6.Der Integral-Logarithmus

In der Zahlentheorie spielt neben der Funktion x/log(x) der Integral-Logarithmus Li : ] 1, ∞ [   mit

Li(x)  =  x2 dtlog t  für alle x > 1

eine Schlüsselrolle.

prim1-AbbID-li1

Der Integrand 1/log(x) und die Stammfunktion Li(x)

 Die elementare Funktion 1/log(x) besitzt keine elementare Stammfunktion, sodass eine neue Funktion eingeführt werden muss, um ihr Integral zu beschreiben. Die Funktion Li ist streng monoton steigend und strebt gegen unendlich, wenn x gegen unendlich strebt.

 Bereits Gauß, Bessel und andere hatten vermutet, dass Li(x) eine noch bessere Approximation an die Primzahlzählfunktion darstellt als die Funktion x/log(x). Wir ergänzen hierzu unsere Tabelle für π(n) und n/log(n) um zwei Spalten (wieder mit gerundeten Werten):

n

π(n)

n/log(n)

π(n)/(n/log(n))

Li(n)

π(n)/Li(n)

10

4

4,34294

0,921034

5,12044

0,781184

102

25

21,7147

1,15129

29,081

0,859668

103

168

144,765

1,1605

176,564

0,951494

104

1229

1085,74

1,13195

1245,09

0,987076

105

9592

8685,89

1,10432

9628,76

0,996182

106

78498

72382,4

1,08449

78626,5

0,998366

107

664579

620421

1,07117

664917

0,999491

108

5761455

5428681

1,06130

5762208

0,999869

109

50847534

48254942

1,05373

50849233

0,999967

1010

455052511

434294482

1,04780

455055613

0,999993

Die Genauigkeit der Approximation ist bemerkenswert. Für n = 1010 gibt es etwa 500 Millionen Primzahlen. Der Unterschied zwischen Li(n) und π(n) ist lediglich

455055613 − 455052511  =  3102.

Auch die folgenden Diagramme bestätigen die deutlich bessere Approximation:

prim1-AbbID-pnt4a
prim1-AbbID-pnt4b

Die Funktionen π(x), Li(x) und x/log(x) im Vergleich

 Der Zusammenhang zwischen den Funktionen Li(x) und x/log(x) wird durch partielle Integration ans Licht gebracht. Der klassische Trick des Einschiebens der 1 ermöglicht eine partielle Integration und liefert

(+)  Li(x)  =  x2 1 dtlog t  =  xlog(x) − 2log 2 + x2 dt(log t)2  für alle x > 1.

Zur Abschätzung des Integrals auf der rechten Seite zerlegen wir das Integral mit sqrt(x) = x in zwei Teile. Wir erhalten

x2 dt(log t)2 = sqrt(x)2 dt(log t)2 + xsqrt(x) dt(log t)2  ≤  x2(log2)2 + xxlogx.

Dies zeigt, dass

limx  ∞ log xx x2 dt(log t)2  =  0.

Aus der Darstellung (+) ergibt sich nun, dass

limx  ∞ Li(x)x/log x)  =  1.

Damit gilt Li(x) ∼ x/log x, sodass der Primzahlsatz äquivalent ist zu

π(x) ∼ Li(x).

Aus der Sicht der asymptotischen Gleichheit liegen die Funktionen π(x), x/log(x) und Li(x) in der gleichen Äquivalenzklasse. Der Fehler |π(x) − Li(x)| erweist sich aber als deutlich geringer als der Fehler |π(x) − x/log(x)|.

 Wenden wir die partielle Integration wiederholt an, so erhalten wir, dass für alle n ≥ 1 gilt:

Li(x)  ∼  xlog x  +  x(log x)2  +  2 x(log x)3  +  …  +  (n − 1)! x(log x)n.

In dieser Form erscheint die Funktion x/log(x) lediglich als der erste Schritt einer Approximation der Primzahlzählfunktion. Der erste Schritt genügt bereits für die asymptotische Äquivalenz, lässt sich aber noch deutlich verbessern.

 Wir betrachten die Differenz zwischen π(x) und Li(x) noch einmal auf einem relativ großen Intervall:

prim1-AbbID-pnt4

Die Differenzfunktion π(x) − Li(x)

Das Diagramm unterstützt die Hypothese, dass π(x) stets kleiner ist als Li(x) und damit wie in obiger Tabelle der Wert π(x)/Li(x) immer kleiner als 1 ist. Trotz ihrer Gültigkeit bis 109 und weit darüber hinaus ist diese Hypothese falsch: Littlewood zeigte 1914, dass die Differenzfunktion π(x) − Li(x) unendlich oft das Vorzeichen wechselt. Experimentieren führt zu Hypothesen, die oft, aber eben nicht immer richtig sind! Und die Gültigkeit einer Aussage auf einem großen Anfangsstück der natürlichen Zahlen ersetzt keinen allgemeinen Beweis.

 Bislang haben wir nur numerische Evidenz für die hervorragende Approximation von π(x) durch Li(x). Im folgenden Essay diskutieren wir einen Satz, der zeigt, dass der Fehler |π(x) − Li(x)| tatsächlich klein ist.