Biographie von Ernst Zermelo (1871 − 1953)

27. 7. 1871 Ernst Friedrich Ferdinand Zermelo wird in Berlin geboren.

1889 − 1894 Studium der Mathematik, Physik und Philosophie in Berlin (1889 − 1890, 1891 − 1894), Halle (1890 − 1891) und Freiburg (1891).

1894 Promotion bei Hermann Schwarz in Berlin mit der hervorragenden Arbeit „Untersuchungen zur Variationsrechnung“.

1894 − 1897 Zermelo arbeitet am Institut für theoretische Physik in Berlin als Assistent bei Max Planck. Er führt eine wissenschaftliche Polemik mit Ludwig Boltzmann über kinetische Gastheorie. Im Juli 1897 schreibt er nach Göttingen an Felix Klein, dass er sich „in einer kleineren Stadt“ in theoretischer Physik habilitieren möchte.

1897 − 1899 Zermelo geht an die Universität Göttingen, wo er sich 1899 mit der Arbeit „Hydrodynamische Untersuchungen über die Wirbelbewegungen in einer Kugelfläche“ habilitiert.

1899 − 1905 Privatdozent in Göttingen. Auf Empfehlung von David Hilbert erhält er ein bescheidenes Stipendium für fünf Jahre. Daneben bestreitet er seinen Lebensunterhalt aus den Erträgen eines kleinen Erbes seiner Eltern. Unter dem Einfluss von Hilbert beginnt Zermelo sich mit der Mengenlehre zu beschäftigen. 1901 erscheint Zermelos erste mengentheoretische Arbeit „Über die Addition transfiniter Kardinalzahlen“.

1904 Zermelo findet, einer nicht unbedingt glaubwürdigen Aussage von Gerhard Kowalewski (1876 − 1950) zufolge, einen Tag nach dem Vortrag von Julius König auf dem „Internationalen Mathematikerkongreß“ in Heidelberg den Fehler in Königs Widerlegung der Kontinuumshypothese. Wie auch immer: Zermelo beschäftigt sich 1904 mit dem Wohlordnungsproblem, und teilt Hilbert brieflich am 24. 9. 1904 mit, dass er einen Beweis für den Wohlordnungssatz gefunden habe, wobei Diskussionen über das Problem mit Erhard Schmidt eine große Rolle gespielt hätten. In den „Mathematischen Annalen“ erscheint im gleichen Jahr die Zermelosche Arbeit „Beweis, dass jede Menge wohlgeordnet werden kann.“

1905 Titularprofessor in Göttingen auf Antrag von David Hilbert.

1906 Erkrankung an Lungentuberkulose.

1907 Zermelo kuriert in der Schweiz seine Lungenerkrankung. In Göttingen wird der Konkurrent Felix Bernstein Zielscheibe der Polemik Zermelos (Bernstein wurde in Göttingen ordentlicher Professor für Versicherungsmathematik). Zu einem Lösungsversuch von Bernstein betreffend die Paradoxie aller Ordinalzahlen meint er: „ … absoluter Blödsinn, und zwar nach dem Urteile aller denkenden Mathematiker“. Oder: „Herr Bernstein kann überhaupt nach seinem − eigentümlichen − Verhalten in der Kontinuums-Frage … meines Erachtens weder ethisch noch wissenschaftlich mehr ernst genommen werden.“ Oder: „Hilbert hat am Dienstag über meine ‚Wohlordnung‘ in der Mathematischen Gesellschaft gesprochen, und Felix Bernstein war ganz kleinlaut! Das wird aber nicht lange vorhalten.“ Nicht ohne Komik ist: „In der Frage der Wohlordnung hat der ‚Graf‘ [= Bernstein] in Göttingen eine eklatante Niederlage erlitten. König und Peano haben mir verbindliche Briefe geschrieben, auch Jourdain ist auf dem Rückmarsch. Nur Schoenflies quatscht weiter. Borel hält sich in Schweigen.“

1908 Zermelo veröffentlicht in den „Mathematischen Annalen“ die Arbeiten „Neuer Beweis für die Möglichkeit einer Wohlordnung“ und „Untersuchungen über die Grundlagen der Mengenlehre. I“, von denen die letzte Zermelos Axiomatik der Mengenlehre enthält. Im Sommersemester hält er in Göttingen die erste Vorlesung an einer deutschen Universität über „Mathematische Logik“.

1910 Zermelo wird − auf Empfehlung Hilberts − ordentlicher Professor an der Universität Zürich als Nachfolger von Erhard Schmidt. Damit wird ein im gleichen Jahr gestellter Antrag der Fakultät in Göttingen, Zermelo zum außerordentlichen Professor zu ernennen, überflüssig.

1911/12, 1915/1916 Beurlaubungen und Sanatoriumsaufenthalte wegen erneut auftretender Tuberkulose. 1914 Brustkorboperation durch Ferdinand Sauerbruch.

1916 Aufgabe der Stellung in Zürich aus gesundheitlichen Gründen, Versetzung in den Ruhestand. Zudem existiert die insbesondere von Fraenkel verbreitete Hotel-Anekdote, die unten wiedergegeben ist. Ob sie sich wirklich zugetragen hat und für sein Verhältnis zur Universität Zürich von Bedeutung ist, ist zweifelhaft. Zumindest scheint sie der Persönlichkeit Zermelos zu entsprechen.

1921 Zermelo lebt in Freiburg im Ruhestand.

1926 Ordentlicher Professor in Freiburg.

1930 In den „Fundamenta Mathematicae“ erscheint die Arbeit „Über Grenzzahlen und Mengenbereiche. Neue Untersuchungen über die Grundlagen der Mengenlehre.“

1932 Zermelo gibt „Georg Cantor − Gesammelte Abhandlungen mathematischen und philosophischen Inhalts“ heraus, bis heute die einzige Ausgabe der Werke Georg Cantors. Im Vorwort schreibt er mit dem ihm eigenen polemischen Stil: „In der Geschichte der Wissenschaft ist es gewiß ein seltener Fall, wenn eine ganze wissenschaftliche Disziplin von grundlegender Bedeutung der schöpferischen Tat eines einzelnen zu verdanken ist … Möge das Werk in der Form, wie sie hier vorliegt, recht viele Leser finden und in weiten Kreisen der Kenntnis und dem Verständnis des Cantorschen Lebenswerkes dienen im Sinne seines Urhebers und im Geiste echter Wissenschaft, unabhängig von Zeit- und Modeströmungen und unbeirrt durch die Angriffe derer, die in ängstlicher Schwäche eine Wissenschaft, die sie nicht mehr meistern können, zur Umkehr nötigen möchten. Diesen aber, sagt Cantor, ‚kann es leicht begegnen, dass genau an jener Stelle, wo sie der Wissenschaft die tödliche Wunde zu geben suchen, ein neuer Zweig derselben, schöner, wenn möglich, und zukunftsreicher als alle früheren, rasch vor ihren Augen aufblüht − wie die Wahrscheinlichkeitsrechnung vor den Augen des Chevalier de Meré.‘ [Mit de Meré, der eine elementare Rechnung der Wahrscheinlichkeitstheorie nicht glauben wollte, ist bei Cantor immer auch Kronecker gemeint.]“

1935 Zermelo wird von der nationalsozialistischen Studentenschaft wegen Nachlässigkeiten beim „Hitlergruß“ denunziert. Er verzichtet auf eine weitere Lehrtätigkeit − die „venia legendi“ wäre ihm andernfalls wahrscheinlich entzogen worden.

1946 Rehabilitation. Zermelo ist schwer krank und fast blind. Er nimmt keine Lehrveranstaltungen mehr auf.

21. 5. 1953 Zermelo stirbt in Freiburg.

Abraham Fraenkel über Ernst Zermelo („Hotelanekdote“ )

 „Obgleich nicht hierher gehörig, seien von diesem genialen und seltsamen Mathematiker, dessen Namen bis heute einen fast magischen Klang behalten hat, einige kaum bekannte Züge berichtet. Ein schlechter Lehrer, kam er in Göttingen nicht vorwärts, obgleich er 1904 einen drei Seiten langen Aufsatz − Beweis des ‚Wohlordnungsgesetzes‘ − publizierte, der die gesamte mathematische Welt in − zustimmende oder ablehnende − Aufregung versetzte; mit seinen Gegnern setzte er sich 1908 in einer Abhandlung auseinander, die an Sarkasmus nicht ihresgleichen in der mathematischen Literatur hat. 1910 wurde er endlich als Ordinarius an die kantonale Universität Zürich berufen. Kurz vor dem Weltkrieg verbrachte er eine Nacht in den bayrischen Alpen und füllte im Meldezettel des Hotels die Rubrik ‚Staatsangehörigkeit‘ mit den Worten aus: ‚Gottseidank kein Schweizer.‘ Das Unglück wollte, dass kurz danach der Leiter des Unterrichtsdepartments des Kantons Zürich im gleichen Hotel wohnte und die Eintragung sah. So konnte er sich nicht mehr lange an der Züricher Universität halten, wurde 1916 pensioniert und übersiedelte nach Deutschland, wo ich, sogar noch von Jerusalem aus, in häufiger wissenschaftlicher Verbindung mit ihm stand. Als ich Zermelos Freund Erhard Schmidt gelegentlich fragte, warum denn Zermelo fast aufgehört habe zu publizieren, erwiderte er, weil er mit seinen Veröffentlichungen niemand mehr zu ärgern erwarten könne.“

(Abraham Fraenkel 1967, „Lebenskreise“ )