n  ∈  , und 0 ist Häufungspunkt von P. Ist

P  =  { 1 − 1/n | n  ∈  , n ≥ 1 } ,

so ist cn = n/(n + 1) für alle n  ∈  , und der konstruierte Häufungspunkt von P ist 1.

Cantor (1872):

 „ … Darnach ist es leicht zu beweisen, dass eine aus einer unendlichen Anzahl von Punkten bestehende [beschränkte] Punktmenge stets zum Wenigsten einen Grenzpunkt hat.“