Biographie von Felix Hausdorff (1868 − 1942)

8. 11. 1868 Felix Hausdorff wird in Breslau (Schlesien) geboren, als Sohn des jüdischen Kaufmanns Louis Hausdorff und Hedwig Hausdorff, geborene Tietz.

1871 Umzug der Familie nach Leipzig, wo Louis Hausdorff einen Leinen- und Baumwollgroßhandel betreibt. Felix wächst in gesicherten finanziellen Verhältnissen auf. Er will Komponist werden, was ihm sein Vater ausredet.

1887 − 1891 Studium der Mathematik und Astronomie in Leipzig, mit jeweils einsemestrigen Studienaufenthalten in Freiburg und Berlin.

1891 Promotion in Leipzig mit der Arbeit „Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung“, betreut von Heinrich Bruns, dem Leiter der Leipziger Sternwarte.

1891 − 1896 Hausdorff arbeitet an astronomischen und optischen Problemen. Von 1893 bis 1895 führt er Berechnungen für die Sternwarte durch.

1895 Habilitation in Leipzig mit der Arbeit „Über die Absorption des Lichtes in der Atmosphäre“. Hausdorffs verschiedenartigste Interessen entfalten sich, zunächst eher in der Literatur und Philosophie, dann innerhalb der Mathematik. Eine Vielzahl von Beiträgen der nun folgenden Jahrzehnte zur Philosophie, Lyrik, Essayistik und Mathematik überliefert der Nachwelt eine faszinierende und vielschichtige Persönlichkeit des frühen 20. Jahrhunderts. Hausdorff ist eine Figur des Leipziger Nietzsche-Kreises, dem insbesondere auch Nietzsches langjähriger Freund und Verehrer Heinrich Köselitz (alias Peter Gast) angehört. Er bezieht Stellung in den editorischen und interpretatorischen Streitereien des 1894 gegründeten Nietzsche-Archivs  um Elisabeth Förster-Nietzsche, die sich im Lager der mystischen Exegese von Nietzsches These der ewigen Wiederkunft des Gleichen befindet, während Hausdorff diese These realistisch beim Wort nimmt. Hausdorff ist darüber hinaus befreundet mit dem Dichter Richard Dehmel und dem Komponisten Max Reger.

Sein Vorlesungsspektrum in seiner Zeit als Privatdozent von 1895 − 1901 ist ungewöhnlich breit, die Reihe der zwischen 1897 und 1902 dokumentierten Vorlesungen umfasst (in zeitlicher Reihenfolge): Analytische Geometrie, Statistik, höhere Geometrie, Versicherungsmathematik, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Mengenlehre, projektive Geometrie, nichteuklidische Geometrie, analytische Mechanik. (Bis 1934 liest er dann insbesondere über Zahlentheorie, Differentialgeometrie, Gruppentheorie, Determinanten, Algebra, gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen, Primzahlverteilung, Algebraische Zahlen, Topologie, Integralgleichungen, Funktionentheorie, Fourier-Reihen.)

Hausdorff konnte sich neben Forschung und Lehre andere Interessen leisten. Magda Dierkesmann, eine Hörerin von Hausdorffs Vorlesungen und ab 1930 zuweilen Gast im Hause Hausdorff, erinnert sich Jahre später: „Da Felix Hausdorff aus einem sehr begüterten Elternhause stammte, und nicht auf eine gut honorierte Stellung angewiesen war, konnte er auch nach seiner … Habilitation in Leipzig als Privatmann leben und sich seinen vielseitigen Interessen außerhalb der mathematischen Wissenschaft widmen. Die Mathematik − auch seine Dozententätigkeit − war für ihn damals Liebhaberei.“

1896 Tod des Vaters.

1897 Mit „Das Risico bei Zufallsspielen“ veröffentlicht Hausdorff eine erste Arbeit zur Wahrscheinlichkeitstheorie. Fortan liegt der Schwerpunkt aber in der literarischen Produktion, die mathematische Forschung tritt in den nächsten sieben Jahren beinahe in den Hintergrund. Den Startschuß in der Philosophie bildet „Sant’ Illario − Gedanken aus der Landschaft Zarathustras“ (1897, 387 Seiten stark, begonnen gegen 1893). Hausdorff veröffentlicht alle seine literarischen und philosophischen Schriften unter dem Pseudonym Paul Mongré. Es war damals nicht unüblich, in einer Zeitungsanzeige auf ein neues eigenes Werk hinzuweisen, und Hausdorff schreibt in einer Selbstanzeige des Buches im November 1897:

„ Mein Buch, das sich äußerlich als Aphorismensammlung gibt und gern aus dieser stilistischen Not eine Tugend machen möchte, ist aus einem andauernden Überschuß an guter Laune, guter Lust, hellen Himmels entstanden: seine unmittelbare Heimat, von der es den Namen führt, wäre am ligurischen Meer zu suchen, halbwegs zwischen dem prangenden Genua und dem edelgeformten Vorgebirge des Portofino. An diesem seeligen Gestade … bin ich dem Schöpfer Zarathustras seine einsamen Wege nachgegangen, − wunderliche, schmale Küsten- und Klippenpfade, die sich nicht zur Heerstraße breittreten lassen.“

Ein Nietzsche-Epigone also mit einer Aphorismensammlung unterm Arm, ganz im Stile des Sprachmagiers selber. Hausdorff gibt nun aber sogleich bekannt, dass er es aber auch den Nietzsche-Verehrern nicht recht machen wird:

„Anderen wieder, den Verehrern Nietzsches, werde ich zu wenig ausdrückliche Huldigung in mein Buch gelegt haben; vielleicht tröstet sie, dass diese Schrift im Ganzen nicht auf den anbetenden Ton gestimmt ist und auf seinen Ruhm lieber verzichtet als auf den weihevoll beschränkter Gesinnungstüchtigkeit.“

Bei so vielen Widersachern im angeworbenen Publikum muss es ihm um seinen heiligen Hilarius angst und bange werden:

„Man wird ihm das Schlimmste nachsagen: für die Wissenschaft wird er nicht langweilig genug, für die Literatur nicht Bohème genug sein, vorn wird es an System, hinten an Idealismus fehlen.“

Am Ende dann der unvermeidliche Verweis, dass es ihm ohnehin zuerst um die Leser der Zukunft ginge,

„die Spezies freier, genußfähiger, wohlgelaunter Menschen, die aller feierlichen Borniertheit und polternden Rechthaberei niederer Kulturstufen entwachsen sind. Paul Mongré “.

Die ernste Ironie dieser Zeilen könnte vielleicht noch etwas feiner und verlässlicher sein, aber man wird unter Mathematikern lange suchen müssen, eine vergleichbare Sprache zu finden. Das Ganze ist eigenwillig, die einzelnen Bilder sind farbig, und Lebensgefühl und Individualität ist im Überfluss in den Text eingegangen. Das Auftreten der Selbstanzeige ist seit der Romantik bekannt: Bevor man zu irgendetwas kommt, muss man sich erst absichern vor all denen, die alles falsch verstehen würden, und das sind schließlich fast alle. Ist die Romantik noch voller Innerlichkeit mit Blütenstaub, so ist es hier der heroisch lebensbejahende Gestus des einsamen Klippengängers, der durch seine gefährlichen Wanderungen im schönen Italien die Menschheit zur Lust auf höchster Kulturstufe erlösen wird, freilich ganz ohne „weltverbesserndes Pathos“. Die Frage was hieran „ernst“ zu nehmen ist und dann wie, gehört mit zum Spiel. Die Haltung ist aber alleine schon aufgrund ihrer großen menschlichen Freiheitssehnsucht und ihrer versteckten sozialen Energie unsterblich, und trägt anscheinend mit sinusförmiger Intensität zur deutschen Kulturgeschichte bei. Robert Musil hat die Bedeutung von Friedrich Nietzsche für die Epoche in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ eingefangen − der Leipziger Nietzsche-Kreis mit Felix Hausdorff ist nur eine Manifestation einer weitverbreiteten weltanschaulichen Strömung. Thomas Mann beginnt seine Erzählung „Beim Propheten“ mit dem Satz: „Seltsame Orte gibt es, seltsame Gehirne, seltsame Regionen des Geistes, hoch und ärmlich.“ Im letzten Wort dieses furiosen Beginns sind die Gefahren eingefangen, die dem Klippenwanderer drohen. Der Gestus alleine bringt noch keinen Reichtum, und die Lächerlichkeit ist nur einen Tritt weit entfernt.

1898 Hausdorff veröffentlicht mit „ Das Chaos in kosmischer Auslese − Ein erkenntniskritischer Versuch “ sein zweites philosophisches Werk (mit 219 Seiten), in dem der Einfluss von Friedrich Nietzsche weiter dominiert. Diesmal liegt aber keine Aphorismensammlung vor, sondern eine konventioneller strukturierte Kritik der Metaphysik. In der Proklamation ihres Endes endet auch das Buch:

„ Damit sind die Brücken abgebrochen, die in der Phantasie aller Metaphysiker vom Chaos zum Kosmos herüber und hinüber führen, und ist das Ende der Metaphysik erklärt, − der eingeständlichen nicht minder als jener verlarvten, die aus ihrem Gefüge auszuscheiden der Naturwissenschaft des nächsten Jahrhunderts nicht erspart bleibt. “

Ein gemeinsames transzendentes Chaos steckt hinter unserem individuell erfahrenen, naturgesetzlich geordneten Kosmos, dieses Chaos ist aber unergründlich, und Hausdorff spricht der transzendenten Welt den ihr traditionell zugebilligten höheren ästhetisch-moralischen Wert völlig ab − was bei der Wahl des Namens Chaos nicht überrascht. Das bekräftigt noch einmal das nietzscheanische Jawort zum Diesseits, das Metaphysische ist uns nicht nur unerforschlich, es ist unmenschlich. Unsere Kosmen werden durch einen von unserem Bewusstsein vorgenommenen Ausleseprozess aus einem „transcendenten Weltkern“ hervorgebracht, und erscheinen dem „kosmocentrisch abergläubigen“ Bewusstsein dann als vermeintlich „einzige und ausschliesslich reale Welt“. Der chaotisch sich gebärende Weltkern selber ist nicht zu knacken, er manifestiert sich nur in den Erfahrungswelten, die aus ihm entstehen. Die philosophische Haltung ist völlig diesseitig, weder solipsistisch noch idealistisch. Cantor, der im Laufe seines Lebens zuweilen zum Katholizismus neigt, erscheint hier in einem denkbar großen Kontrast zu Hausdorff. Hausdorffs philosophische Haltung zur Mathematik ist nicht leicht einzuordnen, sein mathematisches Werk entwickelt er aber aus klassisch ästhetischen Motiven, und dadurch ergeben sich zu Cantor stärkere Verbindungen als es eine gemeinsame Metaphysik tun könnte.

Aussagekräftig genug sind dann die Titel seiner immer nur wenige Seiten langen literarischen Schriften von 1898 und der Folgezeit, darunter etwa „Massenglück und Einzelglück“ (1898), „Das unreinliche Jahrhundert“ (1898), „Tod und Wiederkunft“ (1899), „Nietzsches Wiederkunft des Gleichen“ (1900), „Der Schleier der Maja“ (1902), „Max Klingers Beethoven“ (1902), „Brief gegen G. Landauers Artikel Die Welt als Zeit“ (1903), „Sprachkritik“ (1903), „Gottes Schatten“ (1904), „Der Komet“ (1910), „Andacht zum Leben“ (1910).

1899 Heirat mit der evangelischen Charlotte Goldschmidt.

Arbeit in der Geometrie: „Analytische Beiträge zur nichteuklidischen Geometrie“.

1900 Geburt der Tochter Lenore.

„Ekstasen“ erscheint, ein Gedichtband, Hausdorffs drittes und letztes nichtmathematisches Buch (216 Seiten). Die (reimlosen) Gedichte haben eine lose strukturierte Form, einen eigenwilligen Rhythmus, die Sprache ist opulent und bildreich, ihre Themen sind neben Eros und Tod wieder nietzscheanisch: ewige Wiederkunft des Gleichen, der Adler und Wanderer, der schweren Welt entkommend, die sein freies und hochfliegendes Glück in Fesseln legen will.

1901 Weitere Arbeit zur Wahrscheinlichkeitstheorie.

Im Sommersemester hält Hausdorff eine Vorlesung über Mengenlehre in Leipzig, mit drei eingetragenen Hörern. Zusammen mit der Vorlesung von Ernst Zermelo im Wintersemester 1900/1901 in Göttingen ist dies die erste Mengenlehrevorlesung überhaupt. Hausdorff geriet wahrscheinlich 1897 mit der Mengenlehre in Tuchfühlung, er war wie Cantor Teilnehmer des ersten internationalen Mathematiker-Kongresses in Zürich 1897, wo es bereits einige Hauptvorträge zur Mengenlehre gab. Hausdorff und Cantor haben sich persönlich dann regelmäßig bei den „mathematischen Kränzchen“ der Universitäten Leipzig und Halle getroffen, die abwechselnd in Leipzig und Halle stattfanden.

1903 „Außeretatmäßiger außerordentlicher Professor“ in Leipzig, ernannt Ende 1901 mit 22 gegen 7 Stimmen. Der Dekan schrieb an das Ministerium: „Die Minorität stimmte deshalb dagegen, weil Dr. Hausdorff mosaischen Glaubens ist.“ Antrittsvorlesung am 4. 7. 1903: „Über das Raumproblem“. Etwa 1902/1903 schlägt Hausdorff eine Professur in Göttingen aus.

1904 Hausdorff ergänzt seine schriftstellerische Bandbreite mit dem grotesken Einakter „Der Arzt seiner Ehre“, der von einem Duell handelt, das nicht stattfindet. Das Stück wird 1904 in Berlin und Hamburg mit mäßigem Erfolg aufgeführt, eine Inszenierung 1912 in Berlin ist erfolgreich. Mathematisch stürzt er sich spätestens ab dem Erscheinen von „Der Potenzbegriff in der Mengenlehre“ (1904) auf die Mengenlehre, die Weiterführung des nichtmathematischen Werkes wird allmählich zweitrangig, und endet dann gegen 1912 ganz. Die Mengenlehre mag Hausdorff einen Raum geboten haben, der seinen geistigen Interessen zwischen Astronomie und Nietzsche gleichermaßen entsprach. Sein viertes Buch (1914) wurde umfangreicher als alle anderen, und es war ein Buch der Mathematik. Hans Bonnet erinnert sich später: „ ‚Es ist doch etwas Herrliches um die Mathematik‘ hörte ich [Hausdorff] mehrfach sagen und dann konnte ihm das, was den schöngeistig vielfach Interessierten sonst bewegt hatte, wie ‚Allotria‘ erscheinen, die er besser gemieden hätte.“ Wir jedenfalls möchten Paul Mongré nicht missen.

Die Mengenlehre bildet den Schwerpunkt der Hausdorffschen Forschungen bis etwa 1916. In den zwanziger Jahren arbeitet Hausdorff dann insbesondere in der Analysis, in den dreißiger Jahren liegt der Schwerpunkt der Forschung in der Topologie.

1906 − 1909 Nach einem wichtigen Beitrag in Algebra „Die symbolische Exponentialformel in der Gruppentheorie“ (1906) bildet nun die Theorie der geordneten Mengen das Zentrum der Forschung von Hausdorff, der diesem Thema mehr als ein halbes Dutzend Arbeiten widmet. Er erweist sich hier als einer der wenigen Erben Cantors, die die Mengenlehre im Stil des Gründervaters weiterbetreiben. Axiomatisierung und Grundlagenprobleme interessieren ihn kaum, und dieser schöpferischen, konzeptorientierten Einstellung bleibt er Zeit seines Lebens treu. Die Arbeiten zur Ordnungstheorie bewirkten dann auch:

1910 Außerordentlicher Professor an der Universität Bonn. Er schreibt an seinen Förderer Friedrich Engel in Greifswald über den Wechsel an die Universität Bonn am 4. 4. 1910 in einer Postkarte: „Ich habe natürlich angenommen, obschon es mir (allerdings nicht aus akademischen Gründen!!) schwer fällt, Leipzig zu verlassen.“ Deutlicher wird Hausdorff in einem Brief an Engel vom 21.2.1911, den der Leser am Ende dieser Biographie findet.

1912 In den Sommersemestern 1910 und 1912 hält Hausdorff Vorlesungen über Mengenlehre, zum ersten Mal wieder nach 1901. Danach beginnt er mit der Arbeit an dem 1914 erscheinenden Buch „Grundzüge der Mengenlehre“. Zur Erfahrung als Forscher in der Mengenlehre tritt bei der Niederschrift die Erfahrung in der Lehre des Gebiets.

1913 Ordentlicher Professor in Greifswald als Nachfolger von Friedrich Engel. Hausdorff bleibt bis 1921 in Greifswald.

1914 Das Buch „Grundzüge der Mengenlehre“ erscheint im April bei Veit in Leipzig. Der Text ist fortan ein großer und heller Stern am Himmel der mathematischen Weltliteratur, glänzend konzipiert und stilsicher verfasst. Er hält bei einer Länge von einem knappen halben tausend Seiten stets einen großen Spannungsbogen aufrecht, und behandelt dabei grundlegendes mathematisches Material insbesondere aus der mengentheoretischen Topologie ohne Rückgriff auf publizierte wissenschaftliche Vorarbeiten. Wir folgen einer schriftstellerisch geübten Feder, und spüren hinter ihr Hausdorff selbst. Wie bei den Arbeiten von Georg Cantor zeigt sich der Mit- und Nachwelt hier keine punktgenaue Umsetzung einer konsequenten Trainingsleistung, sondern ein Dokument kreativer Lebenszeit, das bei aller Sorgfalt sprüht von Spontaneität, entfesselter Begabung und Verliebtheit in die dargestellten Ideen. Die Vorarbeiten hinter dem Text wurden hier nicht in einem trockenen Bericht konserviert, sondern wurden Nahrung für etwas Lebendiges, das seine eigene Zeit ebenso überlebt wie überliefert.

Die Widmung auf dem Vorblatt der „Grundzüge“ ist: „Dem Schöpfer der Mengenlehre / Herrn Georg Cantor / in dankbarer Verehrung / gewidmet“. Knapp die erste Hälfte des Buches behandelt dann auch die von Cantor begründeten Konzepte der Mengenlehre. Neben der Theorie der Mächtigkeit und der Wohlordnung liegt hier besonderes Gewicht auf der allgemeinen Theorie der geordneten Mengen, die Hausdorff selbst zur Blüte gebracht hatte. In der zweiten Hälfte des Buches entwickelt Hausdorff dann die grundlegenden Begriffe und Sachverhalte der Topologie. Cantors sprachmächtige Mengenlehre und seine Untersuchung von „Punktmannigfaltigkeiten“ hatten das Tor für den allgemeinen mathematischen Raumbegriff aufgestoßen. Neben vielen anderen leisteten in der Folge dann David Hilbert (1862 − 1943), Jacques Hadamard (1865 − 1963), Maurice Fréchet (1878 − 1956) und Frigyes Riesz (1880 − 1956) wichtige Vorarbeiten, aber erst Hausdorff fand mit sicherem Gespür den Weg zu den topologischen und metrischen Räumen, die heute zu Grundbegriffen geworden sind.

Die Aufnahme des Buches wird durch die Große Katastrophe um Jahre verzögert. Später ist es dann der topologische Teil des Buches, der die größte Wirkung entfaltet.

1916 Beitrag zum Kontinuumsproblem: Hausdorff berechnet die Kardinalitäten von Borelmengen (Satz von Hausdorff-Alexandrov): Jede unendliche Borelmenge ist entweder abzählbar oder zu den reellen Zahlen gleichmächtig. Dies ist eine starke Verallgemeinerung der Resultate von Cantor, der die Aussage für die offenen und abgeschlossenen Mengen bewiesen hatte, die die einfachsten Borelmengen bilden. Alle diese Ergebnisse unterstützen die bis heute aktuelle These: Die Kontinuumshypothese ist für alle einfachen Teilmengen von  beweisbar.

1919 Maßtheoretische Untersuchung „Dimension und äußeres Maß“ (Hausdorff-Maße, Hausdorff-Dimension).

1921 Ordentlicher Professor an der Universität Bonn. Im Folgenden insbesondere Beiträge zur Analysis: „Summationsmethoden und Momentfolgen I, II“ (1921, Hausdorff-Verfahren der Summation), „Eine Ausdehnung des Parsevalschen Satzes über Fourierreihen“ (1923, Ausdehnung des Satzes von Riesz-Fischer auf Lp-Räume), „Momentprobleme für ein endliches Intervall“ (1923).

1927 Das Buch „Mengenlehre“ erscheint, eine zweite umgearbeitete und auf Verlagswunsch leider auf fast die Hälfte gekürzte Version des Buches von 1914 (das Buch erscheint beim Nachfolger von Veit: Walter de Gruyter, Berlin und Leipzig). Die Theorie der geordneten Mengen muss ebenso zurücktreten wie die Maß- und Integrationstheorie. Weiter konzentriert sich Hausdorff nun ganz auf metrische Räume anstelle einer allgemeineren Topologie. Hinzugekommen ist dafür eine umfassende Behandlung von neueren Ergebnissen in der deskriptiven Mengenlehre, insbesondere derer von Nikolai Lusin (1883 − 1950).

1930 − 1938 Eine Reihe von Arbeiten zur Topologie und deskriptiven Mengenlehre.

1935 Hausdorff wird von den Nationalsozialisten gezwungen, seine Professur niederzulegen. Es gelingt ihm, die Zwangspensionierung in eine Emeritierung umzuwandeln.

Die dritte Auflage von „Mengenlehre“ erscheint.

1937 Russische Übersetzung von „Mengenlehre“ (1927), mit ergänzenden Kapiteln von Alexandrov und Kolmogorov.

1941 Eine vorgesehene Einweisung in das im Mai 1941 zu einem Internierungslager für Juden umgewandelte Kloster „Zur ewigen Anbetung“ bei Bonn kann noch einmal abgewendet werden. Von dort aus wäre das Konzentrationslager Theresienstadt die nächste Station gewesen.

26. 1. 1942 Der 73-jährige Hausdorff begeht zusammen mit seiner Frau und deren Schwester Selbstmord, um einer Deportation in ein Konzentrationslager zu entgehen. Er hatte schriftlich die Aufforderung erhalten, am 29. Januar mit seiner Frau und deren Schwester in das Internierungslager bei Bonn umzuziehen. In einem Abschiedsbrief an den Freund Hans Wollstein vom 25. Januar 1942 heißt es: „Wenn Sie diese Zeilen erhalten, haben wir Drei das Problem auf andere Weise gelöst − auf die Weise, von der Sie uns beständig abzubringen versucht haben…“ Wollstein starb später im Konzentrationslager.

Felix Hausdorff über seine Erfahrungen in Bonn und Leipzig, Brief an seinen Greifswalder Förderer Friedrich Engel vom 21. 2. 1911

„Sehr geehrter Herr Professor,

Seit einigen Wochen ist Ihnen dieser Brief zugedacht, nämlich seit ich [erfahren habe], dass ich in Greifswald auf [Platz eins] der Liste [einer neu zu besetzenden Professur] war. Für diese grosse Auszeichnung, die ich Ihnen zu verdanken habe, möchte ich Ihnen meine herzliche Erkenntlichkeit aussprechen, die natürlich nicht im mindesten dadurch verringert wird, dass die hochwohllöbliche Regierung in der Wilhelmstrasse ein Anderes beschlossen hat. Ich wäre sehr gerne nach Greifswald gekommen und das Zusammenwirken mit Ihnen hätte mich aufrichtig gefreut; da nun nichts daraus geworden ist, habe ich immerhin das Vergnügen gehabt, erstens zu wissen, dass Sie etwas von mir halten, zweitens nach jahrelangem Stillstand auf dem toten Geleise in Leipzig endlich wieder … in Betracht zu kommen. Das war mir doppelt wohltuend angesichts der schnöden Behandlung, die ich in Leipzig erfahren habe und von der Sie ja auch ein Lied in mehreren Strophen zu singen wissen. Erst hier in Bonn ist mir das fatal Bonzenhafte und Unerfreuliche der Leipziger Hierarchie recht zu Bewusstsein gekommen − hier, wo auch der Privatdocent als Mensch gilt dessen Besuche erwidert werden und der zum Rectoressen eingeladen wird. In Bonn kommt man sich, auch als Nicht-Ordinarius, förmlich existenzberechtigt vor, eine Empfindung, zu der ich mich an der Pleisse nie habe aufschwingen können… Besonderes Vergnügen macht mir noch die Selbstverleugnung, mit der die Leipziger sich jetzt der Präcisionsmathematik in die Arme werfen und jüngste Göttinger Wickelkinder an ihrem Busen nähren, bei denen sie für ihren eigenen traditionellen Wissenschaftsbetrieb wenig Gegenliebe finden werden. Ihnen und den Ihrigen geht es hoffentlich gut. Wir, wie gesagt, befinden uns in Bonn vortrefflich und werden uns noch besser befinden, wenn ich mir im nächsten Semester etwas weniger Vorlesungen aufbürde als bisher. In diesem Semester habe ich wieder einmal zweistündig Gruppentheorie gelesen, die mir viel Mühe gemacht hat und sicher nicht sehr pädagogisch geraten ist. − Wie steht’s denn mit Ihrem Buche in der Teubner’schen Sammlung? − Hin und wieder, in einer freien halben Stunde, stelle ich einige vergebliche Überlegungen hinsichtlich des alten Problems an, ob es lineare Gruppen beliebiger Zusammensetzung giebt. Wissen Sie darüber etwas Neues? Nun noch einmal herzlichen Dank für Alles und viele Grüsse von Haus zu Haus!

Ihr

stets ergebener

F. Hausdorff  “

(in: E. Eichhorn / E.-J. Thiele 1994, „Vorlesungen zum Gedenken an Felix Hausdorff “ )