2.Der Primzahlsatz

Der Primzahlsatz gibt eine Funktion an, die asymptotisch gleich der Primzahlzählfunktion ist. Wie vermutet ist x/log(x) geeignet:

Satz (Primzahlsatz)

Die Primzahl-Zählfunktion π und die durch x/log(x) definierte reelle Funktion sind asymptotisch gleich.

Es gilt also

π(x)  ∼  xlog(x),  d. h.  limx  ∞ π(x)x/log(x)  =  1.

Umformen liefert die äquivalenten Aussagen

π(x) log(x)  ∼  x,  log(x)  ∼  x/π(x).

Nach dem Primzahlsatz gibt es für alle n > 1 im Intervall { 1, …, n } ungefähr n/log(n) viele Primzahlen, wobei das bislang intuitive „ungefähr“ nun durch die mit Hilfe des Grenzwertbegriffs definierte Eigenschaft „asymptotisch gleich“ präzisiert ist. Sowohl π(x) als auch x/log(x) streben gegen unendlich, wenn x gegen unendlich strebt. Nach dem Primzahlsatz ist dieses Wachstum gleich schnell im Sinne der Konvergenz des Quotienten der Funktionen gegen 1.

 Es ist wesentlich, dass der Logarithmus log (= loge = ln) zur Basis e verwendet wird. Für den Logarithmus loga zu einer Basis a > 0 mit a ≠ 1 gilt

loga(x)  =  log(x)log(a)  für alle x > 0.

Damit sind π(x) und x/loga(x) genau dann asymptotisch gleich, wenn die Basis a gleich e ist. Die Primzahlen hängen eng mit der neben der Kreiszahl π wichtigsten analytischen Konstanten e zusammen. Wer über Primzahlen nachdenkt, entdeckt früher oder später die Eulersche Zahl.

 Ein vollständiger Beweis des Primzahlsatzes liegt außerhalb der Ziele dieses Textes und wir verweisen den Leser auf die Literatur für verschiedene Beweise des Satzes. Wir können aber das Ergebnis immerhin plausibel machen und unter verschiedenen Aspekten weiter beleuchten.

Zur Geschichte des Primzahlsatzes

 Zum Primzahlsatz äquivalente Aussagen − wurden auf der Basis von Primzahltafeln zuerst vermutet von Gauß 1792/1793, Legendre 1797 und Dirichlet 1838. Die ersten Beweise des Satzes fanden unabhängig voneinander Hadamard und de la Vallée Poussin 1896. Sie basieren auf den Vorarbeiten von Chebyshev 1850 und verwenden komplexe Analysis. Der Satz fällt damit traditionell in das Gebiet der analytischen Zahlentheorie. In diesem Gebiet werden Methoden der komplexen Analysis und speziell die Riemannsche Zetafunktion verwendet, um die Primzahlen zu untersuchen. Dass es diese Brücke zwischen den Gebieten überhaupt gibt, ist eines der vielen Wunder der Mathematik. Elementare Beweise des Primzahlsatzes wurden, entgegen der Expertenvermutung der Nichtexistenz derartiger Beweise, Mitte des 20. Jahrhunderts von Selberg und Erdös gefunden (vgl. [ Selberg 1949 ], [ Erdös 1949 ] und zudem [ Goldfeld 2004 ] für die bedauerliche Auseinandersetzung zwischen Selberg und Erdös). Vereinfachte analytische Beweise gaben Newman 1980 (siehe hierzu auch [ Zagier 1997 ]) und Carella 2015/2018 (im arXiv für Mathematik veröffentlicht).

Die Güte der Approximation

 Wie gut ist die Asymptotik? Dies lässt sich aus dem Primzahlsatz nicht ablesen. Folgende Tabelle gibt einen Eindruck über die Werte der beteiligten Funktionen und ihre (gerundeten) Quotienten.

n

π(n)

n/log(n)

π(n)/(n/log(n))

10

4

4,34294

0,921034

100

25

21,7147

1,15129

1000

168

144,765

1,1605

10000

1229

1085,74

1,13195

100000

9592

8685,89

1,10432

106

78498

72382,4

1,08449

107

664579

620421

1,07117

108

5761455

5428681

1,06130

109

50847534

48254942

1,05373

1010

455052511

434294482

1,04780

 Die Konvergenz des Quotienten π(n)/(n/log(n)) gegen 1 lässt sich erahnen, sie ist aber nicht besonders schnell. Eine deutlich schnellere Konvergenz werden wir bei der Diskussion des Integral-Logarithmus kennenlernen.

 Die folgenden Diagramme zeigen die Primzahlzählfunktion π(x) und die asymptotisch gleiche Funktion x/log(x) im Vergleich.

prim1-AbbID-pnt1

Die Primzahlzählfunktion π(x) im Vergleich mit x/log(x)

prim1-AbbID-pnt2

Zur asymptotischen Äquivalenz von π(x) und x/log(x): Der Quotient konvergiert gegen 1.

Eine wahrscheinlichkeitstheoretische Interpretation

 Sei n ≥ 1. Die Wahrscheinlichkeit P(n), dass eine aus dem Intervall { 1, …, n } zufällig ausgewählte Zahl eine Primzahl ist, ist gleich der Anzahl der Primzahlen in diesem Intervall geteilt durch die Anzahl der Elemente des Intervalls, also gleich π(n)/n. Wir können diesen Quotienten mit Hilfe des Primzahlsatzes abschätzen, indem wir π(n) durch n/log(n) ersetzen. Dadurch ergibt sich

P(n)  ∼  1log(n).

Wir können diese Überlegung auch so zusammenfassen: Der Primzahlsatz besagt, dass die Primzahldichte π(n)/n asymptotisch gleich 1/log(n) ist.

Das Wachstum der Primzahlfolge

Satz (Asymptotik der Primzahlfolge)

Sei (pn)n ≥ 1 die monotone Aufzählung der Primzahlen, d. h. für alle n ist pn die n-te Primzahl. Dann gilt:

log(n) ∼ log(pn)  und  pn ∼ n log (n)

 Nach Definition gilt π(pn) = n für alle n ≥ 1 und pπ(q) = q für alle Primzahlen q. In diesen Sinne sind die Primzahlzählfunktion und die Primzahlaufzählung invers zueinander. Für beliebige m ≥ 1 ist pπ(m) = „die größte Primzahl p ≤ m“.

Beweis

Nach dem Primzahlsatz gilt π(x) ∼ x/log(x). Betrachten wir speziell die Folge der Primzahlen, so erhalten wir π(pn) ∼ pn/log(pn), d. h.

(+)  n  ∼  pnlog(pn).

Wir können die Logarithmusregel anwenden und erhalten

(++)  log(n)  ∼  log(pnlog(pn))  ∼  log(pn).

[ Für die zweite Äquivalenz beobachten wir, dass

log(pn/log(pn))  =  log(pn)  −  log(log(pn))  für alle n ≥ 1.

Aus limn log(log(pn))/log(pn) = 0 folgt, dass

log(pn) − log(log(pn)) ∼ log(pn).]

Aus (++) und (+) ergibt sich, dass

n log(n)  ∼  n log(pn)  ∼  pn.

prim1-AbbID-primecount1

Die Primzahlaufzählung pn im Vergleich mit x log(x)

prim1-AbbID-primecount2

Zur asymptotischen Äquivalenz von pn und n log(n)

Das Wachstum der Teilbarkeitsrelation

 Im Essay „Die Größe der Teilbarkeitsrelation“ hatten wir für alle n ≥ 1 die Relation

Divn  =  { (a, b)  ∈  { 1, …, n }2 | a ist ein Teiler von b }

und ihre Mächtigkeit

div(n)  =  |Divn|  =  „die Anzahl der Elemente von Divn

betrachtet und gezeigt:

Satz (Größe der Teilbarkeitsrelation)

Es gilt

limn  div(n)n log(n)  =  1.

Mit Hilfe der asymptotischen Äquivalenz können wir dieses Ergebnis nun so schreiben:

div(n)  ∼  n log(n)

Aus der Asymptotik der Primzahlfolge und dem Primzahlsatz erhalten wir:

Satz (Asymptotik der Teilbarkeitsrelation)

Es gilt

div(n) ∼ pn  und  π(n) div(n)  ∼  n2.

 Die Anzahl aller Teilerpaare im Quadrat { 1, …, n }2 ist also asymptotisch gleich der n-ten Primzahl. Damit gibt es eine „asymptotische Bijektion“ von der Menge Divn dieser Paare in das Intervall { 1, …, pn }.

 Auch die asymptotische Gleichheit des Produkts π(n) divn und n2 lässt sich anschaulich interpretieren: Vervielfachen wir die Punkte eines Teilbarkeitsdiagramms Divn mit dem Faktor π(n), so erhalten wir asymptotisch n2 Punkte, mit denen wir genau das Quadrat { 1, …, n }2 ausfüllen können. Umgekehrt folgt aus dieser Asymptotik der Primzahlsatz, sodass sich die folgende Möglichkeit eines elementaren Beweises des Primzahlsatzes ergibt: Die Aufgabe ist, eine „asymptotische Bijektion“

F : { p1, …, pπ(n) } × Divn{ 1, …, n }2

zu konstruieren, wobei p1, …, pπ(n) alle Primzahlen des Intervalls { 1, …, n } durchläuft.